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26.07.19 / Ein Richter klagt über die »schwerbehinderte Justizia«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-19 vom 26. Juli 2019

Ein Richter klagt über die »schwerbehinderte Justizia«
Wolfgang Kaufmann

Vor Gericht und auf hoher See befinde man sich in Gottes Hand, sagt der Volksmund. Wer allerdings das Buch des Dessauer Strafrichters Patrick Burow „Justiz am Abgrund“ gelesen hat, der würde wohl lieber mit dem Paddelboot über den Atlantik fahren, als es auf einen Prozess vor deutschen Gerichten ankommen zu lassen.

Denn Burows Aussagen sind nachgerade schockierend: Justizia sei hierzulande nicht nur blind, sondern auch noch zu 100 Prozent schwerbehindert. Gleichzeitig mache sich niemand die Mühe, ihr helfend unter die Arme zu greifen. Denn für den Staat stelle die Justiz nur das fünfte Rad am Wagen dar, für das er derzeit gerade einmal 0,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufwende, also weniger als die fettgemästeten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erhielten. Dabei habe der Arbeitsaufwand infolge der Asylkrise enorm zugenommen – sowohl wegen der Klagewelle vonseiten abgelehnter Asylbewerber als auch aufgrund der steigenden Kriminalität seit 2015.

Die Konsequenzen sind dann entsprechend verheerend: extrem überlastete und zugleich unterbezahlte Richter, die immer häufiger Fehlurteile produzieren oder fragwürdige Deals hinter verschlossenen Türen vereinbaren, überlange Gerichtsverfahren, welche in zunehmend schäbiger anmutenden Gebäuden stattfinden, vorsintflutliche Technik und fehlendes Hilfspersonal wie Justizwachtmeister, ohne die es keine Sicherheit während der Verhandlungen gibt.

Außerdem kritisiert Burow die höchstrichterliche Rechtsprechung hierzulande, nach der Strafen im Regelfall im unteren Drittel des gesetzlichen Rahmens zu liegen hätten. Ein wesentlicher Grund hierfür dürften hoffnungslos überfüllte Gefängnisse sein.

Bei der Alltagskriminalität scheint der Staat sogar ganz zu kapitulieren, denn die wird oft überhaupt nicht mehr verfolgt. Mit einer Ausnahme: Verkehrsverstöße, in deren Folge Bußgelder anfallen, mit denen Haushaltslöcher gestopft werden können. Hierzu schreibt Burow: „Wenn Sie eine Straftat begehen, wird das höchstwahrscheinlich völlig folgenlos für Sie sein, außer wenn Sie auf dem Weg zum Tatort zu schnell fahren oder dort falsch parken. In diesem Fall werden Sie die ganze Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen.“

Das Buch liest sich hervorragend, weil der Verfasser sehr präzise und anschaulich argumentiert. Allerdings hat es dennoch ein Manko. Das ist das weitgehende Ausblenden der politischen Dimensionen des Justizdramas und die nur ganz ansatzweise Bloßstellung der Verantwortlichen für die Misere. Aber etwas anderes wäre von einem engagierten Staatsdiener, der offensichtlich noch lange im Amt bleiben will, wohl auch zu viel verlangt.

Patrick Burow: „Justiz am Abgrund. Ein Richter klagt an“, LangenMüller Verlag, Stuttgart 2018, gebunden, 205 Seiten, 22 Euro