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02.08.19 / Russen begehren auf / 20000 Bürger demonstrierten im Moskauer Stadtzentrum – 1373 wurden verhaftet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-19 vom 02. August 2019

Russen begehren auf
20000 Bürger demonstrierten im Moskauer Stadtzentrum – 1373 wurden verhaftet
Manuela Rosenthal-Kappi

Lasst sie frei!“, „Nieder mit der Macht der Tschekisten“, „Schande“, „Wollt ihr einen Majdan?“ Die Parolen der Menschen, die mittlerweile fast täglich in der russischen Hauptstadt und andernorts auf die Straße gehen, werden hörbar schärfer. Sie demonstrieren für Pressefreiheit, für die Einhaltung der Menschenrechte, zeigen Solidarität mit beschuldigten Ärztinnen und zuletzt mit drei über Jahre gequälten Frauen, die ihren Vater getötet hatten. Der Fall könnte dazu führen, dass das erst vor zwei Jahren gelockerte Gesetz über häusliche Gewalt zugunsten der Frauenrechte geändert werden könnte. Damals hatte die Politik die Ansicht vertreten, dass „ein kleiner Klapps Familien nicht auseinanderreißen sollte“. Frauen, die sich wegen häuslicher Gewalt an die Polizei wenden, finden seitdem kein Gehör. In Russland verlieren aber bis zu 12000 Frauen jährlich infolge häuslicher Gewalt ihr Leben. Rund 90 Prozent der Fälle werden nicht bekannt.

Das Fass zum Überlaufen gebracht hat jedoch der Ausschluss von 57 Oppositionskandidaten von der Wahl des Moskauer Stadtparlaments am 8. September. Unter den Ausgeschlossenen sind die prominenten Regierungskritiker Ilja Jaschin, Ljubow Sobol und Dmitrij Gudkow. Oppositionsführer Alexej Nawalnyj wurde am Wochende für 30 Tage inhaftiert. Nachdem er im Gefängnis unter schweren allergischen Reaktionen litt, kamen Gerüchte auf, dass er in der Haftanstalt mit Gift in Berührung gekommen sein könnte. Seine persönliche Ärztin hat Haare und ein Hemd von Nawalny aus dem Krankenhaus mitgenommen, um sie von unabhängigen Gutachtern untersuchen zu lassen.

Zu den Verhafteten, die noch vor Beginn der Kundgebung festgenommen wurden, gehörten auch Jaschin, Sobol und Gudkow. Das konnte den Protest allerdings nicht aufhalten. Ohne ihre Anführer organisierten sich die Bürger eben selbst. 20000 sollen am vergangenen Wochenende durch Moskaus Innenstadt gezogen sein. Sie schwenkten die russische Fahne und sangen die Nationalhymne. Menschen unterschiedlichen Alters, traditionell gekleidetete und modisch gestylte, Kommunisten, Liberale und Grüne beteiligten sich. 

Die Staatsmacht reagierte nervös. Sie ging mit aller Härte und mit Schlagstöcken gegen die überwiegend friedlichen Demonstranten vor. Es kam zu der Rekordzahl von 1373 Verhaftungen. Weil die Polizei schon vor dem Beginn der Kundgebung Straßen sperrte, verteilten sich die Demonstrationszüge über weite Bereiche der Innenstadt. 

Ein solches Vorgehen der Obrigkeit, die allgemeine Unbeliebtheit der als korrupt geltenden Regierungspartei „Einiges Russland“ sowie die Arroganz der Eliten machen die Menschen wütend. Ella Pamfilowa, die Chefin des Zentralen Wahlkomitees und Vorsitzende des Menschenrechtsrats beim russischen Präsidenten sagte: „Der Effekt der Proteste auf die zu treffenden Entscheidungen ist gleich Null“. Zu ähnlichen Aussagen ließen sich auch andere Politiker hinreißen. Sie zeigen den Bürgern, dass sie ihren Volksvertretern gleichgültig sind. Die russischen Wähler fühlen sich übergangen und spüren dabei doch immer deutlicher die Verschlechterung ihres Lebensstandards. Zwei Drittel der Beschäftigten verdienen weniger als den Durchschnittslohn, ihr Realeinkommen sinkt schon das sechste Jahr in Folge. Es herrscht Stillstand fast überall. 

Das Vorgehen der Staatsmacht weckt Erinnerungen an die dunkelsten Kapitel der Geschichte der Sowjetunion. 

Die umstrittene Rentenreform des vergangenen Jahres, ein Rück-gang des Wohlstands und fehlende Perspektiven für die Jugend führen dazu, dass die Russen aufbegehren. Ihr Ärger bezieht sich mittlerweile auch auf Putin, den sie für den Stillstand verantwortlich machen. Sie sind ihren ewigen Präsidenten leid geworden: „Für ein Russland ohne Putin“ lautet denn auch eine der Parolen. Experten vermuten, dass vielleicht doch noch einige Oppositionskandidaten im letzten Moment zur Wahl zugelassen werden, um die Massen zu beruhigen. Der Umgang mit der Unzufriedenheit der Bürger könnte zum Lackmustest für die Wahl zur Staatsduma 2021 werden.

Eines zeigt sich bereits deutlich: Die russischen Bürger sind mündiger geworden. Sie fordern ihre Rechte selbstbewusst ein. Sie wollen sich trotz massiver Drohgebärden der verunsicherten Regierung nicht den Mund verbieten lassen. Für das kommende Wochenende ist die nächste Großkundgebung angekündigt.