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02.08.19 / Im Fokus der Großmächte / Der Frieden von Rawalpindi beendete vor 100 Jahren den letzten der Afghanisch-Britischen Kriege

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-19 vom 02. August 2019

Im Fokus der Großmächte
Der Frieden von Rawalpindi beendete vor 100 Jahren den letzten der Afghanisch-Britischen Kriege
Wolfgang Kaufmann

Mit dem vor 100 Jahren geschlossenen Vertrag von Rawalpindi endete die Kette der anglo-afghanischen Kriege und das Land am Hindukusch erlangte wieder seine volle Souveränität. Damit war es nun auch kein Schauplatz des russisch-britischen Ringens um die Vorherrschaft in Zentralasien mehr. Das hieß aber nicht, dass Afghanistan anschließend auf Dauer zur Ruhe kam.

1747 gründete der Paschtune Ahmad Schah Durrani ein Reich, das zur Keimzelle des späteren Emirates Afghanistan wurde. Das Letztere entstand 1834 auf Betreiben von Dost Mohammed. Ein Jahr später suchte der Herrscher in Kabul die Annäherung an Russland. Dies wiederum alarmierte die Briten, weil das Zarenreich in Turkestan immer weiter nach Süden und somit in Richtung der Nordwestflanke des britischen Machtbereiches in Indien expandierte. Deshalb ließen sie ihre aus 21000 Mann bestehende „Army of the Indus“ im März 1839 in Afghanistan einmarschieren.

Damit begann der 1. Anglo-Afghanische Krieg, der bis Oktober 1842 dauerte und den Interventionstruppen zunächst katastrophale Verluste bescherte. Am Ende konnten sich die Briten dann aber revanchieren und Kabul besetzen, jedoch traten sie hernach den Rückzug aus Afghanistan an, woraufhin Dost Mohammed auf seinen Thron zurückkehrte.

In der Folgezeit machte Russland weitere Eroberungen in Zentralasien: So nahmen die Truppen des Zaren 1868 Samarkand ein und annektierten dann 1873 das Khanat Chiwa. Anschließend schickten die Russen im Sommer 1878 mit der Genehmigung von Schir Ali Khan, dem Sohn und Nachfolger Dost Mohammeds, eine Gesandtschaft nach Kabul. Daraufhin wollte der Vizekönig von Indien, Lord Bulwer-Lytton, zum Ausgleich auch britische Diplomaten in die afghanische Hauptstadt entsenden. Allerdings wurden die selbigen abgefangen und zurückgeschickt, womit Schir Ali den Casus belli für den 2. Anglo-Afghanischen Krieg lieferte.

Dieser begann am 21. November 1878 und verlief ebenfalls sehr wechselhaft für beide Seiten. Der Emir floh vor den heranrückenden Briten und starb dann im Februar 1879 in Masar-e-Scharif. Anschließend unterzeichnete sein Sohn Mohammed Yakub Khan am 26. Mai 1879 den Friedensvertrag von Gandamak. Durch diesen mutierte Afghanistan zu einem britischen Protektorat und Pufferstaat im nordwestlichen Vorfeld Indiens.

Kurz darauf bliesen die Gegner Yakub Khans jedoch zum Aufstand und ermordeten den britischen Gesandten Sir Pierre Louis Napoleon Cavagnari. Die dadurch eingeläutete zweite Runde des Konfliktes gipfelte in den blutigen Schlachten von Maiwand am 27. Juli 1880 und Kandahar am 1. September des gleichen Jahres, in denen einmal die Afghanen und einmal die Briten obsiegten. Am Ende wurde Abdur Rahman Khan neuer Emir in Kabul und trat sogleich jegliche Kontrolle über die afghanische Außenpolitik an das britische Empire ab, wofür er jährliche Zahlungen in Höhe von 60000 Pfund erhielt.

Während der sogenannte „Bismarck von Afghanistan“ an der inneren Einigung seines Landes arbeitete, oktroyierten ihm die Briten 1893 eine neue Grenze zwischen Afghanistan und Indien auf: die sogenannte Durand-Linie. Die verlief nun mitten durch das Stammesgebiet der Paschtunen und verkleinerte das Emirat um ein Drittel.

Trotzdem kehrte in der Folgezeit Ruhe in Afghanistan ein, was auch an der Beendigung des sogenannten „Great Game“ zwischen Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien durch den Vertrag von Sankt Petersburg vom 31. August 1907 lag. Darin akzeptierte der Zar, dass das Land am Hindukusch ein britisches Protektorat war. Aber genau dies wollte Emir Amanullah Khan, der nunmehrige Herrscher Afghanistans, nicht länger hinnehmen, als die britische Herrschaft in Indien nach dem Massaker von Amritsar im April 1919 ins Wanken zu geraten schien.

Also rief er am 6. Mai 1919 den „Heiligen Krieg“ gegen das Empire aus und schickte seine Truppen über die Durand-Linie nach Südosten. Allerdings erwies sich der Gegner personell um den Faktor 15 überlegen und besaß darüber hinaus auch die besseren Waffen. Das demonstrierte er unter anderem am 24. Mai 1919. An diesem Tage warf eine britische Handley Page H. P. 15 unter dem Kommando von Captain Robert Halley 34 Bomben auf den Herrscherpalast in Kabul, was enormen Eindruck auf die Afghanen machte. Andererseits waren die Briten kriegsmüde und Amanullahs Soldaten Meister des Guerilla-Kampfes. Deshalb einigten sich beide Parteien am 8. August 1919 im provisorischen Friedensvertrag von Rawalpindi auf ein Ende des Krieges. Zudem ertrotzte der Emir die Unabhängigkeit seines Landes von Großbritannien, wofür er aber im Gegenzug die Durand-Linie anerkennen und auf weitere Subsidien-Zahlungen verzichten musste. Damit hatte Afghanistan seine Souveränität zurückerlangt, was im Ergänzungsvertrag von Kabul vom Oktober 1921 formell bestätigt wurde.

Dennoch rückte das Land später erneut in den Fokus von Großmächten. Im Zweiten Weltkrieg war es aber nicht das mit dem Status quo weitgehend zufriedene Empire, sondern Deutschland, welches einen Einmarsch erwog und Agenten nach Kabul entsandte. 1979 wiederum schlug die analog dem Zarenreich an Afghanistan interessierte Sowjetunion zu, weil die Mos­kauer Führung ein Überschwappen des Islamismus und Fußfassen des Westens am Hindukusch befürchtete.

Und ab 2001 wurde Afghanistan dann zum Schauplatz des „Krieges gegen den Terror“ unter US-amerikanischer Führung – als Neuauflage des „Great Game“ mit teilweise anderen Akteuren kann man das freilich beim besten Willen nicht ansehen.

Ein erneutes Gerangel zwischen der Führungsmacht des Westens und Russland um die Vorherrschaft in Afghanistan scheint erst jetzt wieder im Bereich des Möglichen zu liegen, da sich zeigt, dass das Land immens viele Bodenschätze besitzt. Diese reichen von Kohle, Erdöl und Uran bis hin zu diversen Erzen und Seltenen Erden sowie Lithium. Der Wert der Rohstoffe wird mittlerweile auf 700 Milliarden bis drei Billionen US-Dollar geschätzt und könnte sowohl die Begehrlichkeit Washingtons als auch Moskaus geweckt haben.

Allerdings ist die geopolitische Lage in der Region deutlich komplizierter als vor 100 Jahren: Zwischen Russland und Afghanistan liegen jetzt die unabhängigen mittelasiatischen Staaten Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan und die USA, der potenzielle zweite Protagonist in einem neuen „Great Game“, bleiben am Hindukusch zwischen dem Iran, China und Pakistan eingekesselt.