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09.08.19 / Mahnmal im Wartestand / Rechnung ohne Wirt gemacht – Köln plant Erinnerungs-Kunstwerk für die NSU-Opfer an der Keupstraße

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-19 vom 09. August 2019

Mahnmal im Wartestand
Rechnung ohne Wirt gemacht – Köln plant Erinnerungs-Kunstwerk für die NSU-Opfer an der Keupstraße
Siegfried Schmidtke

Ein heftiger Streit ist in Köln um ein Mahnmal entbrannt, das an die Opfer des NSU-Nagelbomben­anschlags aus dem Jahr 2004 erinnern soll. Anders als bei der Sanierung der Kölner Oper steht diesmal nicht das „Wie“, „Was“ oder „Wann“ des Objekts infrage, sondern das „Wo“.

Vor 15 Jahren, am 9. Juni 2004, explodierte in der Keupstraße in Köln-Mülheim eine Nagelbombe und verletzte 23 Menschen, vier davon schwer. Wie durch ein Wunder kam niemand ums Le­ben. Es war ein Anschlag der rechtsextremen Terrorgruppe NSU – wie sich erst sieben Jahre später herausstellte. 

Damals, 2004, schloss die Polizei überraschend schnell einen terroristischen Hintergrund für das Attentat aus. Weil in der Keupstraße viele türkische Ge­schäfte, Restaurants und Dienstleister angesiedelt sind, vermutete die Polizei als Ursache Streitereien im „Milieu“ und ermittelte in Richtung Schutzgelderpressung, Drogen, Mafia, Versicherungsbetrug. Wie bei den anderen NSU-Attentaten richteten sich die Ermittlungen vor allem auch gegen die Angehörigen der Opfer und gegen die Opfer selbst.

Seit 2014 erinnern die Kölner jedes Jahr unter dem Motto „Birlikte – Zusammenstehen“ mit Kunst- und Kulturfesten im Stadtteil Mülheim an den Nagelbombenanschlag von 2004. Und der Stadtrat beschloss sogar, ein Mahnmal in Sichtweite des Anschlag-Ortes zu errichten. Der Berliner Künstler Ulf Aminde präsentierte 2016 seinen preisgekrönten Entwurf. Seitdem ruht der Mahnmal-Entwurf allerdings im Wartestand, denn es ergaben sich unerwartet Probleme bei der Standortfrage.

Der Stadtrat hatte nämlich einen Standort vorgesehen, der sich nicht im städtischen Besitz befindet. Das Grundstück Ecke Keupstraße/Schanzenstraße ge­hört einer Eigentümergemeinschaft, die dort ein mehrstöckiges Bürogebäude errichten will. Das geplante Mahnmal, das insgesamt rund 600 Quadratmeter Fläche beanspruchen wird, lehnen die Investoren ab und berufen sich auf ihre Eigentumsrechte.

Dem entgegen lehnt der Künstler Aminde, Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, eine Diskussion über einen anderen Standort für sein Werk kategorisch ab. Das Mahnmal sei genau für die Ecke Keupstraße/ Schanzenstraße entworfen worden. „Es kann nur dort stehen“, beharrt der Künstler auf den Standort.

Im Deutschlandfunk sagte er: „Im Moment habe ich den Eindruck, dass den Betroffenen das Erinnern an den Anschlag und vor allem das Recht auf Erinnerung verwehrt wird. Wir sind in Verhandlungen mit der Stadt und mit dem Investor, dem das Gelände gehört. Und wir haben den Eindruck, dass da nicht mit Hochdruck versucht wird, das Mahnmal ... umzusetzen.“

Fürwahr. Seit Jahren schieben sich Interessenvereine, zum Beispiel die Initiative „Herkesin Meydani – Platz für alle“, Künstler, Eigentümer, Architekten und Politiker gegenseitig den „Schwarzen Peter“ des Nichtstuns zu. Keiner will nachgeben, die eigenen Standpunkte verhärten sich, die Gespräche sind festgefahren.

In dieser Situation hatte Yilmaz Dziewior, Direktor des Kölner Museums Ludwig, die Idee, Be­wegung in die festgefahrene Sache zu bringen. Bis Ende Juli war nun ein Modell des Mahnmals im Foyer des Hauses zu sehen. Die Ausstellung, im Vorraum ohne Eintrittsgebühr zu erreichen, sollte die Museumsbesucher mit ins Gespräch über die strittige Standort-Frage bringen. „Diese Diskussion ist wichtig für die Stadtgesellschaft“, betonte Dziewior.

Ahmed Edis vom Kölner Integrationsrat hoffte, dass die Ausstellung die streitenden Parteien an einen Tisch bringt, um eine Lösung zu finden.

Das ausgestellte Modell des Mahnmals besteht aus einer schlichten Bodenplatte aus Holz. Sie stellt im Maßstab 1:10 die Grundfläche (zirka 6 mal 24 Meter) des Friseurladens in der Keupstraße dar, vor dem vor 15 Jahren die Nagelbombe explodierte. Um das tote Gebilde zum Leben zu erwecken, konnte sich der Museumsbesucher an der Garderobe einen Tablet-Computer ausleihen und damit virtuelle „Wände“ erzeugen. Diese Wände schienen aus der Bodenplatte herauszuwachsen und zeigen Filme und Videos, die die Bewohner der Keupstraße selbst gedreht haben. Darin berichteten sie über den Bombenanschlag, ihre Situation im Quartier und ihre Erfahrungen.

Über eine Computer-App sollen später beim Original-Mahnmal auch Passanten eigene Videos einstellen können. Die virtuelle Konstruktion, so der Künstler, mache sein Kunstwerk für Gegner und Feinde der Erinnerung an den Anschlag unangreifbar.

Von Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die 2015 selbst Opfer eines rechtsextremen Attentäters geworden war, hatten wohl manche ein eindeutiges Wort zum strittigen Standort erwartet. Reker erklärte auch, ihr gefalle der Mahnmal-Entwurf des Berliner Künstlers. Die Bauplanung im Viertel solle das Kunstwerk be­rücksichtigen. Aber allen müsse klar sein, dass die Stadt nicht über fremdes Eigentum verfügen könne. Deshalb sollte über einen alternativen Standort nachgedacht werden.

So positionieren sich nun zwei konträre Gruppierungen zu der Kölner Mahnmal-Frage: Für den vom Stadtrat beschlossenen Standort an der Ecke Keupstraße/Schanzenstraße plädieren die vom Anschlag betroffenen An­wohner, der Künstler und (indirekt) auch die Leitung des Ludwig-Museums. Dagegen stehen die Eigentümer und Investoren des Grundstücks, die Oberbürgermeisterin und die Verantwortlichen in der Kultur- und Stadtbauverwaltung.

Die Ausstellung des Mahnmal-Modells im Museum Ludwig kann die Diskussion forcieren. Ob es dann zu einer Erleuchtung der Kontrahenten kommt und vielleicht zu einer für beide Seiten akzeptablen Lösung, steht allerdings in den Sternen.