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09.08.19 / Demokratischer als das, was wir heute haben / Vor 100 Jahren unterzeichnete Reichspräsident Friedrich Ebert die Weimarer Verfassung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-19 vom 09. August 2019

Demokratischer als das, was wir heute haben
Vor 100 Jahren unterzeichnete Reichspräsident Friedrich Ebert die Weimarer Verfassung
Wolfgang Kaufmann

Der 11. August war der Nationalfeiertag der Weimarer Republik. An diesem Tage des Jahres 1919 mutierte das ehemalige Kaiserreich Deutschland zu einer föderativen Republik mit gemischt präsidialem und parlamentarischem Regierungssystem – symbolisch vollzogen durch die Unterzeichnung der neuen Verfassung seitens des damaligen Staatsoberhauptes.

Wenn Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) etwas nicht ausstehen konnte, dann pompöse Zeremonien im Stile des 1918 untergegangenen Kaiserreiches. Deshalb setzte er sich am 11. August 1919 auch ganz unprätentiös an einen Esstisch im Jägerzimmer seines Urlaubsdomizils „Weißer Hirsch“ in der thüringischen 600-Seelen-Gemeinde Schwarzburg bei Rudolstadt und unterschrieb die von der Weimarer Nationalversammlung beschlossene neue „Verfassung des Deutschen Reiches.“ Diese „Zeremonie“ verlief dermaßen schlicht, dass nicht einmal ein Foto von ihr gemacht wurde. 

Drei Tage später trat die Verfassung mit der Veröffentlichung im Reichsgesetzblatt in Kraft. Damit endete ein knapp sieben Monate währender Prozess, in dessen Verlauf die divergierenden politischen Kräfte in Deutschland nach einem nur sehr knapp verhinderten linkssozialistischen Umsturz um die inhaltliche Ausgestaltung der Verfassung gerungen hatten.

Am Anfang stand dabei die Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung vom 19. Januar 1919, aus der Eberts Partei als stärkste Kraft hervorging, wonach sie mit dem Zentrum beziehungsweise der Bayerischen Volkspartei und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) die Weimarer Koalition bildete. Diese hieß so, weil die Nationalversammlung nicht im ebenso unruhigen wie unsicheren Berlin tagte, sondern im Deutschen Nationaltheater in Weimar. Hier verabschiedete sie am 10. Februar 1919 das Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt, welches den Rahmen für die künftigen Verfassungsorgane und deren Zuständigkeit absteckte und zum Teil auf der Paulskirchenverfassung von 1849 beruhte. 14 Tage später begannen die Verhandlungen über die genaue Ausgestaltung der Verfassung für das nunmehr republikanische Deutschland.

Deren erster Entwurf stammte maßgeblich aus der Feder des Staatssekretärs im Reichsamt des Innern, Hugo Preuß (DDP), und wurde kontrovers diskutiert. Dabei lag die Frontlinie logischerweise zwischen den Abgeordneten, die so weit wie möglich an den althergebrachten Regelungen aus der Zeit der Monarchie festhalten wollten, sowie jenen Parlamentariern, welche eine komplett neue, dezidiert republikanische Verfassung forderten. Und die Letzteren obsiegten dann auch aufgrund der Mehrheitsverhältnisse. Am 31. Juli 1919 nahm die Weimarer Nationalversammlung den überarbeiteten Verfassungsentwurf mit 262 zu 75 Stimmen an; 84 Abgeordnete blieben der entscheidenden Abstimmung fern.

Zwei Tage zuvor war der am 11. Februar 1919 zum vorläufigen Reichspräsidenten gewählte Ebert nach Schwarzburg gekommen, wo er – bewacht von einer 13-köpfigen Eskorte – nach den turbulenten Ereignissen der letzten Monate auf Erholung hoffte. Diese wurde indes permanent durch improvisierte Kabinettssitzungen mit den aus Weimar angereisten Ministern und eben die Unterzeichnung der Verfassung unterbrochen.

Das in Weimar entstandene Dokument löste die Bismarcksche Reichsverfassung vom 16. April 1871 ab und bestand aus zwei Hauptteilen. Im ersten wurden die Zuständigkeiten des Reiches von denen der Länder abgegrenzt; darüber hinaus ging es um die Staatsorgane und deren Kompetenzen. Der zweite Teil enthielt Regelungen bezüglich des Verhältnisses zwischen dem Staat und seinen Bürgern, wozu auch ein umfassender Grundrechtskatalog gehörte. Dabei beruhte die Verfassung einerseits auf dem Prinzip der Volkssouveränität, weswegen die Deutschen die Möglichkeit hatten, über Volksbegehren und Volksentscheide auf Reichsebene unmittelbar in die Gesetzgebung einzugreifen. Andererseits besaß der direkt gewählte Reichspräsident derart umfassende Vollmachten, dass er quasi zum „Ersatzkaiser“ avancierte. So konnte er sowohl die Mitglieder der Reichsregierung ernennen und entlassen sowie den Reichstag auflösen als auch Grundrechte außer Kraft setzen und Notverordnungen verabschieden, wenn der Reichsfrieden gefährdet zu sein schien.

Aus der Sicht vieler Historiker enthielt die Weimarer Verfassung damit zwei schwere „Konstruktionsfehler“, welche dann zum Untergang der Republik und zum Aufstieg der Nationalsozialisten geführt hätten. Letztlich entschied jedoch das konkrete Handeln der jeweiligen politischen Akteure, ob diese Regelungen negative oder positive Wirkungen zeitigten. Deshalb kann man wohl mit Fug und Recht sagen, dass die Weimarer Republik nicht an ihrer Verfassung scheiterte, sondern an der mangelnden Bereitschaft der meisten Entscheidungsträger, für Geist und Buchstaben derselben einzustehen – eine Haltung, die analog auch bei etlichen Politikern der derzeitigen Bundesrepublik zu beobachten ist.

Entgegen der landläufigen Meinung wurde die Weimarer Verfassung nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten nie explizit für ungültig erklärt. Allerdings kam es in wesentlichen Punkten zu Änderungen. So zum Beispiel durch das sogenannte Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 und das Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vom 1. August 1934. Außer Kraft trat die Weimarer Verfassung erst durch die Verabschiedung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise der Verfassung der DDR im Jahre 1949. Abgesehen davon allerdings, dass einige der 1919 beschlossenen Artikel mehr oder weniger unverändert ins westdeutsche Grundgesetz eingingen. Das betrifft die Bestimmungen über die Punkte Religion und Religionsgemeinschaften sowie die Verfahrensweise hinsichtlich der Adelstitel.

Darüber hinaus beeinflusste die Weimarer Verfassung das Grundgesetz der Bundesrepublik auch insofern, als das Letztere in vielen Bereichen ein ganz bewusster Gegenentwurf zu den Regelungen von 1919 sein sollte. Der künftig nicht vom Volke gewählte Bundespräsident besaß keine nennenswerten Kompetenzen mehr; desgleichen wurde die Möglichkeit, Volksentscheide auf Bundesebene durchzuführen, extrem eingeschränkt. Das war ein ebenso deutlicher Rückschritt in Sachen Demokratie wie die prinzipielle Ermöglichung der Fünf-Prozent-Sperrklausel, durch welche nun regelmäßig Millionen von Wählerstimmen wertlos gemacht werden.