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09.08.19 / Knappe Mehrheit für das »würdige Parlamentshaus« / Vor 25 Jahren fand die erste reguläre Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude in Berlin statt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-19 vom 09. August 2019

Knappe Mehrheit für das »würdige Parlamentshaus«
Vor 25 Jahren fand die erste reguläre Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude in Berlin statt
Klaus J. Groth

Die ersten vier Stunden des Bundestages im neu bezogenen Reichstagsgebäude gehörten den Frauen. Gewissermaßen unter sich feierten die Volksvertreterinnen „Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag“. Begrüßt von der Vizepräsidentin Anke Fuchs, hatten sich Volksvertreterinnen aller Parteien viel dazu zu sagen. Zur Besonderheit der Stunde an diesem historischen Tag am historischen Ort fiel niemandem etwas ein: Am 8. September 1999 tagte der Bundestag erstmals regulär im ehemaligen Reichstagsgebäude.

Schon bei der Schlüsselübergabe im April 1999 hatte man Emotionen vermieden. Die Abgeordneten waren zu einer Sondersitzung aus Bonn angereist, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse begrüßte sie im Reichstagsgebäude. Als seien große Worte unpassend, beschäftigte man sich mit Nebensächlichkeiten. Ulla Schmidt witzelte, demnächst benötige man einen Staatsminister für Männerfragen, Volker Kauder beklagte die mangelhafte Ausstattung der Fahrbereitschaft und ganz allgemein wurde bedauert, dass am Vorabend um 22 Uhr der Hausmeister gekommen sei und angeordnet habe, nun müssten alle raus. Kurz, man tat, als sei der Umzug aus der Käseglocke Bonn in die neue Hauptstadt Berlin die selbstverständlichste Sache der Welt. Am 1. Juli 1999 fand dann die letzte Plenarsitzung in Bonn statt.

Selbstverständlich war das keineswegs. Bereits durch den Abschluss des Einigungsvertrages 1990 war Berlin Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschlands geworden. Das bedeutete jedoch nicht, dass der Regierungssitz automatisch dorthin verlegt worden wäre. Dazu bedurfte es erst eines Antrages zur „Vollendung der Einheit Deutschlands“, für den sich Abgeordnete von SPD, CDU, FDP und Bündnis 90 einsetzten. Es wurde kontrovers dis-kutiert. Bei der Debatte zu der Entscheidung am 20. Juni 1991 wurden 600 Minuten Redezeit beantragt. Die Abgeordneten aus Nord- und Mitteldeutschland setzten sich überwiegend für Berlin ein, während die Volksvertreter Süd- und Westdeutschlands in der Mehrheit für Bonn plädierten. So fiel die Abstimmung denkbar knapp aus. Die Auszählung ergab 338 Stimmen für Berlin, 320 für Bonn. Das war eine Mehrheit von gerade 18 Abgeordneten. Im Ergebnis gab es einen geteilten Regierungssitz, Teile der Regierung blieben ebenso in Bonn wie Teile des Bundesrats.

Es floss noch viel Wasser den Rhein und die Spree hinunter, ehe der Beschluss „Sitz des Deutschen Bundestages ist Berlin“ in die Tat umgesetzt wurde. Dabei stand von Beginn an fest, wo der Bundestag künftig tagen sollte: Im Gebäude des ehemaligen Reichstages. Bereits nach der Vereinigung von Bundesrepublik und DDR am 3. Oktober 1990 hatte der Bundestag dort am 4. Oktober getagt, gemeinsam mit 144 Abgeordneten der frei gewählten Volkskammer. Neue Minister wurden vereidigt, Bundeskanzler Helmut Kohl gab eine Regierungserklärung ab. Mehr historisches Bewusstsein konnte nicht sein. Neun Jahre später regierte Gerhard Schröder und historisches Bewusstsein galt als nicht mehr angesagt.

Das bestehende Gebäude des Reichstages mochte noch für symbolträchtige Feierstunden taugen, aber nicht für den parlamentarischen Betrieb. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand von dem hart umkämpften Reichstag nur noch eine Ruine. Berliner bauten auf dem Gelände herum Kartoffeln und Gemüse an. Wegen Einsturzgefahr wurde die Kuppel 1954 gesprengt.

Dennoch beschloss der Bundestag bereits 1955, den zerstörten Reichstag wiederaufzubauen, auch wenn seine Nutzung im geteilten Deutschland nicht klar war. 1961 hatte man sich für den Architekten Paul Baumgarten entschieden, 1973 waren die Arbeiten nach seinen spartanischen Entwürfen abgeschlossen – ohne eine neue Kuppel. Der Plenarsaal war allerdings so groß dimensioniert, dass alle Abgeordneten eines vereinten Deutschlands ihren Platz gehabt hätten. Jedoch: Das Viermächte-Abkommen von 1971 untersagte Plenarsitzungen. So wurde der unmittelbar an der Grenze liegende Reichstag zum Museum („Fragen an die Deutsche Geschichte“) und zum Pflichtprogramm für ausländische Staatsgäste, die von der Außenterrasse auf die Berliner Mauer blick­ten.

Nach dem Beschluss zum Umzug war der Umbau des Reichstagsgebäudes unumgänglich. 80 Entwürfe wurden eingereicht. Drei gleichrangige Entwürfe kamen in die engere Wahl, nach nochmaliger Überarbeitung fiel die Entscheidung für Foster and Partners. Der Entwurf des Briten sah keine Kuppel vor, Norman Foster hatte sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen. Seine Auftraggeber in Bonn aber wünschten sich entschieden eine Kuppel, ähnlich jener Kuppel, die der Architekt Paul Wallot dem von 1884 bis 1894 gebauten Reichstag aufgesetzt hatte. Foster gab nach, er entwarf eine begehbare gläserne Kuppel. Sie besitzt auffallende Ähnlichkeit mit jener Kuppel, die der Architekt Gottfried Böhm bereits 1988 im Auftrag Helmut Kohls entwickelt hatte. Bevor die Umbauten im Juli 1995 begannen, durfte das US-amerikanische Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude mit dem Segen des Bundestages den Reichstag verhüllen, auch wenn darüber debattiert worden war, ob ein Objekt von nationaler Symbolkraft für ein solches Projekt genutzt werden dürfe. Fünf Millionen Menschen besuchten den verhüllten Reichstag.

1996 konnte dann mit dem Umbau begonnen werden. Im Zentrum entstand praktisch ein Neubau, in dessen Mittelpunkt sich der 12000 Quadratmeter große Plenarsaal befindet. Ins Pflichtenheft der Architektur war die Aufgabe geschrieben, die Spuren der Geschichte sichtbar zu lassen. Dazu gehören auch die Graffiti sowjetischer Soldaten, nur sexistische oder rassistische Dinge wurden übertüncht. Gemessen an der langen Vorgeschichte gingen Planung und Umbau diesmal rasch vonstatten. Bereits 1871 war der Bau eines „würdigen Parlamentshauses“ geplant. Doch bis das Reichstagsgebäude am jetzigen Platz fertiggestellt werden konnte, vergingen 23 Jahre, gab es zwei Wettbewerbe. Nun wurde nach Beseitigung der schweren Schäden durch den Reichstagsbrand 1933 und die Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg aus dem Reichstagsgebäude wieder ein „würdiges Parlamentshaus“.