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09.08.19 / Hässliche Konturen des Sowjetsystems / Heinz Timmreck legt dritten Band mit Erlebnisberichten von Flüchtlingen aus Ostpreußen vor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-19 vom 09. August 2019

Hässliche Konturen des Sowjetsystems
Heinz Timmreck legt dritten Band mit Erlebnisberichten von Flüchtlingen aus Ostpreußen vor
Rainer Claaßen

Ostpreußen im Januar 1945: Die große Flucht beginnt, die Menschen sind ratlos, nicht selten kopflos. Kälte und Schneetreiben überall. Im Bahnhof Grünhagen an der Strecke Elbing–Güldenboden–Maldeuten gibt es am 23. Januar gegen zwei Uhr einen Auffahrunfall: Ein Zug mit Flüchtlingen prallt auf einen im Bahnhof stehenden Lazarettzug, es gibt Tote und Verletzte, deren genaue Zahl niemals festgestellt werden konnte.

Unter den Überlebenden befindet sich auch ein Junge aus Buchwalde südlich von Osterode. Sein Name ist Heinz Timmreck. 65 Jahre nach der Katastrophe wird er seine Erinnerung in zwei Büchern zusammenfassen: „Letzte Flüchtlingszüge aus Ostpreußen“ (2011) und „Flucht mit der Bahn 1944/45“ (2014) enthalten neben allerhand Zeitzeugenberichten und Hintergrundinformationen auch eigene Erlebnisse des Autors. Der Ergänzung der vorgenannten Werke dient der jetzt vorliegende dritte Band „Missglückte Flucht Januar 1945“ mit dem sperrigen Untertitel „Die Zugkatastrophe bei Grünhagen im Januar 1945 als Beispiel der Unterschiede in den nationalen Gedächtnissen und Flucht im Januar 1945“. 

Dieser enthält neben einer Handvoll weiterer interessanter Erlebnisberichte eine zweisprachige Abhandlung (deutsch und polnisch) von Tomasz Gliniecki, der als Historiker unter anderem für das „Museum Zweiter Weltkrieg in Danzig“ tätig war und nach Bekanntwerden seiner Vertriebenenpublikationen dort im Februar 2018 geschasst wurde. Der Beitrag von Gliniecki befasst sich mit den Aufzeichnungen und Lageberichten der Rotarmisten, die in Ostpreußen im Januar 1945 kämpften, und vergleicht sie mit den bisher bekannten Veröffentlichungen in der deutschsprachigen Literatur und in den Archiven des Bundes sowie des Lastenausgleichs.

Neue Erkenntnisse zum Grünhagener Unfall enthält der Beitrag nicht. Neigen wissenschaftliche Abhandlungen für nicht-akademisch vorgebildete Leser mitunter zur Langeweile, wird dieser Effekt hier noch verstärkt durch die allzu wörtliche (manchmal auch sinnentstellende) Übersetzung. Ein besseres Lektorat hätte den umständlichen Text straffen und so auf die Hälfte kürzen können. Der Leser kämpft sich entnervt durch Bandwurmsätze und Dienstgrade der sowjetischen Armee, die ihm nichts sagen, und muss dazu noch die Zitate aus den Berichten der Militärführer bewältigen, die eher verschleiernd als erläuternd wirken. 

Allerdings liegt hier auch das Verdienst Glinieckis: Je länger man „durchhält“, umso schärfer erkennt man die hässlichen Konturen des Sowjetsystems, wenn nämlich das massenweise Überfahren von Fluchtwagen mit Menschen und Pferden durch sowjetische Panzer damit entschuldigt wird, dass in den Wagen Waffen und Raketen „hätten sein können“ (nicht: „waren“!), und das wahllose Erschießen von Flüchtlingen damit, dass sie den Vormarsch der Roten Armee „sabotieren“ wollten, indem sie die Straßen künstlich verstopften. Was in der einschlägigen deutschen Literatur bereits angedeutet und von Zeitzeugen berichtet wurde, findet in den Archiven der Sowjetarmee hier eindrucksvolle Bestätigung: Die Rote Armee beging in Ostpreußen am laufenden Band unzählige Kriegsverbrechen, auch und gerade an wehrlosen Zivilisten, was den Tatbestand eines Völkermordes erfüllt.

Ob die acht reproduzierten Aktenauszüge in russischer Sprache und kyrillischer Schrift wirklich notwendig gewesen wären, weiß allein der Autor. Der Schreiber dieser Zeilen ist der russischen Sprache nicht mächtig, und der Mehrheit der Leserschaft dürfte es ähnlich gehen. Erfreulich hingegen ist, dass der hintere Teil des Buches eine Reihe einigermaßen aussagekräftiger Fotos aus Privatsammlungen enthält.

Fazit: Das Buch ist nicht ganz leicht zu lesen, kann aber durch die Betrachtung der sowjetischen Armeeberichte als kleiner Mosaikstein zu einem Gesamtbild des Kriegsendes beitragen. Wer die beiden ersten Bände bereits besitzt, kann die Reihe mit dem dritten Band gut ergänzen.

Heinz Timmreck (Hg.): „Missglück-te Flucht im Januar 1945. Die Zugkatastrophe bei Grünhagen im Januar 1945 als Beispiel der Unterschiede in den nationalen Gedächtnissen und Flucht im Januar 1945“, Books on Demand, Norderstedt 2018, gebunden, 88 Seiten, 17,99 Euro