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23.08.19 / Christen zwischen Hoffnung und Verzweiflung / Während Präsident Erdogan in Istanbul den Grundstein für eine neue Kirche legte, brannten Kirchen im Südosten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-19 vom 23. August 2019

Christen zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Während Präsident Erdogan in Istanbul den Grundstein für eine neue Kirche legte, brannten Kirchen im Südosten
Bodo Bost

In Istanbul hat Präsident Tayyip Erdogan den ersten aramäischen Kirchenneubau seit 1923 genehmigt. Gleichzeitig fielen im Tur Abdin, dem Hauptsiedlungsgebiet syrischer Christen im Süd-osten der Türkei, viele Grund-

stücke den Flammen zum Opfer.

Präsident Erdogan legte Anfang August in Istanbul persönlich den Grundstein zum ersten Neubau eines syrisch-orthodoxen Gotteshauses seit Ausrufung der türkischen laizistischen Republik. Der syrisch-orthodoxe Bischof Yusuf Cetin von Konstantinopel sprach von einem historischen Tag. Der Bau soll im Stadtteil Bakirkoy im europäischen Teil der Stadt entstehen, wo es bisher keine Kirche gibt. In Bakirkoy hatten sich besonders viele syrische Flüchtlinge niedergelassen. Von den etwa 3,6 Millionen syrischen Flüchtlingen in der Türkei leben mehr als ein halbe Million in Istanbul. 17000 von ihnen sind syrisch-orthodoxe Christen.

Das Grundstück, auf dem die Kirche gebaut werden soll, gehörte  nicht der syrisch-orthodoxen, sondern der katholischen Kirche. Der Grundsteinlegung ging ein Rechtsstreit der beiden Kirchen voraus, der, vermittelt über den ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. und Papst Franziskus, gütlich geregelt wurde. Die Türkei ist seit Ausrufung der Republik 1923 durch den Atheisten Kemal Atatürk ein säkularer Staat, in dem jeder Bürger ein Recht auf freie Religionsausübung hat. 

Andererseits haben nach dem Friedensvertrag von Lausanne nur Juden und orthodoxe, katholische und armenische Christen einen offiziell gesicherten Rechtsstatus. Die Christen, die 1914 noch fast 

30 Prozent der osmanischen Bevölkerung ausmachten, stellen heute nur noch 0,1 Prozent der türkischen Bevölkerung, nimmt man die Hundertausenden von Kryptochristen aus. 

Unter den laizistischen Regierungen unter Atatürk und seinen kemalistischen Nachfolgern wurden die Rechte der Christen immer mehr beschnitten, und die letzten Hunderttausenden griechischen Christen wurden in den 1960er Jahren vertrieben. 1971 wurde die einzige Ausbildungsstätte für griechisch-orthodoxe Priester des Ökumenischen Patriarchats auf der Insel Chalki geschlossen. Bis heute wurde sie trotz internationalen Drucks nicht wiedereröffnet. 

Es waren die islamischen AKP-Regierungen unter Erdogan seit 2002, die die Minderheitenrechte der Religionsgemeinschaften stärkten und christliche Abgeordnete wieder ins türkische Parlament brachten. Jüdische und christliche Gemeinden erhielten in den vergangenen Jahren Teile ihrer konfiszierten Immobilien im Wert von rund zwei Milliarden Euro zurück, die unter den Vorgängerregierungen beschlagnahmt worden waren. 

Dennoch verstärkten sich unter Erdogans radikalislamischen Ausfällen, mit denen er die einheimischen Christen für die Politik des Westens mitverantwortlich machte, die verbalen Angriffe und Drohungen gegen die letzten einheimischen Christen. Allerdings braucht der Präsident nach der Wahlniederlage bei der neu anberaumten Bürgermeisterwahl in Istanbul und dem Konflikt mit den USA um die Stationierung russischer Raketen sowie nach dem EU-Konflikt um die Schürfrechte vor Zypern außenpolitische Erfolge. Der Bau einer christlichen Kirche könnte ein erstes Zeichen der Öffnung sein.

Nachdem Erdogan jahrelang erfolglos versucht hatte, das größte Kloster in der Türkei, Mor Gabriel im Tur Abdin im Südosten des Landes, zu enteignen, nehmen Brandstifter ihm scheinbar die Arbeit ab. Tagelang brannte es in den Gebieten um die beiden Klöster Mor Gabriel bei Midyat und Deir Ul Zafaran bei Mardin, in denen die letzten Christen der Türkei relativ kompakt leben. Die Feuerwehr löschte nicht, obwohl große Ländereien und Häuser bedroht waren. 

Bei den bedrohten Häusern handelt es sich um solche von aus Zentraleuropa zurückgekehrten aramäischen Christen, die nach jahrelangen Streitigkeiten die Besitztitel ihrer Häuser zurückerhielten und dort moderne Häuser gebaut haben. Diese Gebiete liegen südlich von Midyat Richtung syrischer Grenze bis Nusaybin, dem einstigen Nissibis, im Südosten der Türkei. Der Name Tur Abdin bedeutet so viel wie „Berg des Knechtes Gottes“. Das dort liegende Kloster Mor Gabriel, in dem sich auch ein Bischofssitz befindet, ist neben den koptischen Klöstern Ägyptens eines der ältesten Klöster der Christenheit, es stammt aus dem vierten Jahrhundert und wurde durchgehend fast 1700 Jahre lang von syrischen Mönchen bewohnt.

Nach Angaben der Behörden sind mittlerweile 200 Hektar Land verbrannt. Auch ein christlicher Friedhof stand in Flammen. Für die Menschen in der Region steht damit nicht nur die Ernte auf dem Spiel, sondern sie sehen auch ihre Kirchen, Klöster und Häuser, die oft in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bürgerkriegsland Syrien liegen, bedroht. 

Immer mehr Menschen glauben, dass die Feuer absichtlich gelegt wurden. Im Sommer besuchen viele aramäische Heimwehtouristen aus Zentraleuropa ihre Heimatorte. Viele Analysten verstehen die Brände als Angriff auf diese rück-kehrwilligen Christen. Sie vermuten eine Taktik dahinter, damit nicht mehr Christen in die vor einigen Jahren bereits fast komplett von Christen entleerte Region zurückkehren. Ohne das alte biblische Rückzugsgebiet im Tur Abdin haben auch die Christen in Istanbul keine Zukunft, dann ist der Kirchneubau dort, sollte er je fertig werden, nur Augenwischerei.