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23.08.19 / Vertreibungsgebiete gibt es nicht mehr / Das Neustädter Folklore Festival beugt sich dem Wandel des Zeitgeistes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-19 vom 23. August 2019

Vertreibungsgebiete gibt es nicht mehr
Das Neustädter Folklore Festival beugt sich dem Wandel des Zeitgeistes
Thilo Gehrke

Das kleine, verschlafen-idyllisch wirkende Städtchen Neustadt in Holstein erwacht alle drei Jahre zu einem großen Sommerfest der Völkerfreundschaft mit bunt verkleideten Menschen aus der ganzen Welt. Seit über 60 Jahren veranstalten Neustadts Bürger das „europäische folklore festival“ auf ihrem großen Marktplatz inmitten der Ostseestadt. Zehn Tage wird dort rituell getanzt, gesungen und geschunkelt, fast jeder darf mitmachen.

Die erstmals 1951 durchgeführte Trachtenwoche fußt auf den bitteren Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, der die kleine Stadt am Meer in den letzten Kriegswochen heimsuchte. Wenige Stunden vor Kriegsende versenkten britische Kampfbomber vor Neustadt auf der Ostsee zwei große deutsche Passagierdampfer und verursachten so den Tod von über 7000 Menschen. Ihre sterblichen Überreste wurden noch Jahre später an die Strände der Lübecker Bucht gespült. 

Unzählige Flüchtlinge und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten landeten zudem an der Schleswig-Holsteinischen Ostseeküste an und fanden dort eine neue Heimat. Sie bildeten die Keimzelle der Trachtenwoche, um ihr schlesisches, sudetendeutsches, ostpreußisches und pommersches Brauchtum zu pflegen und zu überliefern. Volksgruppen also, die in Lied und Wort, Musik und Tanz, Menschen und Charakter ihre Heimat und Landschaft darstellten, um ihre Kultur, Identität und Tradition zu bewahren und den Frieden zu feiern. 

Bei den Treffen der Gruppen untereinander sollten keine künstlerischen Leistungen erzielt werden, sondern Laienspieler oder Volkstänzer sollten ihr Heimatland und dessen Menschen in echter, schlichter und ausdrucksvoller Form sprechen lassen.

Schnell weitete sich der Teilnehmerkreis weltumspannend aus. Alle 400 Gäste der 14 Gruppen werden auch heute noch privat bei Neustädter Familien untergebracht, das Festival selbst wird von über 100 ehrenamtlichen Bürgern organisiert. So wurden und werden Freundschaften geschlossen, die teilweise schon über drei Generationen hinweg Bestand haben.

Vor 50 Jahren erhielt die Ostseestadt daher für ihre Bemühungen vom Europarat die Europafahne verliehen und darf sich somit Europastadt nennen. Obwohl alles unter dem Europabanner steht, sind heute längst Tänzer aus Brasilien, Chile, Korea oder der Mongolei dabei.

Im Jahr 2004 wurde dann durch das das Kuratorium der Trachtenwoche, ein Zusammenschluss der Fraktionsvorsitzenden der Neustädter Politik, die Umbenennung in „europäisches folklore festival“ beschlossen, um jünger und moderner zu erscheinen, denn das dünkelhafte Wort „Tracht“ verbanden die heutigen Macher immer weniger mit dem eigentlichen Auftrag des Festivals, Frieden in Europa zu stiften. Die Fraktionsvorsitzenden befanden auch auf dem Höhepunkt der Immigrationskrise vor drei Jahren, das Erscheinungsbild der deutschen Trachtengruppen an den Zeitgeist der deutschen Willkommenskultur anzupassen. 

Seither werden die Deutschen Tänzer beim Festumzug von muslimischen Kindern und Jugendlichen angeführt, als Zeichen von Weltoffenheit, Toleranz und Vielseitigkeit, schwärmt Barbara Helbach von der Festivalleitung im Neustädter Rathaus im Interview. Die Flüchtlingskinder aus Syrien freuen sich sehr über ihre neue Aufgabe, ein Teil des Festivals zu sein. Als politischer Standpunkt sei das aber keinesfalls zu verstehen, schließlich gebe es bis jetzt noch keine Beschwerden, versichert sie. 

Allen Beteiligten merkt man schnell im Gespräch ihre Leidenschaft für die Veranstaltung an. Alles Handeln diene nur der guten Sache der Toleranz, Vielseitigkeit und Völkerverständigung, freut sich die Vorsitzende des Kuratoriums. 

Auch werden nur authentische Folkloregruppen, also beispielsweise nicht eine türkische Gemeinde aus Deutschland, sondern eine moderne Tanzgruppe direkt aus Istanbul, also aus bestehenden Ländern, eingeladen. „Das kulturelle Erbe des deutschen Ostens, die einstigen Initiatoren des Festivals, ist heute nicht mehr dabei, denn Pommern, Ostpreußen und Schlesien bestünden ja nicht mehr, zudem haben wir mehr Länderbewerbungen als wir Zusagen erteilen können und müssen genau abwägen, wen wir haben wollen,“ erklärte Barbara Helbach. 

Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder. Übrigens: Russland als größter europäischer Nachbar war seit der Krim-Krise auch nicht mehr zu Gast.