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23.08.19 / Deutsche Wirtschaft auf der Kippe / Hans-Böckler-Stiftung warnt vor einer Rezession – Merkel sieht noch keinen Handlungsbedarf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-19 vom 23. August 2019

Deutsche Wirtschaft auf der Kippe
Hans-Böckler-Stiftung warnt vor einer Rezession – Merkel sieht noch keinen Handlungsbedarf
Peter Entinger

Jahrelang konnten die Regierenden in Berlin Kritik an innen- und außenpolitischen Zuständen mit dem Verweis auf die blühende Wirtschaft kontern. Doch damit scheint es vorbei zu sein. Es mehren sich die Anzeichen einer handfesten Krise. 

Nach zehn Jahren Aufschwung schrumpfte die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal um 0,1 Prozent. Alle Frühindikatoren deuten darauf hin, dass sich die Schrumpfung im dritten Quartal beschleunigt. Der Auto- und der Chemieindustrie etwa und den Maschinenbauern bricht die Nachfrage weg. Industrieunternehmen drosseln ihre Produktion, planen Entlassungen, kürzen Schichten oder planen Kurzarbeit. 

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) besuchte in der vergangenen Woche den Ludwigshafener Chemiekonzern BASF, der dieses Jahr 6000 Jobs abbauen muss. Vorstandschef Martin Brudermüller nannte globale Risiken: Trumps Wirtschaftspolitik, die Auswirkungen auf China als wichtigen deutschen Markt und Lieferanten sowie die Gefahr eines ungeregelten Brexit. Hinzu komme der Strukturwandel in der Autoindustrie zum Elektromobil. Experten halten es für möglich, dass die Krise bei BASF ein Vorbote einer internationalen Talfahrt sein könnte. 

Arbeitsminister Heil erklärte, es müsse keine solche Krise geben wie vor zehn Jahren. Aber sie sei auch nicht auszuschließen. Denn es gibt weitere Problemkinder unter den Dax-Konzernen. Die Deutsche Bank will rund 20000 Stellen streichen, Bayer 12000 Stellen und auch bei Siemens, Volkswagen und ThyssenKrupp wird Personal abgebaut. 

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach nach der Präsentation der jüngsten Zahlen von einem „Weckruf und Warnsignal. Jetzt gilt es, mit den richtigen Maßnahmen eine Rezession zu verhindern.“ 

Uneinig sind Wirtschaftsvertreter über das Ausmaß der Probleme. „Deutschlands Konjunktur steht auf der Kippe“, sagte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Chancen für eine rasche Erholung der Wirtschaft und insbesondere der Industrie im zweiten Halbjahr seien deutlich gesunken. Die Gefahr einer Rezession beziffert das IMK derzeit auf 43 Prozent. Marcel Fratzscher, Vorstand des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung erklärte dagegen: „Wir sehen eine Abschwächung der Wirtschaft, aber es ist jetzt keine Krise“, gegenüber dem Nachrichtensender n-tv. Die deutsche Wirtschaft sei grundgesund. „Wir haben gesunde Strukturen, die Unternehmen sind wettbewerbsfähig, sie sind innovativ, der Arbeitsmarkt läuft nach wie vor sehr gut.“

Dennoch ist man auch in Berliner Regierungskreisen alarmiert. Erinnerungen an die große Krise im Herbst 2008 werden wach. Wie 2008/2009 soll es hohe Zuschüsse an Unternehmen geben, damit sie Mitarbeiter nicht entlassen, sondern in Kurzarbeit lange weiter beschäftigen. Aber neben dem „normalen“ Kurzarbeitergeld soll es noch höhere Staatshilfen geben, wenn Betrieb und Arbeitnehmer Monate unfreiwilliger Freizeit bei schlechter Auftragslage zur Weiterbildung und zur weiteren Qualifikation nutzen.

Arbeitsminister Heil stellt einen neuen Transformationszuschuss in Aussicht. Betrieb und Mitarbeiter sollen so für die Transformation, den technischen Wandel fit gemacht werden. Der SPD-Politiker will, dass Betriebe und Arbeitnehmer gestärkt aus einer wirtschaftlichen Krise hervorgehen, wenn die Regierung die „Störung der gesamtwirtschaftlichen Lage“ oder eine tiefgreifende Branchenkrise erklärt. Im Gegenzug sollen sich die Unternehmen verpflichten, kein Personal abzubauen. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht derzeit aber noch keinen Anlass für Konjunkturpakete. Zwar gehe die Wirtschaft in eine „schwierigere Phase“, sagte die CDU-Frau. Sie warnte aber davor, die wirtschaftliche Lage schlecht zu reden. „Wir werden situationsgerecht agieren.“ Dullien warnt die Politik allerdings davor, die Probleme zu unterschätzen. „Dramatischer als der geringe Rück-gang des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal sind dabei allerdings noch die Aussichten auf die kommenden Monate.“ Vor allem die Auftragseingänge und die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe deuteten nicht auf eine schnelle Besserung hin. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) teilte in einer Pressemitteilung ebenfalls mit, dass eine Wende nicht in Sicht sei. Die Geschäftserwartungen gingen in allen Branchen zurück. Die Erwartungen an das Auslandsgeschäft seien so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr.

Für das Gesamtjahr rechnete die Bundesregierung zuletzt mit einem Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent. Im vergangenen Jahr war das Bruttoinlandsprodukt insgesamt noch um 1,4 Prozent gestiegen.