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23.08.19 / Kein Ruhmesblatt in der Biografie Steinmeiers / Elf Jahre vor der aktuellen Schredder-Affäre in Österreich skandalisierte der heutige Bundespräsident die »Bundeslöschtage«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-19 vom 23. August 2019

Kein Ruhmesblatt in der Biografie Steinmeiers
Elf Jahre vor der aktuellen Schredder-Affäre in Österreich skandalisierte der heutige Bundespräsident die »Bundeslöschtage«
Ingo von Münch

Die aktuelle Affäre um das Schreddern von Festplatten aus dem österreichischen Bundeskanzleramt nach dem Ende der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz erinnert an den Vorwurf, nach dem Ende der Amtszeit von Helmut Kohl und unmittelbar vor dem Regierungswechsel zu Gerhard Schröder seien Akten aus dem deutschen Bundeskanzleramt verschwunden und diesbezügliche Daten gelöscht worden. Die Erregung darüber war in Berlin groß, die Aufregung in Wien ist groß. Die interessante Frage ist, ob beide Vorgänge vergleichbar sind.

Die Schredder-Affäre in unserem Nachbarland Österreich ist unter der Überschrift „Ein ,vollkommen normaler‘ Vorgang? Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz gerät durch die Schredder-Affäre unter Druck“ kürzlich hier ausführlich dargestellt worden (siehe Nummer 31 vom 2. August). Knapp zusammengefasst geht es bei dieser Affäre darum, dass ein damaliger Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt in Wien fünf Tage nach Bekanntwerden der Ibiza-Geschichte, die aufgrund einer politisch erstaunlichen Allianz der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) per Misstrauensantrag im Nationalrat zur Abwahl von Kanzler Kurz führte, fünf Festplatten aus dem Bundeskanzleramt bei einem Entsorgungsunternehmen namens „Reisswolf“ zerstören ließ. Weil der Auftraggeber die Rechnung über rund 76 Euro dafür nicht bezahlte und Mahnungen nichts fruchteten, wurde die Sache öffentlich. Die Gegner des Ex-Kanzlers witterten ein gefundenes Fressen; so wird – vermutlich bis zur vorgezogenen kommenden Nationalratswahl – auf dieser Affäre herum gekaut.

Den bekannten Ausspruch von Georg Wilhelm Friedrich Hegel „Aus der Geschichte der Völker können wir lernen, dass die Völker nichts aus der Geschichte gelernt haben“ hat die ungarische Philosophin Ágnes Heller mit der Feststellung ergänzt: „Doch ebenso gilt, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Die Erfahrungen aus verschiedenen Epochen der Geschichte bestätigen dieses Diktum. Jedoch lassen sich Vorgänge erinnern, bei denen sich zumindest die Frage einer Vergleichbarkeit (oder aber der Unterschiedlichkeit) geradezu aufdrängt. So führt die aktuelle Diskussion der österreichischen „Schredderaffäre“ geradewegs und zwangsläufig zu der Erinnerung an den sogenannten Bundeslöschtag in Deutschland. Die heute als „Legende“ bezeichnete, so Rainer Blasius in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, inzwischen fast vergessene Affäre war seinerzeit ein politischer und medialer Aufreger vom Format eines Super-Krimis – war doch sogar von „Regierungskriminalität“ die Rede.

Worum ging es? Nach dem Wechsel der Regierung Kohl zur Regierung Schröder wurden Vorwürfe laut, dass unmittelbar vor dem Regierungswechsel im Herbst 1998 im Kanzleramt rechtswidrig Daten gelöscht und Akten entsorgt worden seien. Als neuer Kanzleramtschef widmete Frank Walter Steinmeier sich mit besonderem Verfolgungseifer der Aufklärung des Vorgangs, den Steinmeier als „ungeheuerlich“ bezeichnete. Eingeleitet wurde ein disziplinarrechtliches Vorermittlungsverfahren; als Ermittlungsführer bestellte Steinmeier den prominenten Politiker und Juristen Burk­hard Hirsch (FDP) – ein politisch kluger Schachzug des SPD-Politikers und eine unkluge Auftragsannahme des FDP-Politikers, zu erklären wohl mit Hirschs vermutlicher Aversion gegen Helmut Kohl. Nach Vorliegen des sogenannten Hirsch-Berichts stellte das Bundeskanzleramt zunächst Strafantrag gegen Unbekannt, später gegen frühere Beamte der Kohl-Regierung – ohne Erfolg; denn die Bonner Staatsanwaltschaft sah keinen für eine Strafverfolgung hinreichenden Tatverdacht, dies trotz erheblichem Mediendruck. So folgten in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ 12000 Leser einem Aufruf des Politikwissenschaftlers Wilhelm Hennis, sich bei der Kölner Generalstaatsanwaltschaft über die „mangelhafte Ermittlungstätigkeit“ zu beschweren – dies übrigens ein Beispiel dafür, wie man empörungsgeneigte Zeitgenossen emotionalisieren kann. Schließlich blieb auch ein Schreiben des Bundeskanzleramtes an den Generalstaatsanwalt ohne Erfolg. Der zunächst der Löschung verdächtigte Beamte wurde später mit der amtlichen Feststellung rehabilitiert: „Alle Vorwürfe waren und sind unbegründet.“

Als Fazit bleibt: Die Inszenierung der „Bundeslöschtage“ war ein für die Verfolger peinlicher Schlag ins Wasser und kein Ruhmesblatt in der Biografie des Juristen und amtierenden Bundespräsidenten in seiner Zeit als Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Politiker sollten sich von der wohlfeilen Versuchung freihalten, einem Vorgänger oder einem Nachfolger am Zeug zu flicken – schon gar nicht mit Hilfe von strafgerichtlichen Verfahren. Der Bonner Staatsanwaltschaft und dem Kölner Generalstaatsanwalt gebührt noch heute Anerkennung dafür, dass sie damals vor politischem und medialem Druck nicht eingeknickt sind.

Was sagt der Vergleich zwischen der Affäre in Wien und der in Berlin? In beiden Fällen ging es um die Vernichtung von Dokumenten – in Wien tatsächlich geschehen, in Berlin nur behauptet. In beiden Fällen wurde einem nicht mehr amtierenden Kanzler nachgetreten – in Wien Sebastian Kurz, in Berlin Helmut Kohl. In Wien ist der Ausgang der Affäre noch ungewiss, in Berlin für den Anzeigeerstatter unrühmlich beendet. Will man eine Prognose wagen, so ist es diese: Die Karriere des Sebastian Kurz wird durch geschredderte Akten nicht gestoppt werden.