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23.08.19 / Schattenseiten im Berlin der »Goldenen Zwanziger«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-19 vom 23. August 2019

Schattenseiten im Berlin der »Goldenen Zwanziger«
Dirk Klose

Egal, was Ernst Gennat (1880–1939), dem „Buddha vom Alexanderplatz“, unter die Finger kam, alles musste zunächst mit einer großen Lupe gemustert werden, ob Obstkuchen, besonders Stachelbeertorte, mit der sich Gennat, Berlins berühmtester „Kriminaler“, zweieinhalb Zentner anfutterte, oder aktuelle Kriminalfälle. Er löste fast 300 Mordfälle in seiner langjährigen Tätigkeit. Jedes Verhör begann er jovial: „Nu sprechen Se sich erst mal aus, dann isset Ihnen gleich wohler.“

Völlig zurecht widmet Nathalie Boegel in ihrem Buch „Berlin. Hauptstadt des Verbrechens“ diesem ungewöhnlichen Kriminalisten ein eigenes Kapitel. Aber nicht nur dieses Kapitel, das ganze Buch zieht den Leser sofort in seinen Bann. Man liest es wahrlich „in einem Rutsch“. Die Autorin ist eigentlich Filmemacherin. Sie hat mehrere Serien über die deutsche Polizei und über Berlin als Hauptstadt des Verbrechens gedreht. Hier hat sie jetzt ihr großes Wissen im Buch zusammengefasst.

Die Jahre der Weimarer Republik stehen im Mittelpunkt. Es waren, wie heute Historiker meinen, weniger die „Goldenen Zwanziger“, sie glichen eher einem „Tanz auf dem Vulkan“. Gerade Berlin spiegelte beides: eine unglaubliche Blüte der Kultur, des fröhlichen, leichten, oft leichtfertigen Lebens, daneben wirtschaftliche und soziale Not sowie eine bis dahin nicht gekannte organisierte Kriminalität. 

Für Letztere stehen die berüchtigten „Ringvereine“, etwa 60 Verbrechersyndikate, die in ihren Reihen einen geradezu perversen Ehrenkodex hochhielten. Daneben zahllose Einzeltäter wie die Korruptionsbrüder Sklarek („den Prüfern bleibt die Spucke weg“) oder die „stillen“ Bankräuber Fritz und Erich Sass, die Wände durchbrachen und Safes knackten, ohne dass ein Laut zu hören war. Da war der Meisterdieb Karl Fried-rich Bernotat, der seine kriminelle Energie auf ein eigentlich liebenswertes Hobby, nämlich seltene und kostbare Bücher, verwandte. Und da war der Kindermörder, der 1929 Berlin derart in Panik versetzte, dass die Verbrechersyndikate der Polizei die Arbeit „abnahmen“, von sich aus den Täter fanden und ihn in Selbstjustiz verurteilten und sofort ermordeten. Fritz Lang hat daraus – mit Komparsen aus dem Milieu – seinen berühmten Film „M“ gedreht. 

Freilich ist das Buch nicht nur eine Aufzählung übelster Verbrechen. Mit Kapiteln zu den Morden an Rosa Luxemburg, Liebknecht, Erzberger und Rathenau, mit dem Porträt Joseph Goebbels als Hitlers „Statthalter“ in Berlin, mit dem „Blutmai“ 1929, mit Erich Mielkes Mordtat an Berliner Polizisten und schließlich mit dem Straßenterror von SA und NSDAP weitet die Autorin das Spektrum auf politisch motivierte Gewalt aus. 

Die Ursachen waren ja fast gleich: Die Entwurzelung vieler heimgekehrter Frontsoldaten nach 1918, wirtschaftliche und soziale Not, gipfelnd in Arbeitslosigkeit und einem Leben am Exis-tenzminimum trieben vielfach ins soziale Abseits und in politische Extreme nach rechts und links. 

Über das Verbrechen gerade in Berlin gibt es nicht von ungefähr schon einige gute Darstellungen, manche noch tiefschürfender, etwa in der Analyse sowohl des Verbrechertums als auch der nicht beliebten, gleichwohl in Fahndung und Verbrechensbekämpfung überaus erfolgreichen Polizei. 

Boegels Buch gefällt durch eine lockere Darstellung, durch Faktenreichtum und souveräne Erzählweise. Aber kann ein solches Thema wirklich „gefallen“? Mord, Raub, Einbruch und Diebstahl gehören zu den düstersten Erscheinungen im menschlichen Zusammenleben.

Nathalie Boegel: „BERLIN. Hauptstadt des Verbrechens. Die dunkle Seite der Goldenen Zwanziger“, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2018, gebunden, 288 Seiten, 20 Euro