23.04.2024

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06.09.19 / Entscheider in Pattsituationen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-19 vom 06. September 2019

Entscheider in Pattsituationen

Nur in ganz wenigen Situationen kann der Bundespräsident Einfluss auf die Gestaltung von politisch relevanten Abläufen nehmen. Im Fall einer Krise besteht seine Aufgabe in der Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit. Erreicht ein Bun­des­kanz­ler­kan­didat auch im dritten Wahlgang nicht die absolute Mehrheit der Stimmen der Bundestagsmitglieder, so obliegt dem Bundespräsidenten die Entscheidung, ihn dennoch zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.

Stellt der Kanzler die Vertrauensfrage und die Mehrheit des Parlaments verweigert es ihm, so kann der Bundespräsident das Parlament auflösen. Sollte er es nicht tun, kann er laut Artikel 81 des Grundgesetzes den „Gesetzgebungsnotstand“ erklären.

Insgesamt dreimal wurde der Bundestag  durch den Bundespräsidenten aufgelöst, nachdem dem Kanzler das Vertrauen entzogen worden war. Während Willy Brandt 1972 tatsächlich nicht mehr über eine Mehrheit verfügte, ließen sich sowohl Helmut Kohl 1982 als auch Gerhard Schröder 2005 bewusst das Misstrauen aussprechen, um Neuwahlen herbeizuführen, obwohl sie jeweils über parlamentarische Mehrheiten verfügten. Kohl fühlte sich durch das – verfassungsrechtlich einwandfreie – konstruktive Misstrauensvotum, durch das er ins Amt gelangt war, nicht ausreichend legitimiert. Auch Schröder glaubte, sich durch Neuwahlen des Rückhalts in der Bevölkerung versichern zu müssen. Kritisiert wurde jeweils, dass es sich um einen Missbrauch der Grundgesetz-Regelungen handle. Beide Male entschied das Verfassungsgericht jedoch, dass die durch die Bundespräsidenten Karl Carstens beziehungsweise Horst Köhler vorgenommene Parlamentsauflösung rechtens gewesen sei. Die nachträgliche „Absegnung“ erfolgte wohl auch, weil insgesamt Neuwahlen mehrheitlich gewünscht waren.E.L.