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06.09.19 / Gegenwind / Angela Merkels Haltung zum Recht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-19 vom 06. September 2019

Gegenwind
Angela Merkels Haltung zum Recht
Florian Stumfall

Die Systemmedien machen dem bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Horst Seehofer immer wieder den Vorwurf, das Wort von der „Herrschaft des Unrechts“ auf Kanzlerin Angela Merkel gemünzt zu haben. In Wirklichkeit ist es der Titel eines Aufsatzes in dem Magazin „Cicero“ von Ulrich Vosgerau, Privatdozent für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Rechtsphilosophie an der Universität Köln aus dem Jahr 2015, zu dem mittlerweile auch ein Buch vorliegt. 

Dies gewinnt neue Aktualität durch den Staatsrechtler und ehemaligen CDU-Verteidigungsminister Rupert Scholz. Er wirft der Bundesregierung ständige Verstöße gegen das Grundgesetz vor. In Bezug auf die Grenzöffnung im Jahre 2015 durch die Kanzlerin sagt er in einem Zeitungsinterview: „Der entscheidende Verfassungsbruch lag darin, dass die Bundesregierung seinerzeit unkontrolliert die Grenzen Deutschlands für eine ebenso unkontrollierte Einwanderung geöffnet hat.“ Die Begründung: Der Artikel 16a Grundgesetz versagt jedem das Recht auf Asyl, der aus einem sicheren Drittland nach Deutschland kommt. Scholz: „Dieser Artikel wurde nicht nur 2015 massiv gebrochen – er wird es seitdem noch immer! Und damit auch das Dubliner Übereinkommen, das das Gleiche besagt.“

Die Bundesregierung, welche die Vorhaltungen eines ehemaligen Mitglieds als unbedeutende Meinung eines Einzelnen abtun möchte, gerät dabei in Bedrängnis durch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. Denn schon im September 2017 wollte ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes die Rechtmäßigkeit der Grenzöffnung nicht bestätigen und nannte ihre Dauerhaftigkeit „rügefähig“. 

Es sind indes nicht Scholz und Vosgerau allein, die manche Maßnahmen der Bundesregierung als unrechtmäßig betrachten. Der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofes für Nordrhein-Westfalen Michael Bertrams spricht von „selbstherrlicher Kanzlerdemokratie“ und wirft Merkel Kompetenzüberschreitung und möglichen Verfassungsbruch vor. Bertrams stellte einen Zusammenhang mit den vielfältigen Bundeswehreinsätzen her: „In unserer repräsentativen Demokratie liegen alle wesentlichen Entscheidungen – gerade auch solche mit Auswirkung auf das Budget – in den Händen der vom Volk gewählten Abgeordneten. Kann also die Entsendung einiger hundert Soldaten nach Mali nur mit Zustimmung des Bundestages erfolgen, dann ist diese erst recht erforderlich, wenn es um die Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge geht.“

Doch derlei berührt weder die Kanzlerin noch ihre Regierung, was sich an einem höchst aktuellen Fall bestätigt. Im Juli dieses Jahres wurde vor Gibraltar von den dortigen Behörden der iranische Tanker „Grace 1“ beschlagnahmt. Die Bundesregierung unterstützte das Vorgehen politisch. Als aber der Wissenschaftliche Dienst feststellte, die Beschlagnahme sei völkerrechtswidrig gewesen, wurde ein Sprecher gefragt, ob die Regierung daraufhin bereit sei, ihre Haltung zu revidieren. Er antwortete mit einem schlichten, aber entschlossenen Nein. 

Nun kann man sehr wohl eine Rechtsaufassung vertreten, die sich von derjenigen einer Gegenseite unterscheidet. Doch zu ignorieren, was die eigenen Fachleute sagen, nur, weil es nicht ins politische Konzept passt, heißt, der Opportunität den Vorrang vor dem Recht zu geben. Das ist umso betrüblicher, als es sich bei dem jüngsten Gutachten bereits um das dritte seiner Art binnen eines knappen Jahres gehandelt hat.

Im September 2018 schloss Merkel im Rahmen einer Diskussion einen Einsatz der Bundeswehr gegen Syrien nicht aus. Der Wissenschaftliche Dienst aber stellte in einem Gutachten über „Rechtsfragen einer etwaigen Beteiligung der Bundeswehr an möglichen Militärschlägen der Alliierten gegen das Assad-Regime in Syrien“ fest, dass dies gegen das Völkerrecht sowie gegen das Grundgesetz und das deutsche Strafrecht verstieße. Eine Reaktion der Bundesregierung steht aus, man fertigt aber die Bedenken des WD gerne als „Blitzgutachten“ ab.

April 2019, die Sache Juan Guaido. Die Bundesregierung erkannte den gescheiterten venezolanischen Putschisten umgehend an, nachdem das die USA zuvor praktiziert hatten. Diese Anerkennung erscheint dem WD als Verstoß gegen den Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates als fragwürdig. Ob die Bundesregierung das Gutachten zur Kenntnis genommen hat, weiß man nicht.

Wenn auch in der öffentlichen Debatte über Recht und Unrecht im Zusammenhang mit der Kanzlerin vor allem die Grenzöffnung im Vordergrund steht, gibt es doch eine ganze Reihe weiterer Beispiele für ihren unbekümmerten Umgang mit gesetzlichen Gegebenheiten. Im Zusammenhang mit der vielfachen Eurorettung hat der Rechtsanwalt und frühere Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler wiederholt auf die Bedrohung des Haushaltsrechts des Bundestags hingewiesen, auch vor Gericht. Dabei zeigt die Methode, wie diese Rettung auf deutscher Seite meist abgelaufen ist, dass sich die Bundesregierung sehr wohl bewusst war, dass sie auf dünnem Eis wandelt. Da wurden im internationalen Rahmen bindende Zusagen gemacht, womit auf den Bundestag, der das abnicken musste, ein solcher Druck ausgeübt war, dass kein anderer Weg blieb, als die Zustimmung.

Auch die Energiewende war, rechtlich gesehen, eine zweifelhafte Sache. Auch hier eine Kanzlerentscheidung, wobei Merkel im Bundestag die Wende verkündete und keinen Platz für Widerspruch mehr ließ. Um die bestehenden einschlägigen Gesetze oder die internationalen Verträge kümmerte sie sich nicht. Oder aber die gleichgeschlechtliche Ehe. Hier wischte Merkel mit einem Nebensatz den Artikel 6 Grundgesetz vom Tisch, bevor man überhaupt näher hinsehen konnte.

Das alles wirft grundsätzliche Fragen nach Merkels Haltung zum Recht auf und in diesem Zusammenhang eben auch zu ihrer politischen Sozialisierung. Auf jeden Fall lässt die Kanzlerin eine gewisse Missachtung des Bundestages erkennen. Ebenso wie bei den finanziellen Zusagen rund um den Euro und seine Genesung läuft es oftmals beispielsweise bei Bundeswehreinsätzen. Erst nach dem Versprechen an die NATO folgt die Stellungnahme des eigentlich Zuständigen, nämlich des Parlaments. Und auch dabei gab es immer wieder eine probate Methode, heikle Dinge durch den Bundestags zu bringen. Man setzt den fraglichen Tagesordnungspunkt weit hinten auf die Agenda des letzten Sitzungstages vor einem Wochen­ende. Wenn es dann später und später wird und den Abgeordneten das Flugticket in den Wahlkreis schon in der Tasche brennt, geht es mit den Abstimmungen ganz leicht. Das gilt auch für den Fall, der wiederholt bei EU-Entscheidungen vorgekommen ist, dass die Abgeordneten die oft mehrhundertseitigen, teils auf Englisch verfassten Unterlagen erst ein oder zwei Tage zuvor zugestellt bekamen, sodass sie oft gar nicht wussten, worum es eigentlich geht.

Das ist nicht der Sinn des Parlamentarismus. Doch es gehören zwei dazu, um diesen zu verfehlen. Einer, der es tut, und die, die sich’s gefallen lassen.