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06.09.19 / Auf Rasiermessers Schneide / Eisfeld wirkt nach dem Kalten Krieg wie aufgetaut – Frühere innerdeutsche Grenzlage erweist sich jetzt als Vorteil

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-19 vom 06. September 2019

Auf Rasiermessers Schneide
Eisfeld wirkt nach dem Kalten Krieg wie aufgetaut – Frühere innerdeutsche Grenzlage erweist sich jetzt als Vorteil
Nils Aschenbeck

Dort, wo Bayern auf Thüringen trifft, liegt stille Provinz. Die meisten Orte der Region sind den Deutschen bis heute unbekannt. Allein das kleine Themar war 2017 durch eine Konzertveranstaltung rechter Gruppen in die Schlagzeilen geraten. Das nahe Eisfeld hingegen, das räumlich noch zu Franken gehört und in dem bis heute der fränkische Dialekt gesprochen wird, ist für die meisten Deutschen ein weißer Fleck. 

Der erste Eindruck, den ein Besucher von der Kleinstadt Eisfeld bekommt, ist ernüchternd. Auch nach 30 Jahren Einheit prägen leerstehende Häuser das Stadtbild, selbst das mächtige und eigentlich recht ansehnliche Ge­bäude am Marktplatz gegenüber dem Rathaus und vor dem Schloss verfällt. Wer sonntags den Ort besucht, findet allein den Döner-Laden „Baran“ geöffnet vor. Zwei, drei Eisfelder sitzen hier, trinken Bier und reden von „Früher“: Welche Geschäfte in welchem Haus hat es damals gegeben? Was konnte man damals noch alles werden in Eisfeld!

Die Hauptstraße herunter zur Kirche wirkt trostlos leer und scheint Vorurteile über die mitteldeutsche Provinz zu bestätigen. Eine Spielhalle gehört zu den größten Geschäften am Ort. Eisfeld liegt direkt an der Grenze zu Bayern. Die frühere Zonenrandlage mag die Ursache für die traurige Stimmung sein, die diese Innenstadt vermittelt. 

Zu DDR-Zeiten gab es im Stadtteil Rottendorf einen Übergang zum Westen. Eisfeld war bis zum Fall der Mauer Sperrgebiet. Hier wurde jeder argwöhnisch beobachtet, der Waldspaziergänge un­ternahm, die Richtung Süden, al­so zur Grenze führten. In Rottendorf wurde nach der friedlichen Revolution unweit der A73 ein Wachturm als Museum eingerichtet, der an die Zeit erinnert, als DDR-Bürger eingesperrt waren.

Sobald der moderne Besucher, der 30 Jahre nach der Vereinigung ge­kommen ist, sich mehr an­schaut als die Altstadt und die Reste der Grenze, sobald er beispielsweise eine Fahrt durch das Industriegebiet unternimmt, beginnt er zu begreifen: Der erste Eindruck von Eisfeld täuscht, ja, er täuscht gewaltig.

Denn Eisfeld ist mit seinen knapp 6000 Einwohnern heute eine florierende Stadt. Die Ar­beitslosenquote des Landkreises Hildburghausen, in dem Eisfeld liegt, ist mit 3,2 Prozent niedriger als die von München, sie ist die niedrigste in Thüringen. Die 2008 fertiggestellte Autobahn 73 führt unmittelbar am Ort vorbei und verbindet Eisfeld mit Erfurt, Co­burg und Nürnberg. Tatsächlich ist die ehemalige Zonenrandlage heute eher ein Vorteil – die Nähe zu Bayern und die ideale Autobahnanbindung an die Hauptstrecken nach Berlin und München befördern Investitionen. 

Nur wenige Kleinstädte können auf derart potente Arbeitgeber wie Eisfeld verweisen. Da ist etwa der Rasierklingenhersteller „Harry’s“. Gegründet kurz nach dem Ersten Weltkrieg als „Ritzma“-Werk, in der DDR weitergeführt als VEB-Feintechnik, gehörte die Eisfelder Produktionsstätte von jeher zu den weltweit besten Ra­sierklingenherstellern. 2014 wurde die „Feintechnik“ vom gerade gegründeten New Yorker Startup „Harry’s“ für 122 Millionen US-Dollar übernommen – und ganz aktuell für 1,2 Milliarden Euro an den Branchenriesen Wilkinson-Sword weiter verkauft. Heute sind dort 600 Mitarbeiter beschäftigt, Tendenz steigend.

Die einstige Jenoptik-Tochter Noblex stellt nur wenige hundert Meter entfernt Zielfernrohre und andere optische Präzisionsgeräte her. Hier sind etwa 100 Personen beschäftigt. Weitere Unternehmen haben sich in Eisfeld angesiedelt, Arbeit gibt es in der Stadt heute offenkundig genug.

Im Schloss, das sich hinter dem Markt erhebt, ist seit Kriegsende das Museum der Stadt ansässig, das sich mit dem Schriftsteller und Sohn der Stadt Otto Ludwig (1813–1865), der Regionalgeschichte und der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze be­schäftigt. 

Ein Zeichen des wirtschaftlichen Aufstiegs der Region ist die Sanierung des Torflügels des Schlosses – samt markantem gläsernen Vorbau. Verdeckt von der großen zentralen Ruine des Ortes entsteht hier zurzeit modernste Architektur, verborgen vor den flüchtigen Blicken der vorurteilsbeladenen Durchreisenden. 

Die Stadt Eisfeld, einst vergessen an der Zonengrenze gelegen, beginnt tatsächlich zu erblühen. Die Blüte ist auf den ersten Blick kaum zu erkennen, aber bei genauerer Betrachtung erkennt man die guten Zeichen der Zeit.