26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
06.09.19 / Wie Archäologen sich irren können

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-19 vom 06. September 2019

Wie Archäologen sich irren können
Wolfgang Kaufmann

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Im Jahre 4019 graben Archäologen die Reste eines Hauses aus dem Jahre 2019 aus und finden dabei eine „Große heilige Urne“, auf der ein ebenso beeindruckender „Halsschmuck“ ruht – das wäre doch die archäologische Sensation schlechthin, oder? Nun ja, zumindest so lange, bis irgendjemand erkennt, dass es sich hier um ein profanes Toilettenbecken mit ebenso profanem Klo-Sitz handelt … Dieses Gedankenexperiment verdeutlicht, zu welch krassen Fehlinterpretationen Ausgräber gelangen können, wenn sie nur das sehen, was sie sehen wollen. Und so etwas kam in der Vergangenheit auch schon ziemlich oft vor, wie der US-Archäologe und Altertumswissenschaftler 

Eric Cline in seinem Buch „Versunkene Welten und wie man sie findet“ zeigt.

Eine wirkliche thematische Lücke schließt er damit allerdings nicht, denn Publikationen zur Geschichte der Archäologie gibt es mittlerweile fast genauso viele wie Sandkörner in manchen Ausgrabungsstätten. 

Andererseits ist Cline eben kein fachfremder Wissenschaftsjournalist, dem mal wieder nach einer größeren Portion Schreibarbeit zumute war, sondern tatsächlich Profi: Seit Beginn seiner Studentenzeit Ende der 1970er Jahre nahm er an mehr als 30 Ausgrabungskampagnen in Israel, Ägypten, Jordanien, Zypern, Griechenland und den Vereinigten Staaten teil. Insofern weiß Cline genau, wovon er spricht, wenn er beschreibt, wie Ausgräber vorgehen.

Seine Schilderung ist dabei zum einen chronologisch gegliedert, beginnt also mit den ersten Archäologen, die ab 1709 in Herculaneum unterhalb des Vesuvs schürften, und endet mit den aktuellen Aktivitäten von Fachkollegen. Zum anderen unternimmt Cline eine ausgedehnte Rundtour durch die verschiedenen Regionen, in denen bereits viele bedeutsame Zeugnisse der Vergangenheit aus dem Boden geholt wurden: Neben dem Mittelmeerraum, Ägypten und Mesopotamien sind dies vor allem auch die Britischen Inseln, Afrika und Zentralasien sowie Nord-, Mittel- und Südamerika. Gleichzeitig versucht er nebenher noch archäologische Techniken zu erläutern und häufig gestellte Laienfragen wie „Woher weiß man, wo man graben muss?“ zu beantworten.

Negativ fällt dabei immer wieder Clines übermäßige Selbstsicherheit auf, was die Richtigkeit seiner Meinung zu kontrovers diskutierten Fragen betrifft: Nicht nur die Ausgräber im Jahre 4019 können in der Deutung gefundener Artefakte schwer danebenliegen, sondern auch Cline! Daher darf sich der Leser gerne von ihm informieren und unterhalten lassen, aber er sollte keinesfalls immer alles für bare Münze nehmen, was der Autor in apodiktischer Weise als die wissenschaftliche „Wahrheit“ schlechthin präsentiert.

Eric H. Cline: „Versunkene Welten und wie man sie findet. Auf den Spuren genialer Entdecker und Archäologen“, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2018, gebunden, 526 Seiten, 28 Euro