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20.09.19 / Vorentscheidung im Wunderland / Auf dem Parteitag der zerstrittenen NRW-AfD in Kalkar wird in zwei Wochen ein neuer Vorstand gewählt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-19 vom 20. September 2019

Vorentscheidung im Wunderland
Auf dem Parteitag der zerstrittenen NRW-AfD in Kalkar wird in zwei Wochen ein neuer Vorstand gewählt
Peter Entinger

Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen tobt der Richtungsstreit in der AfD besonders heftig. Am 5. Oktober wird ein neuer Landesvorstand gewählt. Von dem könnte eine Signalwirkung ausgehen.

„Showdown in Kalkar“, schrieb eine Regionalzeitung in der vergangenen Woche über den bevorstehenden Landesparteitag der Alternative für Deutschland in Nord­rhein-Westfalen. Rund 5300 Mitglieder sind aufgerufen, einen neuen Landesvorstand zu wählen, nachdem sich die Doppelspitze mit dem vergleichsweise linken Liberalkonservativen Helmut Seifen und dem vergleichsweise rechten „Flügel“-Anhänger Thomas Röckemann zerlegt hatte. Mehrere Hundert Mitglieder werden im „Wunderland Kalkar“ beziehungsweise dem zum Freizeitpark gehörenden Kongress­zentrum erwartet – überraschende Ergebnisse sind nicht ausgeschlossen. „Jetzt wissen alle, es geht um die Wurst“, sagte Seifen gegenüber der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Er erwartet ein heftiges Ringen um die Macht, Schlammschlacht inklusive. Seifen sitzt für die AfD im Düsseldorfer Landtag, ist dort stellvertretender Fraktionsvorsitzender unter dem ehemaligen Vorsitzenden der Schill-Partei Partei Rechtsstaatlicher Offensive Markus Wagner. Beide gehören dem sogenannten gemäßigten Lager an. Ihre Gegner um den noch amtierenden Landessprecher Thomas Röckemann und dessen Stellvertreter Christian Blex sind ebenfalls Mitglieder der Landtagsfraktion. 

Während die Fraktion halbwegs geräuschlos arbeitet, ist der Landesvorstand quasi handlungsunfähig. Ein Parteitag im Sommer führte zu einem Massenrücktritt, der Versuch einer Abwahl von Röckemann, Blex und einem Getreuen scheiterte nur knapp. Nun muss nach- oder gar komplett neu gewählt werden, selbst dieses Prozedere ist noch unsicher. 

Nach den fulminanten Erfolgen der mitteldeutschen Landesverbände fühlen sich die „Flügel“-Anhänger um Röckemann im Aufwind. „Wende West! Wie gewinnen wir NRW?“, war das Thema einer Vortragsveranstaltung von Röckemann und seinen beiden Mitstreitern Blex und Jürgen Spenrath sowie der Rechtsanwältin und Solinger Kreisvorsitzenden Verena Wester, die in einem künftigen „Flügel“-nahen Landesvorstand eine herausgehobene Rolle einnehmen soll. „Während die AfD in den neuen Bundesländern längst zur legitimen Volkspartei avanciert ist, schwankt sie in den westdeutschen Umfragen weiterhin zwischen Werten um die zehn Prozent. Was können wir also von den mitteldeutschen Landesverbänden lernen, um ähnliche Erfolge zu erzielen? Was müssen wir vielleicht ganz anders machen? Welche Ziele, welche Vision haben wir für unsere Heimat NRW und wie wollen wir sie erreichen?“, beschreibt Röckemann die Zielsetzung. Seine Gegner sehen dagegen die Fixierung der „Flügel“-Leute auf den thüringischen Landeschef Björn Höcke als Problem und Hauptursache für die mauen Werte im Westen. Zuletzt waren für die AfD an Rhein und Ruhr lediglich sieben Prozent ermittelt worden. „Eine Partei, die Uneinigkeit nach außen trägt, ist eben nicht attraktiv“, lautete der lapidare Kommentar von Parteichef Alexander Gauland. Ob er oder sein Co-Sprecher Jörg Meuthen nach Kalkar reisen werden, ist bislang noch unklar. 

Klar ist hingegen, dass das „Wunderland Kalkar“ Anfang Oktober zu einem verminten Terrain für jeden Bundespolitiker werden könnte. Denn Ende November steht der Bundesparteitag an, auf dem ein neuer Vorstand gewählt werden wird. Während Meuthen sicher wieder kandidieren wird, hält sich Gauland eine weitere Amtszeit offen. Hinter den Kulissen wird nach einem Kandidaten gesucht, der beiden Lagern vermittelbar sein soll und am besten aus den Ostverbänden stammt. Namen wie der des sächsischen Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla oder der des Landesvorsitzenden von Mecklenburg-Vorpommern Leif-Erik Holm kursieren. Die Delegierten aus NRW werden die größte Gruppe stellen, wer in Kalkar als Sieger hervorgeht, wird mit breiter Brust zum Bundesparteitag reisen. 

Meuthen wirkt auf viele „Flügel“-Anhänger wie ein rotes Tuch, seit er in seinem Heimatverband Baden-Württemberg eindeutig Stellung gegen die Höcke-Anhänger bezogen hat. Gauland, bisher unumstrittener Integrator aller Strömungen, hat Federn lassen müssen, nachdem er die Anhänger der geschass­ten Landeschefin von Schleswig-Holstein Doris von Sayn-Wittgenstein als Spinner bezeichnete. 

Ob es ihnen gelingt, in Kalkar ihren Wunschkandidaten durchzusetzen, wird viel über die Machtverhältnisse innerhalb der Partei aussagen. Hinter den Kulissen bringt die Mehrheit des Bundesvorstands derzeit den Bundestagsabgeordneten und Ex-Offizier Rüdiger Lucassen in Stellung. Geht es nach ihm, soll es künftig in der nordrhein-westfälischen AfD nicht mehr zwei, sondern nur noch einen Landessprecher geben. Verantwortung sei nicht teilbar, erklärte der Oberst a.D. Der 68-Jährige gibt sich im Vorfeld als Mann der ruhigen Hand, hält sich aus öffentlichen Streitigkeiten heraus. Er sieht eher zwischenmenschliche denn politische Differenzen als Ursache für das Chaos in NRW. Der Ex-Soldat spricht von einer „gefühlten Spaltung“. Der Landesverband habe es bisher nicht geschafft, „die eigenen Reihen zu schließen und“ die „gesamte Energie auf den politischen Gegner zu werfen“. Selbstbeschäftigung und interner Zwist würden massiv auf Umfrage- und Wahlergebnisse drücken. „Dabei verfolgen wir doch alle dasselbe Ziel: Wir wollen Deutschlands Kraft, Identität und Schönheit bewahren“, sagt er pathetisch. Ob er damit ankommt, wird sich im Wunderland Kalkar zeigen.