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20.09.19 / Erdogans Rache / Istanbuls CHP-Chefin zu zehn Jahren Haft verurteilt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-19 vom 20. September 2019

Erdogans Rache
Istanbuls CHP-Chefin zu zehn Jahren Haft verurteilt
Bodo Bost

Die Istanbuler Vorsitzende der oppositionellen kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) ist zu fast zehn Jahren Haft verurteilt worden. Wegen Tweets aus dem Jahre 2013 im Zusammenhang mit den Gezi-Park-Protesten befand ein Gericht der türkischen Metropole auf Geheiß von ganz oben Canan Kaftancioglu der „Terrorpropaganda“ und „Präsidentenbeleidigung“ für schuldig. Das Urteil ist ein Glied in einer Kette von Maßnahmen, mit denen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Verlust seiner Macht in Istanbul und weiteren Metropolen der Türkei rächen will. Dort hatte die CHP jahrzehntelange AKP-Hochburgen bei den letzten Kommunalwahlen erfolgreich gestürmt und so für einen empfindlichen Dämpfer in der fast 20-jährigen Erfolgsgeschichte Erdogans gesorgt. 

Die Verurteilte, die nicht sofort in Haft musste, verurteilte bei einem Auftritt vor hunderten Anhängern die Entscheidung als politisch motiviert. „Die Entscheidungen werden nicht von den Gerichten getroffen, sondern im (Präsidenten-)Palast“, sagte Kaftancioglu. Der Prozess sei eine Strafe für jene, die zum Sieg des Volkes in Istanbul beigetragen hätten. Da sie keine Reue gezeigt habe, sei die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden, teilte die CHP mit. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass Kaftancioglu bei einer vorangegangenen Gerichtsanhörung ein kritisches Gedicht des linken Dichters Nazim Hikmet verlesen hatte. Hikmet gilt als der Begründer der modernen türkischen Lyrik und als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Türkei.

Die CHP konnte die Kommunalwahlen in den großen türkischen Städten nur gewinnen, weil sie von der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) unterstützt wurde. Deshalb ließ Erdogan zunächst seine Wut an dieser Partei aus und setzte in den vergangenen Wochen unter dem Protest vieler europäischer Institutionen bereits mehrere HDP-Bürgermeister als Terroristen ab. Nun scheint er sich auch an die bislang unantastbare CHP zu wagen. Die älteste aktive Partei des Landes vertritt immerhin das Erbe des Staatsgründers Kemal Atatürk, zu dem sich Erdogan pro forma immer noch glaubt bekennen zu müssen, weil Atatürk als der „Vater aller Türken“ gilt, ein Titel den Erdogan irgendwann einmal selbst für sich beanspruchen wollte.

Die Anklage gegen Kaftancioglu spricht jedem rechtstaatlichen Justizverständnis Hohn. Sie war unter anderem angeklagt wegen eines Tweets zum Tod eines 14-jährigen Jungen, der während der Gezi-Proteste im Sommer 2013 von einem Tränengaskanister der Polizei am Kopf getroffen worden war. Kaftancioglu war im Jahre 2013 Gerichtsmedizinerin und hatte den von Polizisten getöteten Jungen gerichtsmedizinisch untersucht. Seit 2018 ist die streitbare Politikerin CHP-Chefin der Provinz Istanbul und hatte als solche großen Anteil am Wahlsieg ihres Kandidaten Ekrem Imamoglu bei der zweimaligen Bürgermeisterwahl in der Bosporus-Metropole. Bereits bei ihrer Wahl zur CHP-Chefin von Istanbul hatte Erdogan sie als „Terroristin“ bezeichnet.