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20.09.19 / Vizekanzler und Sprecher der Sudetendeutschen / Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm weist bis heute die längste ununterbrochene Amtszeit als Bundesminister auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-19 vom 20. September 2019

Vizekanzler und Sprecher der Sudetendeutschen
Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm weist bis heute die längste ununterbrochene Amtszeit als Bundesminister auf
Friedrich G. Bohm

Vor 70 Jahren trat einer der prägenden Gründungsväter der Bundesrepublik Deutschland sein Amt als Bundesminister für Verkehr an und gestaltete unsere Verkehrssysteme maßgeblich mit. Sein gleichzeitiges Engagement als Sprecher der Sudetendeutschen galt allen Heimatvertriebenen.

Hans-Christoph Seebohm, am 4. August 1903 bei Kattowitz geboren, verbrachte seine frühe Kindheit in Königswerth, einem gut 1000 Einwohner zählenden Ort zwischen Karlsbad und Eger. Sein Vater Kurt war dort bei den Britannia Braunkohlewerken, die sich teilweise in Familieneigentum befanden, als Unternehmer tätig. 

Nach dem Abitur in Dresden studierte er ab 1921 Bergfach im sächsischen Freiberg und in München. Seine Ausbildung beschloss er mit dem Examen als Dipl.-Bergingenieur 1928 und mit der Ausbildung zum Berg­assessor 1931. Er promovierte 1932 zum Dr.-Ing. der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg. Verschiedene leitende Tätigkeiten im Energiesektor schlossen sich an. Während dieser Zeit erwarb er seine universelle Bildung, die er zeitlebens intensiv erweiterte. Im deutschen Bruderkrieg von 1866 sah er den Ausgangspunkt einer tragischen Entwicklung des deutschen Volkes. Der frühere österreichische Kaiserstaat – in zeitgemäßer Ausführung – schwebte ihm als Idee vor: „Europa als Vaterland seiner Völker, die Völker als die natürlichen Einheiten Europas“.

Diese Haltung machte Seebohm immun gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Nie wurde er Mitglied einer der vielen NS-Organisationen.

Nach Flucht und Vertreibung siedelte sich die Familie Seebohm im Weserbergland an. Als Mitglied der Deutschen Partei (DP) – deren Erster Vorsitzender er nicht werden wollte – wurde Seebohm im ersten niedersächsischen Kabinett Minister für Aufbau und Arbeit.

Da er völlig NS-unbelastet war, wurde er in den Parlamentarischen Rat berufen. Sein dortiges, einflussreiches Wirken geriet zu Unrecht in Vergessenheit. Er half besonders bei der Normierung der Freiheitsrechte mit. Der Satz „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden“ (Grundgesetz Artikel 16 (2)) geht auf seine Initiative zurück. Nicht alle seine Vorstellungen drangen durch, beispielweise die Verankerung des Heimatrechtes im Grundgesetz oder die Festlegung aller drei Strophen des Deutschlandliedes als Nationalhymne der neuen Republik.

Nach der Wahl zum ersten deutschen Bundestag am 14. August 1949 bildete sich eine Koalition aus CDU/CSU, FDP und DP. Am 20. September wurde Seebohm zum Bundesminister für Verkehr ernannt. Dieses Amt sollte er in den folgenden sieben Kabinetten ausfüllen – fünf Mal mit Konrad Adenauer und zweimal mit Ludwig Erhard als Bundeskanzler an der Spitze. Damit ist er bis heute der Minister mit der längsten ununterbrochenen Zeit im Amt – Hans-Dietrich Genschers 23-jährige Zugehörigkeit zum Bundeskabinett wurde 1982 unterbrochen..

Zu den gewaltigen kriegsbedingten Substanzverlusten an Verkehrsmitteln und bei den Verkehrsanlagen kamen in seiner Amtszeit eine starke Zunahme des Verkehrs und eine erhebliche technische Weiterentwicklung aller Fahrzeuge. Bei der Verkehrssicherheit gab es erhebliche Probleme – bis zu 20000 Verkehrstote pro Jahr waren zu konstatieren. Daneben musste der Aufbau des Ministeriums vollzogen werden. Bereits am Ende der ersten Legislaturperiode konnten unter anderem das Allgemeine Eisenbahn-, das Bundesbahn-, das Güterkraftverkehrs- und das Personenbeförderungsgesetz sowie das Gesetz über den gewerblichen Binnenschifffahrtsverkehr verabschiedet werden.

Zu seinen weitgespannten Aufgabenbereichen gehörte auch die Gründung verschiedener Bundesanstalten, darunter jene für Güterfernverkehr, das Kraftfahrtbundesamt und das Luftfahrt-Bundesamt. Weiter kamen hinzu die Neugründung der Lufthansa, die Neuausrichtung der deutschen Bahn auf Nord-Süd-Verkehr – bei gleichzeitiger weiterer Elektrifizierung – sowie die Einführung von Containern. Es folgte ein umfangreiches Programm zum Aus- und Neubau von Bundesstraßen, der Beseitigung von Bahnübergängen und die Schaffung von Ortsumfahrungen. Die Freigaben neuer Autobahnkilometer gingen schnell in dreistellige Bereiche.

Seebohm unterstütze die Initiative des „Zeit“-Herausgebers Gerd Bucerius, Gedenksteine mit dem Berliner Bären und der Entfernungsangabe in Kilometern aufzustellen. Er sorgte auch dafür, dass in der Nähe der Zonengrenze Entfernungstafeln mit den Namen ostdeutscher Städte aufgestellt wurden. 

In diesem Sinne füllte er ab 1950 Funktionen in der Sudetendeutschen Landsmannschaft aus und wurde schließlich 1959 ihr Sprecher. Auf dem Pfingsttreffen 1964 forderte er vor 35000 Landsleuten auf dem Nürnberger Hauptmarkt die „Rückgabe der geraubten sudetendeutschen Heimatgebiete an das sudetendeutsche Heimatvolk“ und kritisierte die „vorläufige Gebietsregelung von 1945“. Aufgabe sei die „friedliche Rückgewinnung und später der Wiederaufbau“. Diese und ähnliche Äußerungen trugen ihm heftige Kritik ein – bis heute. Sein unermüdlicher Einsatz für Heimat und Selbstbestimmungsrecht, sein kraftvolles und klares Eintreten für die Belange der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen machten ihn im Ausland bekannter als seine Verdienste im Verkehrswesen.

Zum Teil aus Stolz auf seine irischen Vorfahren, zum Teil aus seinen Erfahrungen als Grenzlanddeutscher und aus dem in seiner Familie tief verwurzeltem christlichen Glauben war er ein Verfechter des Ausgleichs und der europäischen Verständigung. Unrecht konnte seiner Auffassung nach dafür aber keinesfalls eine Grundlage sein.

Im Kabinett Ludwig Erhard wurde er für kurze Zeit noch Vizekanzler. In Kurt-Georg Kiesingers Großer Koalition war für Seebohm plötzlich kein Platz mehr. Er trug schwer am Verlust des Ministeramtes, für das er seine ganze Lebenskraft und Gesundheit eingesetzt hatte. Im Sommer 1967 starb seine Ehefrau – für ihn ein weiterer schwerer Schlag. An den Folgen einer Lungenembolie verstarb er am 17. September 1967 in der Bonner Universitätsklinik – ausgerechnet am Tag der Heimat. 

Seebohm selber wollte kein Staatsbegräbnis. Am 28. September 1967 erfolgte die Urnenbeisetzung im Familiengrab – über 100 Kränze wurde niedergelegt – an öffentlichen Gebäuden wehten die Flaggen auf halbmast. Sein Wunsch, dass seine Asche einmal von der Sudetendeutschen Jugend bei Hohenberg in die Eger gestreut werden soll, ist bis heute unerfüllt. Von offizieller Seite wird heute nicht mehr an Hans-Christoph Seebohm erinnert.