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20.09.19 / Wer an alles denkt, denkt an nichts / Die Flut internationaler Aktionstage drängt die alten Gedenktage aus dem Bewusstsein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-19 vom 20. September 2019

Wer an alles denkt, denkt an nichts
Die Flut internationaler Aktionstage drängt die alten Gedenktage aus dem Bewusstsein
Erik Lommatzsch

Am besten haben es die Augsburger. Im ohnehin feiertagsgesegneten Bun­desland Bayern haben sie mit dem „Augsburger Hohen Friedensfest“ am 8. August noch einen zusätzlichen freien Tag, der allerdings nur auf das Stadtgebiet beschränkt ist. Damit liegen sie an der Spitze. Niemand in Deutschland hat so viele Feiertage wie die Einwohner der Schwabenmetropole. 

Begangen wird damit seit der Mitte des 17. Jahrhunderts das Ende des Dreißigjährigen Krieges, hier besonders verbunden mit dem Ende der Unterdrückung der Protestanten. Wer es als Augsburger mit Geschichte und Religion nicht so hat, kann den aller Arbeitssorgen ledigen 8. August al­lerdings auch nutzen, um den „Weltkatzentag“ beziehungsweise den „Internationalen Tag der Katze“ zu begehen. 

Hier handelt es sich nicht um einen gesetzlichen Feiertag, dafür um einen weltweiten, sogenannten Aktionstag. Davon gibt es inzwischen eine nahezu unüberschaubare Anzahl. Auf Daten einigt man sich entweder auf höchster Ebene oder innerhalb einzelner Organisationen. Dem Zweck soll durch die Institutionalisierung des in jedem Jahr zu begehenden Jubiläums öffentliche Aufmerksamkeit zukommen, das Datum ist Anlass für Veranstaltungen und mediale Beachtung. 

Die Widmungen der Aktionstage sind mitunter sehr speziell, oft stehen soziale und kulturelle Anliegen im Fokus. So gilt der 9. September als „Tag des alkoholgeschädigten Kindes“ oder der  12. Oktober als „Welt-Rheumatag“. Der 18. April wurde zum „Internationalen Denkmaltag“ erklärt, der 21. März zum „Welttag der Poesie“. 

Am Anfang stand die gut gemeinte Absicht, sich auf diese Weise wohlwollendes und förderndes Gehör zu verschaffen – für Probleme oder Anliegen, welche die große Politik mitunter aus dem Blick verliert. Dem steht in jüngster Zeit die Inflation von Tageszuschreibungen entgegen. Der ursprüngliche Sinn solcher Aktionstage wird in Beliebigkeit und Lächerlichkeit überführt, was den Initiatoren nicht bewusst zu sein scheint. Neben dem „Weltkatzentag“ dürfte auch der „Weltbienentag“, erst im vergangenen Jahr von den Vereinten Nationen dem Kalender hinzugefügt und auf den 20. Mai festgesetzt, entbehrlich sein. Ebenso der „Weltyogatag“, 21. Juni, oder der „Internationale Tag des Hasen“, seit 2010 jährlich wiederkehrend am letzten Sonnabend im September.

Natürlich handelt es sich hier nicht um offizielle Gedenk- oder gar Feiertage. Dennoch tragen ihr Aufgreifen, Einträge in Kalender und Akzeptanz dieser Daten dazu bei, das Bewusstsein für religiöse oder historisch-politische Erinnerungsanlässe zu relativieren. Aber auch hier ist zu fragen, inwieweit gerade letztere ihrer ursprünglichen Funktion – der identitätsstiftenden Wirkung und der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung im staatlichen oder nationalen Rahmen – gerecht werden, oder ob auch hier nicht ein Abdriften in Bedeutungslosigkeit oder gar Ideologisierung festzustellen ist. 

Paradebeispiel für ein weltanschauliches Korsett sind die gesetzlichen Feiertage der früheren Sowjetunion. Nicht ein einziger religiöser Anlass war verblieben. Dafür feierte man unter anderem die „Große Sozialistische Oktoberrevolution“, den „Tag des Sieges“ im Zweiten Weltkrieg und am 12. April den „Tag des Kosmonauten“. Diesen Tag, an dem 1961 Juri Gagarin als erster Mensch ins All flog, erklärte die UN-Generalversammlung übrigens 2001 zum „Internationalen Tag der bemannten Raumfahrt“, womit ein weiterer Aktionstag geschaffen war.

In Beliebigkeit abgeglitten ist bereits der „Tag der Deutschen Einheit“. Für die Vereinigung der DDR mit der Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 waren politisch-taktische und, bei der Festsetzung des genauen Termins, wohl auch meteorologische Gründe ausschlaggebend. Es hätte die Möglichkeit gegeben, den Nationalfeiertag auf ein anderes, an historische Traditionen anknüpfendes, weniger aus Zweckerwägungen des Beitrittsjahres gewähltes Datum zu legen. Das Bedürfnis schien nicht gegeben zu sein. Daran, dass der deutsche Nationalfeiertag seit 1997 hier zugleich der „Tag der offenen Moschee“ ist, nimmt kaum jemand Anstoß.