19.04.2024

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04.10.19 / Leipzig, 9. Oktober 1989 / Einer der bedeutendsten Tage der deutschen Geschichte – Unwürdige Erinnerung an die Montagsdemonstration vor 30 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-19 vom 04. Oktober 2019

Leipzig, 9. Oktober 1989
Einer der bedeutendsten Tage der deutschen Geschichte – Unwürdige Erinnerung an die Montagsdemonstration vor 30 Jahren
Erik Lommatzsch

Es waren mindestens 70000. Auch die Zahl von 100000 oder mehr Montagsdemon-stranten wird genannt, die am 9. Oktober 1989 in Leipzig auf der Straße waren. Mit so vielen Menschen, die gegen das SED-Regime aufbegehrten, hatten die DDR-Machthaber nicht gerechnet.

Die Leipziger Montagsdemonstrationen nach dem Friedensgebet hatten immer mehr Zulauf gefunden. Die Staatsführung scheute sich nicht, gewaltsam gegen die von ihr kriminalisierten Demonstranten vorzugehen, die friedlich Reformen einforderten.

Spürbar geworden war dies unter anderem am 2. Oktober, als in Leipzig bereits 10000, nach anderen Angaben bis zu 20000 Menschen auf die Straße gegangen waren. Am 7. Oktober hatten Honecker und Genossen – offenbar fernab jeden Gespürs für die Realitäten – mit großem Aufwand den 40. Jahrestag der DDR gefeiert. 

Entschlossen richtete man sich gegen die am 9. Oktober erwartete Demonstration ein, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Drohgebärden gab es reichlich. So wurde in der „Leipziger Volkszeitung“ ein – natürlich bewusst platzierter – „Leserbrief“ eines Kampfgruppen-Kommandeurs veröffentlicht, der zur Unterbindung der „konterrevolutionären Aktionen“ ein Vorgehen „mit der Waffe in der Hand“ in Aussicht stellte. 

Die SED war eifrig bemüht, die Plätze an den Orten der Friedensgebete, allen voran in der Nikolaikirche, mit eigenen Leuten zu besetzen. 8000 bewaffnete Einsatzkräfte standen bereit. Hauseingän- ge wurden demonstrativ abgeschlossen, um Fluchtmöglichkeiten einzuschränken. Gerüchte verbreiteten sich, Krankenhäuser hätten zusätzliche Blutkonserven angefordert und seien angewiesen, Betten freizuhalten.

Die Gefahr, dass die DDR ein Blutvergießen unter ihren eigenen Bewohnern anrichten würde, um ihre Diktatur weiter aufrechterhalten zu können, war äußerst groß. Eine Erklärung, warum an diesem 9. Oktober dennoch so immens viele Demonstranten in Leipzig zusammenkamen, lässt sich nicht finden. Beteiligte sprechen bis heute von einem „Wunder“. Die vorher wirksame diktaturtypische Angst vor Konsequenzen und Staatssicherheit sei plötzlich abgefallen.

Die Demonstration verlief äußerst diszipliniert und völlig gewaltfrei. Ob der unerwarteten Masse schreckten die Machthaber dann doch vor einem Eingreifen zurück. Dabei hatte niemand die Demonstration „einberufen“, eine „Führung“, auf die die DDR-Sicherheitsorgane hätten einwirken können, gab es nicht.

Mutiger Protest fand auch andernorts in der DDR des Herbstes 1989 statt. Aber die Demonstration in Leipzig am 9. Oktober war der Genickbruch für das SED-Regime – und zwar ausschließlich im metaphorischen Sinne –, ohne den viele der dann in schneller Folge ablaufenden Ereignisse so nicht möglich gewesen wären.

Zum 30. Mal jährt sich nun dieser entscheidende Tag. In der deutschen Geschichte ist er als Tag der friedlichen Revolution positiv besetzt wie wohl nur wenige andere. Durch ein „Lichtfest“ wird auch in diesem Jahr an den denkwürdigen 9. Oktober erinnert. In seinem Grußwort zum „Lichtfest“ schreibt der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) zu Recht: „Das Erbe von 1989 ist die Gewaltlosigkeit.“ 

Seltsam mutet es da an, dass Frank-Walter Steinmeier beim zentralen Festakt von Stadt und Sächsischer Landesregierung die „Rede zur Demokratie“ halten wird. Denn Steinmeier war es, der im September 2018 in seiner Funktion als Bundespräsident zum Besuch ei­nes Konzerts in Chemnitz („Wir sind mehr“) aufrief, auf dem mehrere Musikgruppen auftraten, die regelmäßig primitiv-gewaltverherrlichende Texte darbieten.

Verwässernde äußere Gestaltung der Erinnerung und der unwürdige Festredner sind symptomatisch für den öffentlichen Umgang mit einem der wichtigsten Ereignisse der jüngeren deutschen Vergangenheit.