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04.10.19 / Selbst Kanada ist nicht zu weit / Das Geschichtsseminar der Landsmannschaft Ostpreußen 2019 in Helmstedt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-19 vom 04. Oktober 2019

Selbst Kanada ist nicht zu weit
Das Geschichtsseminar der Landsmannschaft Ostpreußen 2019 in Helmstedt
Andreas Galenski

Stationen der ostpreußischen Geschichte, Teil 5, so lautete das Thema des diesjährigen Geschichtsseminars der Landsmannschaft Ostpreußen vom 20. bis 22. September. Rund 50 Teilnehmer im Alter zwischen 24 und 90 Jahren waren der Einladung der Landsmannschaft Ostpreußen (LO) gefolgt und hatten sich bei spätsommerlichen Temperaturen in der Politischen Bildungsstätte Helmstedt versammelt. Die längste Anreise hatte Harald Steppuhn. Der Sohn ostpreußischer Eltern war extra aus Kanada angereist. 

Den Abendvortrag am Freitag hielt Sebastian Husen. Der LO-Bundesgeschäftsführer war kurzfristig für einen Referenten eingesprungen. Anhand von 100 Bildern erläuterte er die wichtigsten Stationen der ostpreußischen Geschichte in über sieben Jahrhunderten, beginnend mit den Ureinwohnern, den baltischen Prußen, und endend mit den schicksalhaften Ereignissen am Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Der Sonnabend begann mit einem Vortrag von Rechtsanwalt Lars Rosinsky über die rechtlichen Beziehungen Ostpreußens zu Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts. Ostpreußen war nicht Teil des Alten Reiches und gehörte nach 1815 auch nicht dem Deutschen Bund an. Erst mit der Gründung des Norddeutschen Bundes 1867 und des Deutschen Reiches 1871 wurde Ostpreußen auch im staatsrechtlichen Sinn ein Teil Deutschlands. Im Vordergrund standen rechtliche Aspekte wie die Einflusssphären von Kaiser und Papst im Mittelalter, die Deutung der Lehnsherrschaft oder die Einordnung der Personalunion mit Brandenburg. Ein sehr interessantes, aber auch vielschichtiges Thema, das der Referent in verständlicher Form zu vermitteln wusste. 

Professorin Monika Wienfort, Berlin,  befasst sich als Neuzeithistorikerin mit der Rechts- 

und Verfassungsgeschichte des 

19. und 20. Jahrhunderts. Ihr Spezialgebiet ist die Erforschung des preußischen Adels und der Patrimonialgerichtsbarkeit. Sie sprach über „Frauen im Verein – Formen gesellschaftlicher Mobilisierung in den provinzialen Strukturen Ostpreußens von 1860 bis 1910“ und stellte drei Beispiele aus dem Bereich des weiblichen Engagements dieser Jahre vor, den Vaterländischen Frauenverein, die Aktivitäten der Gräfin Anna Lehndorff und den Landwirtschaftlichen Hausfrauenverein. 

Der Vaterländische Frauenverein, oder korrekt „Deutscher Frauenverein zur Pflege und Hilfe für Verwundete im Kriege“, wurde von der preußischen Königin und späteren deutschen Kaiserin Augusta 1866 gegründet. Der Zweck dieses Vereins, der in Ostpreußen seinen Anfang nahm, beschränkte sich auf karitative Tätigkeiten. Monika Wienfort schilderte danach die Bemühungen der Gräfin Anna Lehndorff auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege.  An Ideen und Ausdauer mangelte es der Gräfin nicht, so gründete sie 1880 in Angerburg die Wohltätigkeitsanstalten Bethesda als Siechenheim für Arme, Krüppel und Blinde. Nach dem Ausbau dieser Einrichtung durch Superintendent Hermann Braun war die Provinzial-, Heil-, Lehr- und Pflegeanstalt Bethesda mit 35 Gebäuden die zweitgrößte Anstalt der Inneren Mission in Ostpreußen.

Ein weiteres Beispiel für weibliche Vereinstätigkeiten ist die Gründung des Landwirtschaftlichen Hausfrauenvereins, die auf Initiative der ostpreußischen Gutsfrau Elisabet Boehm erfolgte.

Der am 2. Februar 1898 in Rastenburg gegründete erste Landwirtschaftliche Hausfrauenverein wurde zum Ausgangspunkt einer Organisation im landwirtschaftlichen Bereich beheimateter Frauen, die sich bis 1933 zu einem der bedeutendsten Frauenverbände entwickeln sollte. Der Verein setzte auf ländlich-hauswirtschaftliche Weiterbildung der Frauen und die Schaffung günstiger Absatzmöglichkeiten der ländlichen Hauswirtschaft.

Den Nachmittag eröffnete Jürgen W. Schmidt, 1. Vorsitzender des Preußeninstitutes Remscheid, mit einem ernsten Thema, dem Umgang mit der Trunksucht in Preußen am Beispiel der Westpreußischen Trinkerheilanstalt Sagorsch. 

Das Problem der Trunksucht im 19. Jahrhundert war in Preußen ein gesamtgesellschaftliches Problem. Vor allem Kartoffelschnaps war für jedermann erschwinglich und überall erhältlich. Dies führte dazu, dass in den Gasthäusern und Schankwirtschaften in Stadt und auf dem Land sogenannte Trinkerlisten aushingen, auf denen die ortsansässigen Trinker aufgeführt waren. Der Verkauf von Alkohol an diese war strengstens verboten, harte Strafen wie Konzessionsentzug drohten den Wirten. 

Im Jahre 1893 wurde die Westpreußische Trinkerheilanstalt in Sagorsch (Kreis Neustadt) auf Ini-tiative von Pfarrer Rindfleisch gegründet. Die Trunksucht wurde als Krankheit angesehen, deren Behandlung im sofortigen Entzug und der Beschäftigung der Patienten mit Feld- und Gartenarbeiten bestand. 

Der Ertragsüberschuss aus dem Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte wurde auch für den Bau einer Unterkunft für weibliche Trunksüchtige verwandt. Die private Trinkerheilanstalt existierte bis 1914. 

Anschließend sprach Wolfgang Freyberg, Direktor des Kulturzentrums Ostpreußen in Ellingen, über die Volksabstimmung in Ost- und Westpreußen am 11. Juli 1920.  Zwei Wochen nach der Abstimmung tagte der Reichstag in Berlin. Die Sitzung begann mit der Ansprache des Reichstagspräsidenten Paul Löbe anlässlich des Abstimmungsergebnisses in Ost- und Westpreußen, mit der auch Freybergs  einen Vortrag eröffnete. 

In seinen weiteren Ausführungen beleuchte Freyberg die ganze Bandbreite deutscher und polnischer Aktivitäten und ging besonders auf das Wirken der Interalliierten Kommission für die Volksabstimmung (aus britischen, französischen, italienischen und japanischen Offizieren bestehend) ein. Zu dem Thema Volksabstimmung hat das Kulturzentrum eine Ausstellung und einen von der LO mitfinanzierten Begleitkatalog mit zahlreichen Aufnahmen erstellt, der beim Kulturzentrum Ostpreußen unter Telefon (09141) 8644-0 käuflich erworben werden kann. 

Nach dem Abendbrot folgte „Freyberg – Teil 2“, der Direktor des Kulturzentrums stellte sein Haus und die Aktivitäten der Ellinger Einrichtung vor. Neben Archiv und Bibliothek gibt es ein museales Schaufenster zur Landes- und Kulturgeschichte Ostpreußens und regelmäßig Sonderausstellungen. Zusätzlich hat das Kulturzentrum zweisprachige Ausstellungen zur Geschichte einzelner Städte erstellt, die dauerhaft im südlichen Ostpreußen gezeigt werden. Kooperationen mit russischen, polnischen und litauischen Einrichtungen runden die grenzüberschreitende Arbeit ab. Unterstützt wird Freyberg bei seiner Arbeit in Ostpreußen auch von Gabriela Kusajda. Zu den besonderen Veröffentlichungen des Kulturzentrums zählen die Zeitzeugenprojekte. Frau Kusajda, die hierfür die Interviews geführt hat, berichtete über ihr letztes Projekt „Neue Nachbarn – Deutsche und Polen im Ermland und in Masuren nach 1945“. 

Der erkenntnisreiche Tag fand seinen Abschluss in der Keller-klause des Bildungszentrums. Bei einem Gläschen Bier sprach 

man noch über die Trinksucht, die Volksabstimmung vor fast 

100 Jahren und machte neue Bekanntschaften. Schon hier bei dem „gemütlichen Teil des Seminars“ wurde resümiert: „Herr 

Dr. Husen hat an uns den Bildungsauftrag erfüllt, Prost“.

Der letzte Tag bot noch zwei interessante Vorträge. Der Historiker Marco Wachtel sprach über die Geschichte des Rundfunks in Ostpreußen. Die Anfänge dieser Technik sind im militärischen Bereich zu finden, bis dann 1919 die Freigabe für die zivile Nutzung erfolgte. Im Januar 1924 fand die Gründung des Senders Königsberg statt. In der Anfangszeit nur mit wenigen Minuten Sendezeit, entwickelte sich der Ostmarkenrundfunk zum Reichssender Königsberg mit vielfältigem Programm. Der anfängliche Gedanke des Rundfunks als Bildungsmedium geriet immer mehr in den Hintergrund zugunsten der Unterhaltung. Der Vortrag von Wachtel wurde von seltenen Tondokumenten begleitet. Darunter eine Rarität: Der Wortbeitrag des berühmten 1862 in Königsberg geborenen Mathematikers David Hilbert, dem sprachlich seine Herkunft aus Ostpreußen deutlich anzuhören war. 

Den Abschluss bildete der Vortrag von Henriette Piper zum Lebensweg des letzten Pfarrers von Königsberg – Hugo Linck (1890–1976). Als Mitglied der Bekennenden Kirche stand der Königsberger Pfarrer im Widerspruch zum NS-Regime. Trotz drohender Eroberung Ostpreußens durch die Rote Armee entschied er sich im Januar 1945 gegen die Flucht und blieb bei seiner Gemeinde, bis er zusammen mit seiner Frau und den letzten Überlebenden der „Kaliningrader Hölle“ im Frühjahr 1948 abtransportiert wurde. Als Pastor in Hamburg und Seelsorger seiner versprengten ostpreußischen Gemeinde begann er im Nordwesten Deutschlands ein zweites Leben.

Auf der Grundlage von Hunderten von Briefen aus dem Nachlass ihrer Großeltern rekonstruierte Henriette Piper die Lebensgeschichte ihres Großvaters – eines Mannes, der sein Gewissen und seine Verantwortung gegenüber den Mitmenschen stets über sein eigenes Wohlergehen stellte.

Mit dem gemeinsamen Absingen des Ostpreußenliedes endete das Geschichtsseminar, einige notierten sich anschließend noch den Termin fürs nächste Jahr 

(18. bis 20. September), sie wollen alle dabei sein, wenn es in der Politischen Bildungsstätte Helmstedt heißt: Stationen der ostpreußischen Geschichte, Teil 6. Das Seminar wurde gefördert durch Mittel der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien über das Kulturreferat am Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg.