28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
11.10.19 / Konservative Denkfabrik im Musterländle / Baden-Württembergs Ex-Ministerpräsident Hans Filbinger gründete vor 40 Jahren mit Gleichgesinnten das Studienzentrum Weikersheim

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-19 vom 11. Oktober 2019

Konservative Denkfabrik im Musterländle
Baden-Württembergs Ex-Ministerpräsident Hans Filbinger gründete vor 40 Jahren mit Gleichgesinnten das Studienzentrum Weikersheim
Erik Lommatzsch

Im Rückblick erklärte Hans Filbinger: „Damals, im Jahre 1979, befand sich die Regierung der sozial-liberalen Koalition in der Agonie der spätmarxistischen Renaissance. Der Terrorismus, der sich aus der sogenannten Kulturrevolution der 68er abgespalten hatte, erreichte 1977 seine Kulmination … Wir forderten die geistig-politische Wende ein …“

Ein reichliches Jahr, nachdem Filbinger sich im August 1978 gezwungen gesehen hatte, vom Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten zurückzutreten, wurde maßgeblich auf seine Initiative hin das „Studienzentrum Weikersheim“ (SZW) gegründet. Das Bedürfnis nach Zusammenschlüssen, Diskussionsforen und öffentlichkeitswirksamer Präsenz von Personen, die sich dem immer mehr Einfluss und Deutungshoheit beanspruchenden linksliberalen, linken oder gar linksradikalen Spektrum entgegenstellten, war spürbar gegeben. Zu verweisen wäre etwa auf den 1970 gegründeten „Bund Freiheit der Wissenschaft“, den auf Filbingers Kultusminister Wilhelm Hahn zurückgehenden „Tendenzwende“-Kongress vom Dezember 1974 oder den reichlich drei Jahre später in Bad Godesberg veranstalteten Kongress „Mut zur Erziehung“.

Die Ansprüche des SZW – benannt nach dem Tagungsort, dem Hohenloheschen Renaissanceschloss Weikersheim – waren von Anfang an sehr hoch gesteckt. Der Historiker Peter Berglar führte auf der ersten Versammlung aus: „Dies soll ein Reanimationszentrum, ein Rehabilitationszentrum nicht nur der CDU/CSU, sondern des gesamten deutschen Volkes werden, und nicht nur unseres Volkes.“ 

Etwa 330 Teilnehmer wurden gezählt. Am 12. Oktober 1979 wählte die Mitgliederversammlung Filbinger zum Präsidenten. Dieses Amt hatte er bis 1997 inne, um anschließend als Ehrenpräsident zu fungieren. Unermüdlich war er, unterstützt durch eine Reihe von Mitstreitern, mit der Organisation einer Vielzahl von Kongressen, Tagungen und Vorträgen befasst. 

Fiel der Begriff „konservativ“, so wurde er in der Regel mit dem Stichwort „Erneuerung“ verbunden. Der beabsichtigte Einfluss auf die Unionsparteien blieb allerdings aus, ungeachtet des Engagements einer Reihe von Parteimitgliedern für das SZW. Helmut Kohl beklagte noch in seiner Regierungserklärung vom Oktober 1982 die „geistig-moralische Krise“ und forderte eine entsprechende „Wende“. Dies erwies sich nicht nur nach dem Dafürhalten der „Weikersheimer“ als bloße Ankündigung, die schnell in Vergessenheit geriet.

Der Philosoph Günter Rohrmoser, langjähriger Vizepräsident des SZW, arbeitete drei wesentliche Linien heraus, an denen vor dem Hintergrund der „Kulturrevolution“ anzusetzen sei. Deren Vertreter gingen davon aus, nicht in einer Demokratie zu leben, durch die herrschende Staatsform seien nur die totalitären Strukturen verhüllt, die bekämpft werden müssten. Ihnen sollte – erstens – seitens des SZW ein Demokratiebegriff entgegengesetzt werden, der eben nicht „den Charakter einer permanenten Revolutionierung … aller politischen Umstände und Verhältnisse“ hatte. 

Das zweite Ziel war es, die Bedingtheiten historischer Kontinuitäten ins Bewusstsein zurückzurufen. Eine von den „Kulturrevolutionären“ als Ziel angesehene völlig neue Welt mit neuen Lebensbedingungen zu schaffen sei, so Rohrmoser, schlicht nicht möglich. Eng verbunden damit war die dritte Linie. Rohrmoser unterstrich die Notwendigkeit der Zurückweisung der Idee des „neuen Menschen“, der Idee einer von Herbert Marcuse, einem der Hauptprotagonisten der 68er, vertretenen „anthropologischen Revolution“. Bezüglich des Konservatismus-Verständnisses formulierte Rohrmoser, man strebe nicht an, „abgegoltene, verloschene Traditionen neu zu beleben, … sondern in dem großen Erbe unserer Vergangenheit das zu entdecken, was in ihm ‚Zukunft‘ war“.

Vor diesem Hintergrund wurden auf großen Veranstaltungen Akzente gesetzt mit Themen wie „Was bedeutet geistige Führung in der Bundesrepublik?“ im Jahr 1981, oder „Deutsche Identität heute“ und „Umweltschutz – Herausforderung unserer Generation“, jeweils 1983. Die Bedeutung von Medien und öffentlicher Meinung war im Blick, das stete Festhalten am Gedanken der deutschen Einheit auch vor den Umbrüchen des Jahres 1989 gehörte zum Selbstverständnis. Die Aktivitäten des SZW erweiterten sich um „Internationale Hochschulwochen“ und „Sicherheitspolitische Tagungen“, ein Jugendverband kam hinzu. Auf den vielfältigen Referentenlisten finden sich unter anderen die Namen der CDU-Politiker Nobert Blüm, Heinz Riesenhuber und Alfred Dregger, des damaligen Juso-Vorsitzenden und späteren Bundeskanzlers Gerhard Schröder oder des nachmaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck.

Zwar gab es durchaus Presseurteile wie jenes, das SZW habe sich „in kurzer Zeit eine Spitzenstellung unter den privaten deutschen Akademien errungen“, insgesamt überwog in der Wahrnehmung allerdings das negative Urteil. Man war versucht, Weikersheim möglichst weit „rechts“ zu verorten. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den dort geführten Diskussionen und den Publikationen stand dabei nicht im Vordergrund. „Abarbeiten“ konnte man sich auch an der Person des ersten Präsidenten Hans Filbinger. Die permanenten Vorwürfe und Unterstellungen waren der vom SZW selbst beabsichtigen Wirkung äußerst abträglich, zumal man auf private Spenden und öffentliche Fördergelder angewiesen war. Die zeitweise stärkere Orientierung auf Wirtschaftsfragen seit Ende der 1990er Jahre trug zur Beruhigung der Lage bei, allerdings schwand im Gegenzug das Interesse am SZW.

Inzwischen ist eine Rückkehr zu einem umfassenderen Themenbereich erfolgt. Das SZW versteht sich ausweislich der von ihm veröffentlichten „Weikersheimer Thesen“ gegenwärtig als „Diskussionsforum für die zeitgemäße Formulierung eines freiheitlichen Konservatismus“, wo die Auseinandersetzung auf „den geistigen Grundlagen Europas in Antike, Christentum und Aufklärung“ geführt wird.

Auch wenn die Teilnehmerzahlen der Veranstaltungen zur Zeit der Präsidentschaft Filbingers bei Weitem nicht mehr erreicht werden, so ist das SZW auch noch 40 Jahre nach seiner Gründung aktiv. Und unverändert gibt es Gegenwind. Die staatliche Schlösserverwaltung des grün-schwarz regierten Bundeslandes Baden-Württemberg teilte dem SZW kurz vor seiner diesjährigen Herbsttagung mit, den Veranstaltungsraum auf dem Gelände des Schlosses Weikersheim – ob der geringeren Teilnehmerzahl war man seit geraumer Zeit vom Hauptbau auf die Orangerie ausgewichen – in Zukunft nicht mehr zur Verfügung zu stellen. Nachdem vier Jahrzehnte lang Konferenzen abgehalten werden konnten, wurde nun entschieden, dass „kulturhistorisch bedeutsame Monumente“ des Landes „ausschließlich kulturellen Zwecken vorbehalten sein sollen“.