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11.10.19 / Mein Marsch durch die Servicewüste / Nichts geht mehr: Das Wochenprotokoll eines entnervten Kunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-19 vom 11. Oktober 2019

Mein Marsch durch die Servicewüste
Nichts geht mehr: Das Wochenprotokoll eines entnervten Kunden
Wolfgang Kaufmann

Service, Schnelligkeit, Freundlichkeit und Kompetenz – diese Begriffe werden ständig im Munde geführt, wenn es darum geht, Kunden zu gewinnen. Die Realität jenseits der vollmundigen Versprechungen sieht dann aber freilich ganz anders aus. Über weite Strecken leben wir mittlerweile in einer Dienstleistungswüste, wie das nachfolgende Protokoll exemplarisch zeigen soll.

Montag: Laut Plan fährt der Bus der Oberelbischen Verkehrsgesellschaft Pirna-Sebnitz um       5.18 Uhr. Tatsächlich zeigt er aber schon um 5.10 Uhr seine Rück­lichter. Dann also mit dem nächsten Bus zum S-Bahnhof Pirna. Dort herrscht wieder einmal Chaos: Die Tafel am Bahnsteig vermeldet das eine, die Lautsprecherdurchsage verkündet das Gegenteil. Die S-Bahn hält sich an keine der beiden Verheißungen und kommt erst mal gar nicht. 

Eine Auskunftsperson vor Ort? Fehlanzeige. Dann – gefühlte Ewigkeiten später – rollt der Zug ein. Ohne vorherige Ansage. Die Fahrgäste haben ja Augen im Kopf. In Dresden angekommen, die nächste Irritation: Wo bleibt die Straßenbahn? Antwort hierauf geben die Aushänge der örtlichen Verkehrsbetriebe: „Ferienfahrplan“! Jedes Jahr in den Schulferien wird der Linienverkehr ausgedünnt. 

Wer zu dieser Zeit arbeitet, darf sehen, wie er pünktlich von A nach B kommt. Und die gerade im Sommer massenhaft einströmenden Touristen, welche treu und brav die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, müssen das bisschen Warterei eben auch ertragen. Wenn Bus und Bahn dann endlich kommen, ist Schwitzen angesagt: Klimaanlage? Wieso denn? Wir sind schließlich nicht in der Dritten Welt, wo inzwischen fast jedes Verkehrsmittel klimatisiert ist.

Dienstag: Früh schnell zum Bäcker, um frische Brötchen zu holen. Aber nicht heute: „Aus personellen Gründen öffnen wir momentan erst um 9 Uhr.“ Tja, um diese Zeit arbeiten manche schon zwei Stunden. Das Spielchen setzt sich am Nachmittag fort. Die Post hat wegen einer „Personalversammlung“ geschlossen und die Filiale der Bank, weil es immerhin schon ganz schön spät ist. So kurz vor vier … Ebenso verrammelt die Fleischfachverkäuferin von gegenüber gerade die Türe ihres Ladens, an der ein Zettel prangt: „Zur Zeit müssen wir leider aus betrieblichen Gründen um 16 Uhr schließen.“ Zu Hause dann ein Anruf der Allianz-Versicherung. Man möge doch bitte in die Geschäftsstelle am anderen Ende der Stadt kommen, um die Datenschutzrechtliche Einwilligungserklärung zu unterschreiben. Auf die Frage, ob sich das nicht auf dem Postwege lösen lasse, ertönt die barsche Antwort: Nein, das sei zu aufwendig!

Mittwoch: Zweiter Versuch, „nicht zustellbare“ Pakete von der Post abzuholen. Zwar könnte der DHL-Fahrer solche Sendungen auch ganz unkompliziert im DHL-Shop im Erdgeschoss abgeben, aber auf dem kilometerweit entfernten Postamt liegen sie bestimmt viel besser und sicherer. Dann kommt der Moment der erhofften Übergabe – nach endlosem Warten in einer ebenso endlosen Schlange. 

Doch nun findet die Schalterfachkraft die Pakete trotz allen Suchens nicht und übt sich daraufhin in müder Deeskalation: Alles halb so schlimm. Man könne doch einfach immer mal wieder nachfragen. Oder die Servicenummer von DHL anrufen. Oder die eigene Telefonnummer hinterlassen – dann rufe DHL sogar zurück. Nun, der dritte Gang zum Postamt brachte auch nichts, hinter der Servicenummer verbarg sich der Eingang ins Höllentor einer Endlos-Warteschleife, und der erlösende Anruf von DHL kam natürlich nie. Warten auf Godot à la 2019.

Donnerstag: Für heute haben sich Handwerker angekündigt – mit einer satten zeitlichen Toleranzspanne von 8 bis 12 Uhr. Und einem Tag Vorwarnzeit. Die entsprechende Postkarte trug zwar das Datum vom Anfang der vorigen Woche, im Briefkasten hatte sie allerdings erst gestern gelegen. Immerhin, sie war angekommen! Und die Handwerker erschienen auch. Kurz nach sieben, als der Wohnungsinhaber noch nichtsahnend unter der Dusche stand. 

Also umschalten auf den Merkel-Modus: „Nun sind sie halt da ...“ Gemeinsam mit ihren dre-ckigen Schuhen, die neben Erdproben auch noch zertretene Kirschen auf dem Parkett hinterlassen. Wo waren die beiden Experten nur vorher? Dann stehen sie in der neuen Küche und schwören bei allen Heiligen, die Spüle sei absolut korrekt angeschlossen worden. Ein klein wenig Wasser in den Überlauf gegossen, das dann sofort wieder unten aus dem Küchenschrank herausmäandert, überzeugt sie indes vom Gegenteil: Ach so, ja, da müsste man wohl doch noch ein weiteres Rohr anschließen … Bloß gut, dass der Hausmeister, der sich parallel die Heizkörper ansehen wollte, seinerseits gar nicht erst erscheint. Zuviel des Guten könnte das Fassungsvermögen eines Normalbürgers übersteigen.

Freitag: Einkaufstag. Ab ins Getümmel der Massen, welche sich zwar nicht unbedingt für den drohenden Weltuntergang zu bevorraten versuchen, aber für ein Ereignis ähnlicher versorgungstechnischer Tragweite. Darauf hat der clevere Discounter schon gewartet und die Kassen vorausschauend mit diversen Aushilfskräften besetzt. Pech nur, dass diese oft bloß wenige Stunden in der Woche arbeiten und entsprechend „eingerostet“ sind, wenn es ums flotte Abwickeln der Kaufvorgänge geht. 

Dreimal beim Brotpreis vertippt, dreimal stornieren – unter den wachen Augen des einzigen Stornierungsbefugten, der schon nach sechs Minuten vor Ort eintraf. Aber das Herumstehen an der Kasse hat sich gelohnt. Neuerdings muss man nämlich als motorisierter Kunde in einer Stunde fertig sein mit dem bisschen Einkaufen, sonst setzt es Knöllchen für unentschuldigtes Dauerparken. Und genau so ein Dings prangt nun in voller Schönheit auf der Windschutzscheibe!  

Sonnabend: Nunmehr ist Kultur angesagt. Die Wahl fällt auf die Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden (SNSD) mit den beiden Museen für Mineralogie und Geologie sowie Tierkunde. Früher befanden diese sich im Stadtzentrum, jetzt liegen sie weit draußen in der Nähe des Flughafens. Laut Internetseite der SNSD ist am Wochenende von 10 bis        18 Uhr geöffnet. Also, auf nach Klotzsche, es ist ja nur eine knappe Stunde Weg! Vor Ort angekommen, liegt da ein unübersichtliches Waldgrundstück ohne jedwede Hinweistafel oder Ähnliches. Erst nach langem Herumirren in Ruinen und halbfertigen Neubauten ist das Gebäude der SNSD erreicht. Allerdings sind die Türen verschlossen und das Objekt wirkt mehr als verlassen. Deshalb gehen die verbalen Schmähungen der verhinderten Museumsbesucher auch komplett ins Leere. Beim abendlichen Frust-Googeln findet sich dann an einer ganz versteckten Stelle des SNSD-Netzauftritts der Hinweis: „Keine reguläre Öffnung, keine Dauerausstellung.“

Sonntag: Wandern in der Sächsischen Schweiz. Höhepunkt: Ein Besuch im Panorama-Restaurant des Vier-Sterne-Hotels auf der Bastei. Gediegenes Ambiente mit weitem Blick über das Elbtal, erlesene Speisen, gepflegte Getränke … Die Seele jauchzt auf und die in der letzten Woche durchschrittene Servicewüste scheint plötzlich unendlich weit weg. Keine Lokale, die ohne Vorankündigung am Freitag- oder Sonnabendabend geschlossen haben, keine „Spanier“ ohne spanische Zutaten, keine „Mexikaner“, deren Essen jeder echte Mexikaner verschmähen würde. Einfach nur Gastlichkeit! Bis zu dem Moment, in dem der Gang zur Toilette nötig wird. Deren Entrée ist mit einer High-Tech-Schranke verbarrikadiert, die sich erst öffnet, wenn der Gast 70 Cent berappt. Eine neue Geschäftsidee der beiden neuen Geschäftsführer … 

Knapp drei Viertel aller Deutschen sind mit dem Service hierzulande unzufrieden. Der Autor dieses Beitrages gehört definitiv dazu.