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11.10.19 / Königsberg – Ein neuer Morgen / Erster Teil eines Berichtes von Jörn Pekrul

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-19 vom 11. Oktober 2019

Königsberg – Ein neuer Morgen
Erster Teil eines Berichtes von Jörn Pekrul

Jörn Pekrul hat einen wunderbaren und reichbebilderten Bericht über seine Reise nach Königsberg in der Ausgabe 2/2019 des „Preussen Kuriers, Heimatnachrichten für Ost- und Westpreußen in Bayern“ veröffentlicht, den die Preußische Allgemeine Zeitung dankenswerterweise in einem Mehrteiler abdrucken darf.

In der Stille der Nacht, so sagt man, erweitert sich das Bewusstsein. In Träumen werden Eindrücke aus der Tiefe verarbeitet, die uns oft plagen oder uns in Metaphern hinweisen wollen auf etwas, was wir noch nicht erledigt haben. Und wer hat nicht schon eine unruhige Nacht durchwacht. Nur langsam tropfen die Minuten aus der Uhr, und der Mond -oder die Straßenlaternen- werfen ihr weißes Licht auf die dunkle Wand unseres Zimmers. Agnes Miegel hat eine solche Situation in ihrem Gedicht „Nachtgesicht“ von 1947 beschrieben. Sie sah, wie sich schwarze Schatten auf der weißen Wand haschten. Die Schatten verformten sich zu einem Bild. Es war das Bild, das sie vor Kurzem noch selbst gesehen hatte: die Ruinenstadt Königsberg und der Auszug der Königsberger aus ihrer Stadt. Ein stiller Zug, „kein Murren klang, kein Schluchzen und kein Schrei / nur eine junge Schwester weinte leise / und zaudernd wandte einmal eine greise / Frau still sich um nach schuttbegrabener Schwelle....“- das Gedicht wechselt zwischen Tag und Traum, zwischen erlebter Realität und erfühlten Begebenheiten. Man befürchtet eine Grenze zum Wahn und ist doch in der vergangenen Realität. Was konstant bleibt, ist die unendliche Tapferkeit der Menschen, die damals diesen Ereignissen unterworfen waren. Die Verbindung zu diesen Menschen, die mit ihr waren und die vor ihr waren, hat sie auch in der Fremde gespürt. 

Vielleicht liegt hierin eine Erklärung dafür, dass die letzten Stunden einer durchwachten Nacht in Königsberg etwas Besonderes sind. Königsberg schläft nach der Arbeit des Tages. Der Oberteich liegt still in all seiner nächtlichen Schwärze. Einmal sah ich ein Schwanenpaar langsam vorbeigleiten. Ihre Silhouette -kaum wahrzunehmen in all dem Dunkel- wurde plötzlich von dem Lichtkegel einer fernen Laterne getroffen. Das weiße Federkleid leuchtete kurz auf wie ein Stern, der lautlos wieder im Dunkel verschwand. Ein Eindruck von etwas Fernem in dieser Nacht. Und dennoch der Hinweis auf ein anderes Tor, das eine Königsberger Nacht in diesen Stunden aufzustoßen scheint: ich meinte in dieser Stille die Gegenwart derer zu spüren, die hier waren. Mögen sie noch unter uns sein, aber heute weit entfernt leben. Mögen sie nicht mehr unter uns sein- es ist kein Unterschied. Sie sind nahe. Wir sind zusammen. Sie bleiben bei mir, bis der aufziehende Morgen von Osten her den neuen Tag im heutigen Königsberg eröffnet. Ein paar Eindrücke:

Am Oberteich verabschiedet sich der Mond bei Sonnenaufgang über einem Haus, das in der Nähe des Hansaplatzes steht. In den Fenstern dieses Hauses spiegeln sich bereits die ersten Strahlen der Morgensonne. 

Zur gleichen Zeit zieht in Maraunenhof im Max-Aschmann-Park ein Frühnebel auf. Das Gras ist noch benetzt vom Tau der Nacht, und ein Spinnennetz im Grase des Nachsommers gewährt einen Anblick in die filigrane Harmonie der Natur. In der Nähe des Platzes, an dem einst das Waldschlösschen stand, führt einer der heutigen Bewohner seinen Hund aus. Beide scheinen sie die Stille dieses frühen Morgens zu genießen. Ein kurzer Gruß- noch möchte man für sich sein und ist nicht zu Worten aufgelegt.

In dieser Stunde sind die Straßen noch menschen- und autoleer. In der Schindekopstraße auf den Vorderhufen bietet sich eine Gesamtansicht auf das Haus Nummer 20-24. Ein spätexpressionistischer Bau aus den späten 1920er Jahren. An seinen Eingangstüren sind noch Darstellungen unserer Stadtfrauen und -männer erhalten: eine junge Frau, die Schlittschuh läuft, eine Blumenmarjell, ein Fischer, ein Bauer. Entzückende Darstellungen aus einer längst vergangenen Zeit, die man im Alltag kaum wahrnimmt.

Und weit im Süden der Stadt bietet sich zur gleichen Zeit ein atemberaubendes Bild: Die Häuserzeile in der Michellystraße spiegelt sich im absolut stillen Wasser des Alten Pregels. Schauen Sie bitte genau hin: finden Sie nicht auch, dass es dieser Anblick aus Alt-Königsberg mit jedem modernen Kunstwerk aufnehmen kann? Wir wollen es begreifen als ein Schmeckprobchen auf die heutige Stadt, die so sehr von Königsberg geprägt ist. Eine Wechselwirkung, die sogar weltweit einmalig sein dürfte. Königsberg erwacht, und wie sich die Stadt im Jahre 2019 darstellt, wollen wir versuchen, an verschiedenen Orten zu erkunden. Wir werden einige Begegnungen haben, wollen uns erzählen lassen vom Einst und vom Jetzt; und wir wollen vor allem diese Eindrücke auf uns wirken lassen. 

Königsberg erwacht mit den beherzten Handgriffen einer Tramführerin, die am Gesekusplatz manuell die Weichen stellt für die Weiterfahrt auf dem Steindamm. Schauen Sie auch auf die Feldsteine und den Backsteinsockel im Vordergrund. Es sind die Über-

reste des Stadtschlosses, dessen Fundamente freigelegt wurden. Ein geschichtlicher Bezug, den man lange Jahre nicht erwartet hätte. Der roten Tram, die von der Fürstenschlucht in Amalienau/ Mittelhufen wieder bis zum Schlachthof an der Aweider Allee fährt (die Verbindung war in den Jahren 2016/2017 durch die Sanierung der Holzbrücke unterbrochen), werden wir heute noch öfters begegnen.