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11.10.19 / En Deern mit Charakter / Heidi Mahler, Tochter der Hamburger Theaterlegende Heidi Kabel, geht mit dem Ohnsorg auf ihre vielleicht letzte große Tournee

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-19 vom 11. Oktober 2019

En Deern mit Charakter
Heidi Mahler, Tochter der Hamburger Theaterlegende Heidi Kabel, geht mit dem Ohnsorg auf ihre vielleicht letzte große Tournee
Andreas Guballa

Was der Millowitsch-Clan für die Kölner, das ist die Kabel-Familie für die Hamburger: beliebte Volkschauspieler, die ihren heimischen Dialekt einem bundesweiten Publikum nahebrachten. Jetzt geht Heidi Mahler, die Tochter der Ohnsorg-Theaterlegende Heidi Kabel, auf eine letzte große Tournee – und das mit 75 Jahren.

Kerzengrade sitzt Heidi Mahler am Tisch des Ohnsorg-Bistros im Biberhaus direkt am Hamburger Hauptbahnhof, vor sich ein Mineralwasser. Unprätentiös und freundlich ist sie, von hanseatischer Unaufgeregtheit und Bo­denständigkeit. Manches an ihrem Ausdruck erinnert an die Mutter. Aber Heidi Mahler ist keine zweite Heidi Kabel, sie ist ganz klar sie selbst: elegant, mit ordentlich Zislaweng, dabei spontan und überraschend emotional. 

„Meine Mutter war eine tolle Schauspielerin, und es war be­glückend, mit ihr auf der Bühne zu stehen“, erinnert sich die Tochter der Hamburger Volksschauspielerin Heidi Kabel (1914–2010) und des Ohnsorg-Intendanten Hans Mahler (1900–1970). Heute spielt Mahler viele Rollen, mit denen ihre Mutter damals berühmt wurde. „Na klar vergleiche ich mich. Aber ich bin ich, ich bin nicht meine Mutter.“ 

Ihren Tonfall habe sie noch im Ohr. „Heute, wo ich ihr diese oder jene Rolle ,nachspiele‘, begreife ich, dass es einfach keine Alternative zu ihrer Gestaltung gibt, dass sie die perfekte Lösung gefunden hatte und wie höllisch schwer es ist, den Eindruck zu vermeiden, ich kopiere sie“, sagt die Schauspielerin, die Anfang des Jahres ihren 75. Geburtstag feierte.

Heidi Mahler wuchs mit ihren Brüdern Jan-Rasmus und Heiko in einem liberalen Elternhaus auf. „Es herrschte ein Klima äußerster Toleranz.“ Eine behütete, sehr normale Kindheit haben sie und ihre beiden älteren Brüder erlebt. Zu Hause war Heidi Kabel „nur unsere Mami. Es gab keine Allüren“, erinnert sie sich. 

Das Geld war stets knapp. „Meine Mutter ist abends nach der Vorstellung oft noch tingeln gegangen mit ihrer Quetschkommode, um Naturalien nach Hause zu bringen“, erinnert sich Heidi Mahler. „Für unsere Eltern gab es nichts als Theater und ihre Kinder. Die haben richtig geschuftet.“ 

Eigentlich war von vornherein klar, dass sie in die Fußstapfen ihrer Mutter treten würde. „Als Kind hatte ich natürlich auch andere Ideen, was ich werden könnte, zum Beispiel Krankenschwester. Aber eigentlich stand es sehr früh fest, dass ich auch Schauspielerin werden wollte.“

Mit 17 begann sie ihre Ausbildung an der Hamburger Hochschule für Schauspiel und bildende Künste. Seit 1964 spielte sie als junge Blondine am Ohnsorg-Theater Mädchen-, aber auch Charakterrollen wie die Marthe Schwertlein im plattdeutschen „Faust“. Mit ihrer Mutter stand sie in Fernsehaufzeichnungen auf der Bühne, wo sie die Herzen eines Millionenpublikums begeisterte. Bis 1983 gehörte Mahler zum Ohnsorg-Theater. Dann wechselte sie zum Hamburger Thalia-Theater, kehrte 1989 aber zurück. 

Zurzeit steht die Schauspielerin in der Paraderolle als resolute Dora Hintzpeter in einer Neuinszenierung der Komödie „En Mann mit Charakter“ von Wilfried Wroost auf der Ohnsorg-Bühne. Bei dem Stück in plattdeutscher Sprache geht es um den Bäckermeister Heinrich Hintzpeter, einem Besserwisser, der seinen Mitmenschen das Leben schwer macht. 

„Dora, die Mutter von Bäckermeister Hintzpeter, ist ein sehr starker Charakter. Sie wirkt manchmal etwas giftig, ist aber eine herzensgute Frau. Ich mag so resolute Frauen, die sich von niemandem etwas sagen lassen“, sagt Mahler, die im Laufe ihrer Karriere schon alle weiblichen Rollen in diesem Stück gespielt hat. „Da kann ich bei den anderen soufflieren“, lacht die sympathische Volksschauspielerin. Ein Titel, den sie gar nicht gerne hört. „Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll. Ich bin Schauspielerin. Warum das in Deutschland immer in Schubladen ge­steckt werden muss, kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe mich aber mittlerweile an diese Bezeichnung gewöhnt.“ 

Mit „En Mann mit Charakter“ geht das Ohnsorg-Theater zurück zu seinen Wurzeln, was beim Publikum gut ankommt. Mit mo­dernen Stücken wie „Adam sien Appeln“, „Honnig in‘n Kopp“ oder „Plattdüütsch för Anfängers“ versucht die Traditionsbühne am Hamburger Hauptbahnhof in den letzten Jahren immer wieder, sich neu zu orientieren und ein Publikum zu gewinnen, dessen Muttersprache nicht Plattdeutsch ist. 

Ein Weg, den sie kritisch sieht: „Das Ohnsorg ist in ganz Deutschland als Volkstheater be­kannt und füllt diesen Spitzenplatz als einziges sehr gut aus. Das sollten wir mit allen Mitteln beibehalten und möglichst viele Literaten anregen, gute Volkstheaterstücke zu schreiben. Dann können wir beruhigt in die Zukunft blicken.“ 

Sie glaube nicht, dass das Plattdeutsche aussterben wird, wie immer wieder behauptet werde. „Das Plattdeutsche ist heute nach wie vor ganz lebendig. Darüber freue ich mich riesig.“ Allerdings spiele die norddeutsche Sprache in ihrem Alltag heute keine Rolle. „Privat spreche ich überhaupt kein platt. Auch in meinem Elternhaus haben wir nur selten plattdeutsch gesprochen. Vor allem mit uns Kindern wurde ausschließlich hochdeutsch gesprochen“, erinnert sich Mahler, die heute mit ihrem Mann, Regisseur Michael Koch, in der Eifel wohnt. Rund die Hälfte des Jahres lebt und arbeitet sie in Hamburg. 

Dora Hintzpeter werde wohl eine ihrer letzten Rollen im Ohnsorg-Theater sein, verrät die Schauspielerin. „Ich möchte nicht wie andere Darsteller als Halbtote von der Bühne getragen werden.“ 

Mit „En Mann mit Charakter“ geht das Ensemble bis Ende Ok­to­ber auf eine Gastspielreise. „Zwischendurch wird immer noch ,Tratsch im Treppenhaus‘ wiederholt. Mein Abschied zieht sich also noch etwas hin“, tröstet Mahler ihre Fans. Außerhalb Norddeutschlands spiele man übrigens mit Hamburger Dialekt, also das sogenannte Missingsch, „so dass die Leute es verstehen, aber denken, sie hören plattdeutsch.“

Gastspiel-Termine von „En Mann mit Charakter“: www.ohnsorg.de