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18.10.19 / »Opfer einer Amputation« / Literaturnobelpreisträgerin thematisiert Schuld der Polen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-19 vom 18. Oktober 2019

»Opfer einer Amputation«
Literaturnobelpreisträgerin thematisiert Schuld der Polen

Die Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk hat mit ihren literarischen Initiativen große Verdienste um Schlesien erworben. Im Werk der 1962 bei Hirschberg in Schlesien geborenen polnischen Schriftstellerin, die seit über 20 Jahren in einem niederschlesischen Gebirgsort nahe der tschechischen Grenze lebt, spielt die schlesische Landschaft eine prominente Rolle. 

Tokarczuks Werk ist durchzogen von Geschichten, Mythen, Märchen und Träumen. Die im schlesisch-böhmischen Grenzgebiet Aufgewachsene studierte Psychologie und arbeitete als Therapeutin. Nach frühen Gedichten wandte sie sich der Prosa zu. Da ihre Eltern in Schlesien angesiedelte Polen aus den an die Sowjetunion verlorenen polnischen Ostgebieten sind, spielt in ihren Werken auch das Thema Vertreibung eine wichtige Rolle: „Der Mensch, der seinen Ort verlassen muss, gibt einen wesentlichen Teil seiner selbst auf, er wird Opfer einer brutalen Amputation. Phantomschmerzen werden ihn bis ans Lebensende quälen.“ 

In ihrem Buch „Taghaus, Nacht-haus“ (1998) hat sie ihre Wahlheimat in den schlesischen Bergen zum literarischen Ort gemacht. Die Handlung ihrer Romane verlegt sie gern in entlegene Epochen, etwa in die „deutsche“ Zeit Schlesiens. 

Im schlesischen Eulengebirge, vor allem in den Städten Neuroda, Waldenburg und Glatz, aber auch im benachbarten Böhmen, hatte Tokarczuk vor einigen Jahren das Literaturfestival „Gory Literatury“ (Berge der Literatur) ins Leben gerufen. Dieses Festival erfreut sich wachsender Beliebtheit. Hier finden Lesungen und Ausstellungen in verschiedenen Orten statt, in Kirchen und Klöstern, stillgelegten Bergwerken und unter freiem Himmel sowie in der Landschaft des anmutigen Eulengebirges mit weitem Blick über die Berge und Grenzen hinweg. 

In Breslau, wo Tokarczuk hauptsächlich lebt, versucht sie sich in ihren Geschichten in die ehemaligen Bewohner der alten Häuser der Stadt, die teils noch aus dem Mittelalter stammen, und ihre wechselvollen Geschichten hineinzuversetzen. 2015 wurde Tokarczuk mit dem Brückepreis der Europastadt Görlitz geehrt. Zu ihren Auszeichnungen zählt auch der Brücke-Berlin-Preis (2002), den sie mit Übersetzerin Esther Kinsky bekam. 2018 erhielt sie einen Preis der Stadt Waldenburg in Schlesien.

Bei der Preisverleihung verließen die PiS-Stadtverordneten den Saal, um gegen die Autorin zu protestieren, die auch die dunklen Stellen der polnischen Geschichte, wie Antisemitismus und Kolonialismus, nicht auslässt. Die polnische Herrschaft über weite Teile der Ukraine und Litauens bezeichnete sie als Kolonialismus. Von dem nach dem Zweiten Weltkrieg herrschenden Opfermythos distanzierte sie sich ausdrücklich. 

Ihr Ziel ist es, die Polen auch mit der Täterrolle in ihrer Geschichte, die von der derzeit herrschenden Regierung übergangen wird, zu konfrontieren. In dem „nationalen Opferkult“ sah sie einen Rückfall in „irrationale Stammesenergien“. Kein Wunder, dass der polnische Kulturminister bei der Verkündigung der Nobelpreisvergabe zugeben musste, dass er kein einziges Werk der neuen Nationalheldin kenne, der er seit 2015 die öffentlichen Zuschüsse für Übersetzungen gestrichen hatte. B.B.