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18.10.19 / Ein Ford Frankreichs und ein Pétain des Autobaus / Louis Renault war ein begnadeter Konstrukteur mit unternehmenrischem Geschick – Vor 75 Jahren starb er 67-jährig in Paris

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-19 vom 18. Oktober 2019

Ein Ford Frankreichs und ein Pétain des Autobaus
Louis Renault war ein begnadeter Konstrukteur mit unternehmenrischem Geschick – Vor 75 Jahren starb er 67-jährig in Paris
Manuel Ruoff

Theorie war nicht die Sache des Louis Renault, und Theoretikern stand er bis zu seinem Lebensende skeptisch gegenüber. Seine Leidenschaft galt dem Tüfteln. Der am 15. Februar 1877 in Boulogne-Billancourt, einem der vornehmsten Vororte von Paris, geborene Sohn eines bedeutenden Tuchfabrikanten eignete sich autodidaktisch das Funktionieren moderner Technik an. Dafür ließ er schon mal die Schule ausfallen. 1888 legte er sich in seinem Kinderzimmer elektrisches Licht und ein Jahr später versteck­te er sich im Tender einer Lokomotive, um das Funktionieren einer Lok kennenzulernen. Als 

14-Jähriger bekam er von seinem Vater einen alten Motor geschenkt, den er mit Hingabe auseinandernahm, um auch das Funktionieren dieser Errungenschaft der Technik zu ergründen. 

In einem Holzschuppen auf dem Grundstück seiner Familie in Boulogne-Billancourt baute er 1898 einen Dreiradwagen von De Dion-Bouton in ein vierrädriges Automobil um. Der Umbau war bereits ein Innovationsträger. Renault ersetzte nämlich die übliche Kraftübertragung mittels Ketten durch ein von ihm konstruiertes Drei-Gang-Getriebe mit Kardanwelle zur Übertragung der Kraft vom Motor auf die Hinterachse. Das war eine Innovation, die sich Renault patentieren ließ. Die Leistungsfähigkeit seines Umbaus stellte Renault 1898 öffentlichkeitswirksam unter Beweis, indem er mit seiner „Voiturette“ (Autochen, Kleinwagen) die immerhin 13 Prozent Steigung aufweisende Rue Lepic zum Montmartre erklomm. Das beeindruckte. Weih­nachten jenes Jahres gilt als der Beginn des Unternehmens Renault, denn damals ging ein Dutzend Bestellungen für Renaults Auto ein. 

Rund zwei Monate später gründete Louis Renault mit seinen beiden wohlhabenden Brüdern Marcel und Fernand das Automobilunternehmen Renault. Das nötige Kapital stammte von den Brüdern und Lizenzgebühren. Der erfinderische Renault ließ sich nicht nur den Antrieb der Hinterräder über eine Kardanwelle, sondern auch die einschraubbare Zündkerze, den Turbokompressor, den Sicherheitsgurt und die Trommelbremse patentieren.

Das Unternehmen expandierte schnell. Bereits 1910 war es der größte Automobilbauer des Kontinents. Seine Produkte waren leistungsstark. Das bewiesen diverse Autorennen unter Beteiligung von Renaults – im doppelten Wortsinn, denn Louis und Marcel Renault setzten sich auch selbst hinter das Steuer. Die Motorsporterfolge waren gute Werbung. Allerdings verunglückte Marcel Renault 1903 bei einem Wettbewerb tödlich. Und Fernand erkrankte 1908 schwer und starb im darauffolgenden Jahr. Lois Renault blieb als Einziger übrig.

Noch zu Lebzeiten Fernand Renaults ergatterte Renault einen wichtigen Großauftrag. Die Pariser Taxiinnung bestellte insgesamt 250 Fahrzeuge. Das ermöglichte Renault nicht nur den Einstieg in die Serienproduktion, sondern war auch wichtig für den Nimbus. Denn der Transport französischer Soldaten durch vom Staat konfiszierte Pariser Taxis zur siegreichen Schlacht an der Marne während des Ersten Weltkriegs ist legendär. Dieses erwies sich für Renault ebenso als werbewirksam wie der kaum weniger legendäre Renault FT, der im Ersten Weltkrieg entwickelte und eingesetzte erste Panzer mit selbsttragender Wanne und drehbarem Geschützturm. Renault wurde im Ersten Weltkrieg in seinem Land zum nationalen Helden, zu einer Art Philippe Pétain des Automobilbaus.

Abgesehen von diesem Nimbus aus dem Ersten Weltkrieg sowie der Qualität und Fortschrittlichkeit der Fahrzeuge profitierte Renault auch von effizienten Produktionsprozessen. Renault war ein Anhänger des sogenannten Taylorismus. Ähnlich wie Henry Ford mit der Fließbandarbeit setzte er auf konsequente Arbeitsteilung. Folgerichtig besuchte er wenige Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs Ford und dessen Unternehmen. Letzterer ließ sich das gefallen, denn damals konkurrierten die beiden Autobauer noch nicht auf einem globalen Markt. Renault war begeistert. Dem ersten Besuch 1911 folgte 1928 ein zweiter. Nach der Rück­kehr von der zweiten USA-Reise begann Renault mit dem Bau eines neuen Werkes zusätzlich zum Stammsitz in Boulogne-Billancourt. Nach Fords Vorbild erhielt dieses Werk das mit eineinhalb Kilometern längste Fließband außerhalb der USA.

Die um diese Zeit einsetzende Weltwirtschaftskrise vermochte Renault im Gegensatz zu anderen Unternehmen nicht zu destabilisieren. Renault hatte eine ungemein breite Produktpalette, die über Kraftfahrzeuge aller Klassen noch hinausreichte. Einbrüche in einzelnen Segmenten konnten so kompensiert werden. Zudem arbeitete Renault kaum mit Fremdkapital. Angebote der Banken, mit ihm zusammenzuarbeiten, schlug er aus. Renault wollte autark und unabhängig sein. Das führte bei Renault auch zu einer enormen Fertigungstiefe. Er wollte nicht von Zulieferern und deren Qualität abhängig sein. Dieses Bestreben, unabhängig, unumschränkter Herr über den und im eigenen Betrieb zu sein, kostete Renault nicht nur bei den Banken, sondern auch bei den Gewerkschaften und der politischen Linken Sympathien, möglicherweise ein Grund für seinen plötzlichen, relativ frühen Tod. 

So gut Renault beim Ausbruch der Weltwirtschaftskrise aufgestellt war, so kalt erwischte ihn der Zweite Weltkrieges, mit dessen Ausbruch er bis zuletzt nicht gerechnet hatte. Um eine Zerschlagung seines Lebenswerkes durch die deutschen Besatzer zu verhindern, versuchte er, sich mit diesen zu arrangieren. Wie dem Marschall von Frankreich und Staatschef des Französischen Staates (Vichy-Frankreich) Pétain wurde ihm Kollaboration vorgeworfen.

Eingeladen zu einem Verhör fand sich Renault auf Anraten des mit ihm befreundeten Präsidenten der Anwaltskammer am 22. September 1944 im Pariser Justizpalast ein und wurde trotz vorheriger Zusicherung freien Geleits vom Untersuchungsrichter verhaftet. Einen guten Monat später war er tot. Woran der 67-Jährige am 24. Oktober 1944 plötzlich starb, ist bis heute ungeklärt. Die offizielle Todesursache lautete Harnvergiftung. Doch auch von tödlichen Misshandlungen in der Gefängniszelle ist die Rede. Laut seiner Ehefrau Christiane Renault raunte er ihr bei einem Besuchstermin zu: „Ich habe Angst, sie werden mich töten … diese Kerle … nachts kommen sie!“ Das Lebenswerk des Toten, beziehungsweise das, was alliierte Bomber davon übrig gelassen hatten, wurde entschädigungslos verstaatlicht.