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18.10.19 / Wer nicht liest, der näht oder spielt / Büchereien bereiten sich mit multimedialen Angeboten auf die Zukunft vor – Zum »Tag der Bibliotheken« am 24. Oktober

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-19 vom 18. Oktober 2019

Wer nicht liest, der näht oder spielt
Büchereien bereiten sich mit multimedialen Angeboten auf die Zukunft vor – Zum »Tag der Bibliotheken« am 24. Oktober
Stephanie Sieckmann

Am „Tag der Bibliotheken“, dem  24. Oktober, freut sich eine Bücherei besonders: Die Berliner Zentral- und Landesbibliothek erhält den nationalen Bibliothekspreis – auch weil sie sich auf die veränderten Nutzergewohnheiten vorbereitet hat.

Das Buch ist tot, es lebe die Bibliothek. Die moderne Bibliothek soll Aufenthaltsort sein, Wohnzimmer. Kein Büchermuseum. Wie soll das funktionieren, wenn das Buch doch gar nicht mehr gefragt ist? Wie wollen Bibliotheken Nutzer in ihre Hallen ziehen, wenn nicht mit Büchern? Die Zukunft der Bibliothek liegt in einem zeitgemäßen Angebot. Und das sieht anders aus. Mit Öffnungszeiten rund um die Uhr. Und mit einem multimedialen Angebot, das keine Regale benötigt, sondern freie Flächen und Räume, die als Treffpunkt dienen. 

Andreas Degkwitz, Bundesvorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbandes (DBV), formuliert die Aufgaben der Bibliotheken mit dem Auftrag der Kompetenzvermittlung, gerade im Hinblick auf die digitale Welt sowie der Teilhabe an Bildung, Gesellschaft und Kultur. Der Umsetzung dieser Forderung kommen immer mehr Bibliotheken in Deutschland nach. Der nationale Bibliothekspreis wird in diesem Jahr am 

24. Oktober, dem „Tag der Bibliotheken“, bereits zum 20. Mal verliehen und geht an die Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Sie überzeugte die Jury mit ihrem Gesamtkonzept von partizipativen Angeboten und digitalen Services, sie präsentiert sich als Wissensvermittler, produktiver Ar­beitsort und Forum der Stadtgesellschaft. Genau das ist es, was die Bibliotheken heute anstreben. Das gedruckte Buch verliert dabei stetig an Bedeutung. 

Wenn das digitale Buch das gedruckte Buch zunehmend er­setzt, jedes Jahr die gedruckten Bestände verkleinert werden und sogar Erstausgaben aussortiert werden, dann bleibt zuletzt die Frage, warum überhaupt neue Bibliotheken gebaut werden sollen. Zu den besonders spektakulären Gebäuden gehört die Stadtbibliothek Stuttgart, die 2011 als intellektuelles und kulturelles Zentrum entworfen wurde.

Die modernen Bibliotheken wollen keinesfalls Nutzer, die sich registrieren, nur um von Zuhause aus online auszuleihen und auf den Besuch in der Bibliothek verzichten. Mit Öffnungszeiten, die weit über das bislang bekannte Maß hinausgehen, solchen, die auch die Tage und Tageszeiten einbeziehen, an denen keine Mitarbeiter vor Ort sind, bieten einige Bibliotheken ihre Räume frei zugänglich an. Die Bibliothek im dänischen Aarhus geht hier als Beispiel voran. Das Angebot wird sehr gut angenommen, vor allem an den Wochenenden. Dänemark verzeichnet enorm steigende Besucherzahlen in seinen Bibliotheken. 

In Deutschland experimentieren inzwischen ebenfalls die ersten Bibliotheken mit dem Konzept der sogenannten Open Library – der offenen Bibliothek. Volljährigen Nutzern wird die Möglichkeit gegeben, dank der Nutzerkarte Einlass in die Bibliothek zu bekommen, auch wenn kein Mitarbeiter anwesend ist. Sonntags sind die Bibliotheken in Deutschland jedoch, anders als in Dänemark, geschlossen.

Aktuell orientieren sich die deutschen Bibliotheken stark an den erfolgreichen Vorbildern aus Skandinavien. Rund 100 Millionen Euro hat Aarhus für das „Dokk 1“, den Bibliotheks-Neubau im Hafen, ausgegeben. Es ist eine Investition in die Zukunft. Flachbildschirme im Eingangsbereich geben Hinweise auf Veranstaltungen. Es ist überraschend, was hier bereits alles stattgefunden hat: Ein Drohnenflugwettbewerb, ein Fußballturnier auf einem virtuellen Spielfeld, sogar Hacker haben sich hier getroffen. Was das alles mit Wissen zu tun hat? Die Antwort ist komplex. 

Die kulturellen Berater in Dänemark sehen die Bibliothek der Moderne als ein Konstrukt, das auf vier Säulen basiert. Dazu zählet Wissen, das durch Erkenntnis und Erfahrung gewonnen werden kann, Engagement, Kompetenz und Innovation. 

Der Anspruch der neuen Bibliotheken ist immens groß. Sie wollen Wissensvermittlung bieten, Helfer beim Lesenlernen und beim Lernen generell sein. Verschiedene Angebote und Projekte sollen Menschen zur Teilhabe an Wissen verhelfen. Auch eine Geschichtswerkstatt kann dazu gehören. Computerkurse haben hier ebenso Platz wie eine Nähwerkstatt oder Chorproben. Kultur soll das Leben bereichern und die Bibliothek will mit ihren Räumen Gestaltungsspielraum für Kreativität bieten. Die Menschen sollen sich mit und über das, was sie bewegt, austauschen. Gemeinsam spielen, lesen, lernen, Wissen finden. 

Anne Wellingerhof vom Deutschen Bibliotheksverband erläutert dazu: „In Zeiten der digitalen Transformation bieten Bibliotheken einen Ort, an dem Menschen digitale Inhalte ausprobieren und kreativ sein können. Mit den digitalen Angeboten erhalten Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, sich digitales Wissen anzueignen und gemeinsam mit anderen zu testen.“ Somit würden in Bibliotheken Orte der Begegnung, des Wissensaustausches und des Lernens, der kulturellen und sozialen Interaktion entstehen. Wichtige Angebote seien auch „Makerspace“ und „Gaming-Zonen“.

Diese neuen Begriffe erfordern eine Definition. Ein „Makerspace“ ist ein Ort, um etwas selber zu machen: Hier können Nutzer digitale Werkzeuge und Medien frei nutzen, ausprobieren und Neues gestalten. Zum Beispiel einen 3D-Drucker ausprobieren, Schmuck basteln, Superheld-Kostüme nä­hen, Apps programmieren, ba­steln, Kurse belegen – alles unter Anleitung von Experten. 

Bibliothekarin Wellingerhof sagt dazu: „Auf diese Weise wird der Umgang mit digitalen Medien gelernt und praktisch angewendet. Alle gesellschaftlichen Gruppen können hier partizipieren, von- und miteinander lernen, Neues ausprobieren und digitales Wissen erwerben. So entsteht ein Ort der Begegnung, des Zusam­menhalts und der digitalen Chancengleichheit.“

Die „Gaming-Zone“ ist ein weiteres Angebot öffentlicher Bibliotheken. Ein Bereich, der über das Ausleihen der Spiele weit hinausgeht. Wellingerhof: „Hier können Spieler zusammentreffen und gemeinsam beziehungsweise ge­geneinander Computerspiele spielen. In durch Experten angeleiteten Gaming-Events und anderen medienpädagogischen Angeboten spielen junge Leute gegeneinander, testen neue Spiele und erlangen auf diese spielerische Weise Wissen und Medienkompetenz. Aber auch andere Altersgruppen nutzen das Angebot in Bibliotheken, virtuelle Welten zu erfahren.“