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18.10.19 / Detektivische Arbeit zum Schicksal vertriebener Frauen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-19 vom 18. Oktober 2019

Detektivische Arbeit zum Schicksal vertriebener Frauen
Dirk Klose

Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg waren eine „weitgehend weibliche Erfahrung“. Mit dieser Feststellung leitet die Historikerin Katharina Aubele ihre umfangreiche, vom Münchner Collegium Carolinum herausgebrachte Untersuchung über Schicksal, Stellung und Tätigkeit vertriebener Frauen in der frühen Bundesrepublik ein, – eine überfällige Würdigung und Ehrenrettung unzähliger Frauen, die im Elend der Nachkriegszeit unter schwierigsten Bedingungen das eigene Leben und das ihrer Kinder retteten und sich in Fürsorge und Nachbarschaftshilfe aufzehrten, und das alles für den sprichwörtlichen Gotteslohn, der im irdischen Leben damals kaum zum Überleben reichte.

Bekanntlich fehlten bei vielen Trecks der Flüchtlinge und Vertriebenen 1945 die Männer. Sie waren gefallen oder in Gefangenschaft, alle zum Überleben nötigen Maßnahmen oblagen den Frauen. Sie organisierten Unterkünfte, Verpflegung, Hilfen für Kranke, Hungernde und Waisen in allen nur denkbaren Lebenslagen. Die Autorin hat in teilweise geradezu detektivischer Arbeit viele der damaligen Verästelungen aufgespürt. Sie unterteilt ihr Buch in drei große Abschnitte: Vertriebe Frauen innerhalb der Kirchen, innerhalb der Vertriebenenverbände und in der Politik.

Am stärksten kam deren humanitäres Verständnis in den Kirchen zum Ausdruck. Hier gab es viele Anlaufstellen, in denen vertriebene Frauen Hilfe für alle und jeden in jeder nur denkbaren Form leisteten. Vielfach geschah dies aus dem christlichen Verständnis von Nächstenliebe, ob in der katholischen Caritas oder der evangelischen Diakonie. 

In den Vertriebenenverbänden engagierten sich Frauen oft in kultureller und sozialer Arbeit, nicht zuletzt um den Heimatgedanken wachzuhalten, wobei sie mit Verbitterung feststellen mussten, dass sie ab den 1970er Jahren mehr und mehr an Zuspruch verloren. Die Autorin informiert über die männerdominierten Verbände ebenso wie über manchmal wohl unvermeidliche Querelen, die sich freilich nie so extrem wie unter Männern steigerten.

Das Kapitel über vertriebene Frauen in der Politik muss der Autorin offenbar die meiste Freude gemacht haben, vielleicht weil man hier auch bei zahlreichen Frauen, die es teilweise bis an die Spitze von Bundes- und Landesministerien geschafft hatten, den leichtesten Zugang hatte. Es spiegelt etwa 20 Frauenschicksale aus allen Bundestagsparteien in lebhaft geschilderten Biografien. Sie nötigen große Hochachtung ab, so wenn manche Frauen nur um Haaresbreite den Mordkommandos der SS entkamen, nach 1945 teilweise als Stallmagd gearbeitet haben oder mit buchstäblich nichts als den Kleidern auf dem Leib die Flucht überlebten. Es ist übrigens diese Frauengruppe, die sich am deutlichsten von ihrem reinen Vertriebenenschicksal löste und – etwa als Frauen- oder Sozialpolitikerinnen – „für alle“ da waren. Die 1909 nahe Posen geborene Margot Kalinke (CDU) saß von 1949 fast durchweg bis 1972 im Bundestag und galt seinerzeit als die profilierteste Sozialpolitikerin in Bonn. 

Es ist ein an Fakten zum Thema Vertriebene reiches Buch. Wie immer könnte man sich da und dort noch eine Vertiefung des Themas vorstellen; etwas eng, so ist manchmal der Eindruck, bleibt die Verfasserin allein bei den Vertriebenen, dabei waren diese doch, was angedeutet wird, spätestens ab Ende der 1950er Jahre in die westdeutsche Gesellschaft weitgehend integriert und respektiert, und sie waren auch, etwa im Deutschen Frauenring, dort vollwertige Mitglieder als Angehörige von Vertriebenenverbänden. 

Da diese Zeitung ihre geistige Heimat in Ostpreußen hat, sei eine im Buch besonders herausgestellte Institution auch hier erwähnt. Im niedersächsischen Beienrode nahe Helmstedt gibt es seit 1949 das „Haus der helfenden Hände“. Es wurde damals von dem Theologen Hans-Joachim Iwand und seiner Frau Ilse mit Hilfe zahlreicher ostpreußischer Pfarrwitwen, deren (gefallene) Männer meist der Bekennenden Kirche angehört hatten, gegründet. Iwand war Vorsitzender des Hilfskomitees der evangelischen Deutschen aus Ostpreußen, und die Idee war, die unsägliche Not vertriebener Menschen zu lindern. In einem alten Rittergut richtete man Notunterkünfte, Waisenbetreuung und Ausbildungsplätze für junge Mädchen ein. Die Menschen lebten, so die Autorin, in „ordensähnlichen Hausgemeinschaften“. 1955 wurde hier auch das Archiv der evangelischen Kirche Ostpreußens untergebracht. Heute ist Beienrode, getragen von der Diakonie, ein modernes Pflege- und Seniorenheim für etwa 100 Menschen. Bundesweites Aufsehen erregte das Stift 1997, als dem damaligen Leiter in einem Indizienprozess nachgewiesen wurde, seine Ehefrau Veronika Geyer-Iwand, ermordet zu haben.  

Das Buch ist ein Einstieg in ein noch immer wenig erforschtes Thema. Der leider recht hohe Preis mag einer größeren Verbreitung im Wege stehen, aber Verbände und Bibliotheken sollten es auf alle Fälle bereithalten. 

Katharina Aubele: „Vertriebene Frauen in der Bundesrepublik Deutschland. Engagement in Kirchen, Verbänden und Parteien 1945–1970“, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, gebunden, 472 Seiten, 70 Euro