26.04.2024

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18.10.19 / Wahrheiten zum NSU-Prozess

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-19 vom 18. Oktober 2019

Wahrheiten zum NSU-Prozess
W. Kaufmann

Gisela Friedrichsen ist eine der bekanntesten Gerichtsreporterinnen Deutschlands: Sie schrieb unter anderem schon für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, den „Spiegel“ und die „Welt.“ In ihrem Buch „Der Prozess“ berichtet sie nun über das Verfahren gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Carsten Schultze, André Eminger und Holger Gerlach wegen Mitgliedschaft im „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) beziehungsweise Unterstützung desselben. Während des Mammutprozesses, der vom 6. Mai 2013 bis zum 11. Juli 2018 dauerte, wurden 541 Zeugen und 46 Sachverständige gehört, um die Verantwortlichkeit für neun Morde an Immigranten, einen Polizistenmord, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle und 43 Mordversuche festzustellen. Am Ende verurteilte der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München Zschäpe wegen Mittäterschaft zu lebenslanger Haft, während die übrigen Angeklagten Freiheitsstrafen zwischen zweieinhalb und zehn Jahren erhielten.

Friedrichsen weilte an fast allen der 438 Verhandlungstage im Gerichtssaal. Dabei gelangte sie im Gegensatz zu vielen Kritikern der Prozessführung des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl zu der Ansicht, dass das Gericht seine Aufgabe in mustergültiger Form erfüllt habe. Durch die akribische Beweisaufnahme wisse man nun, wer die Täter gewesen seien: nämlich das NSU-Kerntrio, bestehend aus Zschäpe und ihren beiden toten Gesinnungsgenossen Mundlos und Böhnhardt. Das mache alle Spekulationen über weitere Tatbeteiligte auf Seiten der Rechtsextremisten, aber auch des Verfassungsschutzes obsolet – genauso wie Mutmaßungen über alternative Täter aus einem völlig anderen Milieu. 

Diese naive Haltung zieht sich als roter Faden durch das Buch und ist dessen größtes Manko. Von einem Gerichtsreporter erwartet man deutlich mehr kritische Distanz gegenüber dem, was die Justiz als „Wahrheit“ präsentiert – gerade in dem verwickelten Fall NSU, der durch unzählige Merkwürdigkeiten gekennzeichnet ist. Man denke da nur an das mysteriöse Zeugensterben während des Prozesses.

Als positiv zu werten sind hingegen Friedrichsens deutliche Worte über die vielen Anwälte der 95 türkischen Nebenkläger, „denen die Vertretung eines Opfers ein regelmäßiges Einkommen aus dem Staatssäckel ohne großen Aufwand bescherte“. Natürlich nur, sofern es tatsächlich Opfer gab, was durchaus nicht immer der Fall war. So „vertrat“ der Anwalt Ralph Willms aus Eschweiler, der dort auch für die CDU im Stadtrat saß, eine türkische „Mandantin“ namens „Meral Kes-kin“, welche überhaupt nicht existierte, und kassierte dafür an 

232 Sitzungstagen 211000 Euro Honorar und Reisespesen. Die Passagen, in denen solchen Advokaten-Typen die Maske vom Gesicht gerissen wird, gehören zu den stärksten des Buches.

Gisela Fried-richsen: „Der Prozess. Der Staat gegen Beate Zschäpe u.a.“, Penguin Verlag, München 2019, gebunden, 301 Seiten, 22 Euro