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18.10.19 / Neuanfang in Blechhütten – Flüchtlinge nach 1945

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-19 vom 18. Oktober 2019

Neuanfang in Blechhütten – Flüchtlinge nach 1945
Manuela Rosenthal-Kappi

Seit Beginn der Asylkrise von 2015 sind in vielen Stadtteilen Hamburgs Asylunterkünfte zu sehen, in denen Tausende Syrer, Afghanen, Iraker oder Afrikaner auf engem Raum zusammenleben.

Das warf bei den Mitarbeitern der Geschichtswerkstatt Harburg e.V. die Frage auf, wie es in dem Hamburger Stadtteil nach dem Zweiten Weltkrieg ausgesehen hat, als Zigtausende Ausgebombte sowie Flüchtlinge und Vertriebene dringend Wohnraum benötigten. Vor allem den Forschungen von Gunther Hein ist es zu verdanken, dass das Büchlein „Nissenhütten in Harburg nach dem Ende des 2. Weltkrieges“ erscheinen konnte. Anlass für die Beschäftigung mit Nissenhütten war die Feststellung, dass das Wissen darüber weitgehend in Vergessenheit geraten war. Hein forschte in Archiven, beschaffte Unterlagen und stellte den Kontakt zu Zeitzeugen her. So gelang es, das Wissen um die Nissenhüttenlager in Harburg für die Nachwelt festzuhalten und in einer informativen Broschüre allen Interessierten zugänglich zu machen. 

Nissenhütten wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von den britischen Besatzungstruppen errichtet, um die Ausgebombten der Hansestadt sowie Flüchtlinge und Vertriebene mit Wohnraum zu versorgen. Die Luftangriffe auf Hamburg im Juli 1943 und die auf Harburg 1944/45 hatten zu verheerenden Zerstörungen geführt. 69 Prozent der Hamburger hatten dabei zumindest einen Teil ihrer Habe verloren. Die durch das Vordringen der Roten Armee nach Westen drängenden Flüchtlinge und Vertriebene verschärften die Wohnungsnot in Hamburg. Die Stadt sah sich gezwungen, Zuzugsbeschränkungen zu verhängen. Nur Menschen, die einen Mangelberuf ausübten, erhielten eine Zuzugsgenehmigung.

In dieser Notlage dienten die sogenannten Nissenhütten zur Linderung der Not. Benannt sind sie nach dem kanadischen Offizier und Ingenieur Peter Norman Nissen, der sie im Ersten Weltkrieg entwickelte. Dabei handelte es sich um leicht aufzubauende Wellblechhütten aus Fertigbauteilen mit einem halbrunden Dach, in den Außenmaßen elf Meter lang und fünf Meter breit. Eigentlich als Lagerraum für verschiedene Zwecke konzipiert, wurden sie im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit als Unterkunft für die obdachlos gewordenen Menschen genutzt.

In Harburg gab es 41 Wohnlager mit solchen Blechhütten, in denen 42000 Menschen lebten. Eine originale Nissenhütte ist noch  erhalten und im Freilichtmusuem am Kiekeberg (Rosengarten/

Ehestorf, Landkreis Harburg) zu besichtigen. 

Anfangs gab es in den einfachen Behausungen weder eine Strom- noch eine Wasserversorgung, die unisolierten Hütten waren im Sommer extrem heiß und im Winter eisig kalt. Als Toiletten und Waschräume dienten Extrahütten, die sich die Familien nach einem strengen Zeitplan teilen mussten. 

Die als Wohnraum genutzten Nissenhütten konnten der Größe der Familien entsprechend aufgeteilt werden, eine größere Familie konnte beispielsweise zwei Drittel einer Hütte mieten, meist wurden sie aber halbiert. Die Britische Militärverwaltung hatte beschlossen, die Behausungen winterfest zu machen. So wurden die Seitenwände 1,50 Meter hoch gemauert und die entstandenen Zwischenwände mit Glaswolle ausgestopft. Die Bewohner mussten bei der Materialbeschaffung mithelfen. Sie klopften Steine aus den Trümmern, wobei manchen ihr Erfindungsreichtum half, wenn sie etwa einen Kinderwagen zum Transportmittel für die Steine umbauten.

Die Geschichtswerkstatt Harburg e.V. informiert neben Abbildungen von Archivdokumenten mit Ergebnissen der Befragungen von Zeitzeugen und zahlreichen brillanten Schwarzweiß-Fotos, welche veranschaulichen, wie solche Nissenhüttenlager aussahen, wie sie  aufgebaut waren, und wie sich der Alltag einer Familie dort gestaltete.

Für die Wäsche beispielsweise musste Wasser in Eimern geschleppt werden und gewaschen wurde in Zinkwannen von Hand. Später entstanden durch genehmigte Anbauten Toilettenräume mit Plumpsklo, Kaninchenställe oder auch Lagerräume zwischen den Hütten. Die Bewohner, froh darüber, überhaupt eine Bleibe zu haben, waren teilweise stigmatisiert. Die Kinder wurden nicht selten in der Schule mit ihren ärmlichen Verhältnissen, in denen sie lebten, konfrontiert und fühlten sich ausgegrenzt. Für die Broschüre zur Verfügung gestellte Familienfotos zeugen vom Alltag in den Hütten. Trotz der Enge und der Behelfsmäßigkeit gab es doch auch fröhliche Momente. Die Menschen rückten zusammen. Es wurden Feste wie Verlobungen, Geburtstage und Weihnachten gefeiert. Verkleidete Decken mit Leuchtern, Tapeten und Bilder an den Wänden sowie Dekorationen vermittelten ein Stück Behaglichkeit und Normalität.

Im Schnitt mussten die Familien um die vier Jahre in ihren Nissenhütten ausharren, bevor sie in richtige Wohnungen umziehen konnten. Den Rekord hielt ein Nissenhüttenbewohner der Hohen Straße, der zwölfeinhalb Jahre dort verbrachte.

In den 60er Jahren wurden die Behelfsheime nach und nach abgerissen und durch moderne Mietshäuser ersetzt. Die Familien konnten endlich umziehen. 

Geschichtswerkstatt Harburg e.V. (Hg.): „Nissenhüttenlager in Harburg nach dem Ende des 2. Weltkrieges“, Geschichtswerkstatt Harburg e.V., Hamburg-Harburg 2019, broschiert, 50 Seiten, 8 Euro zuzügl. Versand. Bezug über E-Mail: nissen-lager-harburg@ifpch.com oder Telefon (0152) 51585858.