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25.10.19 / Zurück im Terror-Geschäft / Erdogan öffnet mit Syrienoffensive eine Büchse der Pandora – IS-Kämpfer mit neuen Aussichten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-19 vom 25. Oktober 2019

Zurück im Terror-Geschäft
Erdogan öffnet mit Syrienoffensive eine Büchse der Pandora – IS-Kämpfer mit neuen Aussichten
Bodo Bost

Im von syrischen Kurden kontrollierten Lager al-Haul, in dem 70000 Angehörige von IS-Mitgliedern interniert sind, starteten kurz nach der türkischen Militärintervention Dutzende Frauen einen zweiten Befreiungsversuch. 

Bereits einen Tag nach dem Einmarsch türkischer Truppen im Nordostsyrien haben Frauen im syrischen Lager al-Haul, in dem auch Tausende europäischer Dschihadisten inhaftiert sind, einen zweiten Ausbruchsversuch unternommen. Beim ersten Versuch Ende September, bei dem Anhängerinnen des Islamischen Staats (IS) das Feuer auf Wachen eröffnet hatten, waren vier Frauen erschossen worden. Schon damals hatte Mustafa Bali von der syrisch-kurdischen Regierung in einem Tweet die Situation im Lager als „stark verschlechtert“ bezeichnet, da IS-Kämpfer innerhalb des Camps eine neue Gruppierung durch Frauen gebildet hätten. 

Die Gewalt fand in einem „Nebengelände“ des Lagers statt, in dem etwa 10000 als besonders gefährlich eingestufte Ausländerinnen leben und dort illegale Scharia-Gerichte betreiben, denen die vier ermordeten Frauen wegen „unislamischen Verhaltens“ zum Opfer gefallen waren. Hier sind nach Aussagen des Polizeichefs des Lagers, Lawand Ali, noch 95 Prozent der Bewohnerinnen glühende Anhänger des IS. Nur etwa fünf Prozent hätten ihre Einstellung ein wenig geändert. Diese müssten fürchten, dass ihre Zelte niedergebrannt und ihre Kinder umgebracht werden. Wie die Kriegsfarbe des IS sind auch die Frauen im Lager schwarz gekleidet und vollverschleiert. 

Schon vor dem türkischen Einmarsch war die kurdische Verwaltung hoffnungslos überfordert. Das ganze Lager wurde beim 

ersten Aufstandsversuch nur von 400 kurdischen Wachleuten bewacht. Deshalb konnte dieser Aufstandsversuch erst nach mehreren Stunden mit dem Einsatz gepanzerter Fahrzeuge aus anderen Orten beendet werden. 

Da die aktiven IS-Kämpfer in anderen, besser gesicherten Lagern inhaftiert werden und einige der größten Gefährder zu Beginn des türkischen Einmarsches von US-Soldaten in den benachbarten Irak überführt wurden, führen jetzt weibliche Anhänger der Dschihadisten im Lager al-Haul eine Terrorherrschaft, berichten Menschenrechtler. 

IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi, der während seiner Territorialherrschaft von Frauen als Kämpferinnen nicht viel gehalten hat, betrachtet die Insassen als wertvolle Verstärkung. Er ruft seine Gefolgsleute in den Lagern auf durchzuhalten und verspricht ihnen die Befreiung. Sollte der IS, wie von al-Baghdadi befohlen, einen großangelegten Befreiungsversuch starten, wären die Kurden kaum in der Lage, diesen zurück­zuschlagen. 

Nach dem Einmarsch der Türken im Norden haben die Kurden die Mehrheit der 400 Bewacher abgezogen und an die Front verlegt. Auch die bislang dort tätigen Hilfsorganisationen, wie „Ärzte ohne Grenzen“, haben sich in den nahen Irak zurückgezogen. 

Die Lager-Insassinnen, darunter auch schätzungsweise 200 Frauen und Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit, warten jetzt noch, bis sich die türkischen Truppen noch mehr dem Lager, das 70 Kilometer weit von der türkischen Grenze entfernt liegt, genähert haben. Spätestens dann werden sie ihren türkischen und dschihadistischen Befreiern entgegeneilen, denn mit den Türken kämpft eine als „Nationale Armee“ bezeichnete radikalislamische Miliz, die ein kaum anderes Gedankengut als der IS hat. Diese dürften dann die befreiten Frauen und IS-Anhänger in die Region Idleb bringen, wo der Dschihad unter der al-Kaida Führung weitergeht.

Das ehemalige Dorf al-Haul mit seinen 3000 Einwohnern war über Nacht zum Massenlager für die bei Baghus gefangengenommenen IS-Kämpfer umfunktioniert worden. Die kurdischen demokratischen Kräfte, die die Hauptlast des Kampfes gegen den IS trugen, glaubten vorher nicht, dass ihnen so viele IS-Kämpfer lebend in die Hände fallen würden, hatten diese doch vorher unisono alle behauptet, dass sie bis zum Tode kämpfen würden. 

Die Zusammenführung so vieler extrem radikalisierter und enthemmter Menschen auf engsten Raum bietet einen idealen Nährboden für eine „Akademie“ für den „Islamischen Staat“, die im Aufbau ist, sagte ein kurdischer Geheimdienstler der US-Zeitung „Washington Post“. 

Einen sehr schädlichen Einfluss auf die Lagerinsassen übt auch weiterhin „Kalif“ al-Baghdadi aus, der nach wie vor auf freiem Fuß ist und nicht aus dem Islam ausgestoßen wurde. Al-Baghdadi forderte seine Gefolgsleute in einer Audio-Botschaft vor wenigen Wochen auf, die IS-Gefangenen in Syrien und im Irak zu befreien. Das Gebiet, wo sich das Lager befindet, ist die Siedlungsgrenze zwischen der kurdischen und arabischen Bevölkerung in Syrien. 

Mehr als zwei Jahre hatte der IS selbst das Gebiet um al-Haul unter seiner Kontrolle und konnte unter der dortigen arabischen Bevölkerung, die ihr Land schon immer auf Kosten der Kurden erweitern wollten, viele hochmotivierte Anhänger finden. Die Vorstöße in das christlichbesiedelte Chabour Tal in Nordost Syrien sind von al-Haul aus unternommen worden. Auch die christlichen IS-Geiseln, die sich nach Lösegeldzahlungen in Millionenhöhe jetzt größtenteils im Saarland und in Australien befinden, wurden monatelang in al-Haul vom IS festgehalten. 

Deshalb verdichten sich die Anzeichen, dass al-Baghdadi einen zweiten Anlauf unternehmen könnte für ein Territorialkalifat. In Syrien gibt es östlich von Palmyra im Herrschaftsgebiet Assads sogar noch kleinere Wüstengebiete, die der IS territorial beherrscht. Das Lager al-Haul mit seinen hochmotivierten extrem radikalisierten Frauen könnte in dieser Taktik eine wichtige Rolle spielen.

Erdogan ist jetzt für die Dschihadisten zum neuen Verbündeten geworden, wie schon vor 2013 als er Zehntausende IS-Anhänger aus aller Herren Länder durch die Türkei ins Schlachtgebiet des Heiligen Krieges reisen ließ. Erdogan schickt jetzt erst einmal Verbündete des Westens im Kampf gegen den IS. Er ignoriert nach wie vor, wer die wirklichen Terroristen im Nahen Osten sind.





Ein Kandidat für die »Osmanische Ohrfeige«

Hunderte türkische Intellektuelle, die die türkische Invasion in Nordsyrien kritisiert haben, wurden als Terroristen verhaftet. Sogar der Führer Nordzyperns, Mustafa Akinci, bislang ein treuer Vasall des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, wurde von diesem wegen seiner Zweifel an dem Feldzug, in den Senkel gestellt und bedroht.

Von Bildern mit militärisch salutierenden, patriotisch gesinnten türkischen Fußballern, die allabendlich über die Bildschirme gehen, sollte man sich daher nicht täuschen lassen. Hinter Erdogan mag vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen noch eine Mehrheit der gut verdienenden Fußballer stehen, aber in der Mehrheitsbevölkerung der Türkei  und sogar in seiner eigenen Partei AKP bröckelt die Zustimmung zu dem korrupten Ein-Mann-Herrscher in Ankara, der dabei ist, die türkische Wirtschaft zugrundezurichten. 

Die Offensive in Nordsyrien, die von Ankara als „Quelle des Friedens“ bezeichnet wird und eine neue Front im syrischen Bürgerkrieg eröffnet, die Syrien seit 2011 zerrissen hat, hat nicht nur einen internationalen Aufschrei ausgelöst. So hat sogar der Führer von Nordzypern kurz nach der Invasion türkischer Truppen in Nordsyrien Erdogan auf Facebook heftig angegriffen. Von der selbsternannten türkischen Republik Nordzypern (TRNC), die 1974 nach einem Überfall der Türkei auf den nördlichen Teil der Insel entstanden ist, dürfte Ankara wohl am wenigsten Kritik erwartet haben.

Laut türkischer Presse hat der Nordzypern-Chef Mustafa Akinci auf seinem Facebook-Account geschrieben: „Auch wenn wir die Operation ,Quelle des Friedens‘ nennen, fließt Blut, nicht Wasser.“ Akinci forderte „Dialog und 

Diplomatie“ als Lösung. Dialog und Diplomatie habe Erdogan aus seinem Sprachschatz gestrichen, bei ihm beherrschten Worte aus dem Koran, wie Rache, Austilgung und Niedermetzelung seit Beginn seiner Offensive in Nordsyrien den Wortschatz. 

Kritik von Kurden und vom Westen tut Erdogan gewöhnlich als terroristisch ab, aber die Kritik seines einstigen Vasallen hat ihn besonders wütend gemacht. „Ich sage es klar und deutlich: Akinci hat die Grenzen völlig überschritten“, sagte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. 

Die Äußerungen von Akinci, der bekannt ist für sein Bestreben, die wirtschaftliche und diplomatische Abhängigkeit Nordzyperns gegenüber dem „großen Bruder“ Türkei zu verringern, brachten Erdogan mehr als alle Boykottaufrufe aus dem Westen nach bester Diktatorenart regelrecht zum Toben. Und zwar auch deshalb, weil es sich bei Akinci um einen bislang durchaus loyalen Vasallen gehandelt hat. „Wenn es soweit ist, werden wir ihm die passende Antwort geben“, sagte Erdogan, ohne seine Gedanken zu präzisieren. Gemeint ist damit bestimmt die bereits bekannte „Osmanische Ohrfeige“, die Erdogans Geheimdienst ausführen wird. Die Amtszeit Akincis dürfte damit gezählt sein, obwohl er demokratisch gewählt ist. 

Dabei hatte man bisher geglaubt, der Syrer Assad sei der schlimmste Völkermörder im Nahen Osten. Jetzt flüchten sich sogar die seit Jahrhunderten chronisch verfolgten Kurden wieder einmal in Assads Arme(e), weil sie vor den Schlächtern und Gehilfen Erdogans ihr nacktes Leben retten wollen.B.B.