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25.10.19 / Ist Mario Draghi 2.0 noch zu stoppen? / Ohne Regelbrüche wird Christine Lagarde den Kurs ihres Vorgängers bei der EZB kaum fortsetzen können

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-19 vom 25. Oktober 2019

Ist Mario Draghi 2.0 noch zu stoppen?
Ohne Regelbrüche wird Christine Lagarde den Kurs ihres Vorgängers bei der EZB kaum fortsetzen können
Norman Hanert

Am 1. November übernimmt Christine Lagarde von Mario Draghi die Führung der Europäischen Zentralbank (EZB). Viele Beobachter erwarten, dass die neue EZB-Chefin die Geldpolitik ihres Vorgängers fortsetzen wird. Die Französin wird dabei allerdings auf einige Schwierigkeiten stoßen.

Von ihrem Vorgänger übernimmt Lagarde unter anderem ein Problem, für das sie binnen eines Jahres eine Lösung finden muss. Noch unter Draghi hat die EZB im September die Wiederaufnahme des Ende 2018 eingestellten Programms zum Kauf von Staatsanleihen beschlossen. Bereits ab November will die EZB erneut Wertpapiere der Euroländer im Volumen von monatlich 20 Milliarden Euro an den Märkten einsammeln. 

Nicht zuletzt auf Druck der Bundesbank hat sich die EZB bei ihren Käufen selbst Regeln auferlegt. Bei den Staatsanleihen gelten Obergrenzen von 33 Prozent pro Land. Ziel dieser Begrenzung ist es, eine dominierende Stellung der EZB auf dem Anleihemarkt zu verhindern. Zudem kauft die EZB die Anleihen auch proportional zum Kapitalanteil der nationalen Zentralbanken. Beispielsweise hat die Bundesbank einen Kapitalanteil von rund 26 Prozent an der EZB. Dementsprechend hoch sollte auch der Anteil deutscher Anleihen am Kaufprogramm sein. 

Absehbar ist inzwischen, dass die EZB diese Regelungen mangels Anlagevolumen nicht mehr lange durchhalten kann. Dabei spielen die deutsche Haushaltspolitik der „schwarzen Null“ und die Schuldenbremse eine Rolle, aber auch die massiven EZB-Anleihekäufe in der Vergangenheit. Schon bis Ende 2018 hatte die EZB im Laufe der Jahre Anleihen im Volumen von über zwei Billionen Euro an den Märkten eingesammelt. Über diese Käufe ist mittlerweile auch gut ein Drittel der Staatsschulden der Eurozone in den Büchern der EZB gelandet. 

Inzwischen beschäftigen sich auch Wirtschaftsforscher und Banken mit der Frage, ab wann die EZB ihre selbstgesetzten Grundsätze für die Wertpapierkäufe nicht mehr anwenden kann. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sagt zum Beispiel voraus: „Nach unseren Berechnungen wird dies bei monatlichen Nettokäufen von 20 Milliarden Euro und einem Festhalten am Kapitalschlüssel Anfang 2021 der Fall sein.“ Die US-amerikanische Investmentbank Jefferies sieht bei den Bundesanleihen den kritischen Punkt bereits elf Monate nach Wiederaufnahme der Anleihekäufe kommen. Im Fall der niederländischen Staatsanleihen steuert die EZB laut Jefferies bereits nach sechs Monaten auf einen Endpunkt zu. 

Deutschlands führende Wirtschaftsforschungsinstitute sind in einem Gutachten inzwischen zu der Einschätzung gelangt, dass die EZB trotz Bedenken der Bundesbank die Regeln für die Anleihekäufe ändern wird. Die neue EZB-Chefin Lagarde würde mit dem Einkassieren der alten Vereinbarung allerdings ris-kieren, dass die Kritik aus Deutschland an der extrem lockeren Geldpolitik weiter wächst. Berücksichtigen muss die Französin zudem, dass vor dem Bundesverfassungsgericht noch immer ein Verfahren anhängig ist, in dem es um die Zulässigkeit der EZB-Anleihekäufe geht. 

Das drohende Dilemma bei den Anleihekäufen kann als Vorbote einer größeren Entwick-lung gesehen werden. Wichtige Zentralbanken betreiben seit der globalen Finanzkrise von 2008/2009 mit Null- und Negativzinsen permanent eine Geldpolitik für den Ausnahmezustand. Inzwischen treten aber, etwa bei den Geschäftsbanken, auf dem Immobilienmarkt oder aber der Altersvorsorge, die massiven negativen Auswirkungen dieser Zinspolitik immer stärker zu Tage. Zudem ist bei der Nullzinspolitik unter den gegenwärtigen Bedingungen kein weiteres Senkungspotenzial vorhanden, um notfalls der Wirtschaft Impulse zu geben. Wenn dazu noch eine Rezessionsangst oder gar eine ausgemachte Wirtschaftskrise um sich greift, könnten sehr ungewöhnliche und radikale geldpolitische Maßnahmen die Folge sein.

Vorstellbar ist etwa, dass die EZB nach dem Vorbild der japanischen Zentralbank oder der Schweizer Nationalbank selbst in den Aktienhandel einsteigt. In der „Wirtschaftswoche“ wurden anlässlich des Führungswechsels bei der EZB noch weitere Möglichkeiten skizziert. Eine Einschränkung oder Abschaffung der Bargeldhaltung würde es beispielsweise ermöglichen, die Leitzinsen noch tiefer in den negativen Bereich zu drücken. Vor allem in den USA diskutieren einige Ökonomen die Idee, die Zentralbanken den Direktiven von Regierungen zu unterstellen und die Staatsfinanzierung direkt über die Notenpresse laufen zu lassen.

Den wenigsten gesellschaftlichen Widerstand würde vermutlich das Konzept des „Helikoptergeldes“ hervorrufen. Dabei würde die Zentralbank Geld direkt an Regierungen, Unternehmen und Privatpersonen geben, quasi einen Geldregen für alle starten. 

Sollte die EZB eines Tages tatsächlich solche Konzepte umsetzen wollen, würde damit endgültig der Boden des Maastricht-Vertrages verlassen. Notwendig wären entweder ganz massive Regelbrüche oder aber eine Neuverhandlung der Währungsunion. 

Schon jetzt mehren sich allerdings die Zeichen, dass der Widerstand gegen die extrem lockere Geldpolitik auch innerhalb der EZB wächst. Wie aus dem Tagungsprotokoll vom 12. September hervorgeht, gab es auf der EZB-Sitzung zahlreiche Gegenstimmen gegen die von Draghi auf den Weg gebrachten Zinsbeschlüsse und die Wiederauflage der Anleihekäufe.