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25.10.19 / Das Monster mutiert / Vor 40 Jahren erklärte die WHO die Welt für pockenfrei – Doch das Risiko einer Rückkehr der Krankheit bleibt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-19 vom 25. Oktober 2019

Das Monster mutiert
Vor 40 Jahren erklärte die WHO die Welt für pockenfrei – Doch das Risiko einer Rückkehr der Krankheit bleibt
Wolfgang Kaufmann

Vor 40 Jahren erklärte die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) die Pocken für ausgerottet. Bis dahin waren der hochansteckenden Infektionskrankheit viele hundert Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Inzwischen besteht die Gefahr, dass die Seuche in alter oder modifizierter Form wiederkehrt und ein neues Massensterben auslöst.

Die ersten Pockenfälle traten vor rund 12000 Jahren in den jung­stein­zeit­li­chen Siedlungen im Nordosten Afrikas auf – ausgelöst durch Nagetiere, die von den Vorräten der Menschen angezogen wurden und den Erreger Orthopoxvirus variolae in sich trugen. Später suchte die Krankheit vor allem das Reich der Pharaonen heim. So starb unter anderem Ramses V. an den Pocken. Die Einschleppung nach Europa erfolgte wahrscheinlich im Jahre 165 mit der Rückkehr der römischen Legionen, welche die parthische Stadt Seleukia-Ktesiphon eingenommen hatten. 

In den Jahrhunderten danach kam es in Europa sowie nachfolgend in Amerika zu permanenten Pockenepidemien, die zum Tode unzähliger Menschen führten. In Europa häuften sich die Krankheitsfälle besonders ab dem 18. Jahrhundert, wobei die Seuche nun schlimmer als die Pest wütete. Schätzungen von Medizinhistorikern zufolge tötete sie jedes Jahr um die 400000 Menschen, und ein Drittel der Überlebenden erblindete. Zu den Opfern der Pocken zählten auch König Ludwig XV. von Frankreich, Königin Maria II. von England und Zar Peter II. von Russland. 

Zu den Überlebenden einer Erkrankung an den Pocken gehörten die Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven, die Dichter Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller sowie Friedrich der Große, Elisabeth I. von England, George Washington, Abraham Lincoln und Josef Stalin. Im 20. Jahrhundert forderten die Pocken 300 Millionen Menschenleben weltweit.

Angesichts dieser enormen Mortalität wurde schon frühzeitig nach einem wirksamen Gegenmittel gesucht. Als solches erwiesen sich schließlich vorbeugende Impfungen. Den ersten Erfolg in dieser Hinsicht erzielte um 1549 der chinesische Arzt Wan Quan. Die beste Impfmethode war allerdings die 1796 von dem englischen Arzt Edward Jenner entwickelte Vakzination, bei der die gezielte Übertragung von weitestgehend harmlosen Kuhpockenviren auch zur nachfolgenden Immunität gegen die vielfach so tödlichen echten oder humanen Pocken führte.

Die Vakzination wurde bald in zahlreichen Staaten Pflicht, darunter in Bayern (1807), Baden (1809), Preußen (1815), Württemberg (1818) und dann später im gesamten Deutschen Reich (1874). Dennoch gab es weiterhin schwere Epidemien, besonders in den Ländern der Dritten Welt. Deshalb beschloss die WHO 1967, die Pockenimpfung rund um den Globus obligatorisch zu machen, um die verheerende Seuche ein für allemal auszurotten. Und das gelang dann auch bis 1978. 

Der letzte Pockenfall in Deutschland ereignete sich 1972. Ein jugoslawischer Gastarbeiter kam infiziert aus dem Heimaturlaub. Weltweit gesehen war die zweijährige Rahima Banu aus Bangladesch, die 1975 erkrankte und überlebte, der letzte Mensch, der sich in normaler Umgebung mit echten Pocken ansteckte. Danach traf es nur noch die englische Laborfotografin Janet Parker, weil ihr Arbeitgeber für keine ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen bei der wissenschaftlichen Erforschung des Virus gesorgt hatte. Sie starb am 11. September 1978 im Birminghamer Cather­ine-de-Barnes-Hospital.

Nachdem keine weiteren Erkrankungen mehr aufgetreten waren, vermeldete die WHO am 26. Oktober 1979 und dann nochmals am 8. Mai 1980 die Ausrottung der Seuche. Die Erde sei ein besserer Ort geworden, hieß es damals. Allerdings könnten die Pocken trotzdem wieder zuschlagen und tödliche Ernte halten. Denn sowohl im Forschungszentrum der US-amerikanischen Seuchenbehörde Centers for Dis­ease Control and Prevention (CDC) in Atlanta als auch in dessen russischem Gegenstück VECTOR (Staatliches Forschungszentrum für Virologie und Biotechnologie) in Kolzowo bei Nowosibirsk lagern noch Stämme des Erregers. Zwar hatte die Mehrheit der WHO-Mitgliedstaaten im Mai 2014 deren Vernichtung beschlossen, stieß damit jedoch in Moskau und Washington auf taube Ohren. Damit besteht die Gefahr, dass das Virus aus den Laboren ausbricht – entweder infolge von Bioterrorismus oder schlichter Schlamperei. So fand man 2014 einige – glücklicherweise gut versiegelte – Ampullen mit Pocken-Viren in einem Abstellraum des National Institute of Health in Bethesda (Maryland) an der US-Ostküste, die dort seit den 1950er Jahren vergessen herumlagen.

Und das ist noch nicht alles. 2016 demonstrierte der kanadische Mikrobiologe David Evans der entsetzten Fachwelt, wie unkompliziert es ist, innerhalb von nur sechs Monaten mit einem kleinen Team durchschnittlich qualifizierter Fachleute und reichlich 100000 US-Dollar Budget synthetische Pockenviren im Labor zu produzieren.

Die größte Zeitbombe tickt derzeit aber in der freien Natur. Neben dem oftmals tödlich wirkenden humanen Pockenvirus vom Typ Variolae gibt es noch weitere Varianten des Erregers, die in der Vergangenheit keine sonderliche Gefahr für die menschliche Spezies darstellten. Sie lösen unter anderem die Affen-, Kamel- und Waschbärenpocken aus, wobei als Wirte außerdem Präriehunde, diverse Nager und Katzen infrage kommen. Manche dieser Viren beginnen nun offenbar zu mutieren. Das gilt besonders für den Überträger der Affenpocken. Auf der einen Seite sorgt er mittlerweile ebenfalls für tödliche Infektionen, auf der anderen befällt er nun immer öfter Menschen statt Affen. Die derzeit bedrohlichste Variante der Affenpocken grassiert im Kongobecken und Zentralafrika – dort sterben aktuell schon zehn Prozent der Angesteckten. Auch in der westlichen Welt gab es bereits eine erste Affenpocken-Epidemie. 2003 erkrankten in sechs Bundesstaaten der USA 70 Menschen. Verantwortlich hierfür waren Tierimporte aus Ghana.

Insofern stellen der Tierhandel und die unkontrollierte Massen­emi­gration von Menschen aus Schwarzafrika ein enormes Gesundheitsrisiko dar. Das gilt zumindest für die jüngere Generation. Die hat wegen der 1979 verkündeten Ausrottung der echten Pocken nämlich keine entsprechenden Impfungen mehr erhalten, die auch gegen die allermeisten Mutationen und Unterarten des Virus schützen.