29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
25.10.19 / Aus der Mode gekommen / Aus Dornröschenschlaf geweckt: Tuchfabrik Müller in Euskirchen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-19 vom 25. Oktober 2019

Aus der Mode gekommen
Aus Dornröschenschlaf geweckt: Tuchfabrik Müller in Euskirchen
Andreas Rüdig/H. Tews

Der Großraum Aachen, Mönchengladbach, Krefeld, Ratingen, Euskirchen verfügt über eine große Tradition in Textilproduktion. Anschauliches Beispiel dafür ist im Euskirchener Stadtteil Kuchenheim die Tuchfabrik Müller, die seit dem Jahr 2000 ein Industriemuseum des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) ist.

Die ältesten Gebäudeteile stammen aus dem Jahre 1814. Damals eröffnete an dem Standort eine Papiermühle. Als sie Konkurs machte, kaufte Ludwig Müller 1894 den gesamten Gebäudebestand und machte sich mit einer Tuchfabrik selbstständig. Sie stellte die Wolle her, die beispielsweise für die Herstellung von Uniformen aller Art ge­braucht wurde. 1961 musste Müllers Sohn Kurt die Produktion in der technisch völlig veralteten und wirtschaftlich unrentablen Fabrik jedoch einstellen. Gebäude und Inventar fielen in einen Dornrös­chenschlaf.

Kurt Müller hatte in dem Irrglauben gelebt, die Produktion noch einmal aufnehmen zu können. Diesem Wunschdenken folgend hatte er Maschinen, Kontormobiliar und vieles mehr aufbewahrt, wie es die Arbeiter und Angestellten an ihrem letzten Arbeitstag hinterlassen hatten. So blieb das gesamte Arbeitsinventar erhalten, als der LVR das ganze Gebäudeensemble mitsamt In­ventar aufkaufte und restaurierte. Garnrollen, Ersatzteile, Hinweisschilder, Arbeitsanleitungen an den Wänden oder Arbeitsmaterialien – alles war noch vorhanden.

Vater und Sohn Müller hatten nie investiert und keine neuen Maschinen angeschafft – der Maschinenpark ist komplett aus Holz gefertigt und gibt den industriellen Stand der 1920er Jahre wieder. Der LVR hatte das Glück, eine museumsreife Einrichtung vorzufinden, zu der nichts hinzugefügt werden musste.

Der Produktionsbereich der Tuchfabrik kann heute nur bei einer der dreimal täglich angeboten Führungen besichtigt werden. Dabei gelangt man in Bereiche wie die Wolferei, Krempelei, Färberei, Spinnerei und Weberei, wobei auch einige historische Maschinen für die Besucher in Betrieb gesetzt werden.

Lärm, Staub, Gestank und Hitze vergangener Tage sind dann nicht mehr direkt zu spüren. Die Arbeitsbedingungen der Menschen früherer Tage lassen sich so aber trotzdem erlebbar machen.

Kontor und Wohnbereich der Unternehmerfamilie können auf eigene Faust besichtigt werden. Eingangsbereich, Museumsladen, Café sowie Räumlichkeiten für Sonderausstellungen sind in ei­nem gesonderten Gebäude aus neueren Tagen untergebracht.

Aktuell läuft in einem dieser Gebäude noch bis zum 17. No­vember die Ausstellung „Mythos Neue Frau – Mode zwischen Kaiserreich, Weltkrieg und Republik“. Der Bubikopf – die Kurzhaarfrisur gilt als das Sinnbild schlechthin für die moderne Frau der 1920er Jahre. Die Ausstellung zeigt die Gründe für die Entstehung des Mythos „Neue Frau“ auf und stellt den Modewandel zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen vor. Das war eine Ära, als die Tuchfabrik Müller noch nicht aus der Mode gekommen war.

Tuchfabrik Müller in der Carl-Koenen-Straße, 53881 Euskirchen. Die Ausstellung „Mythos Neue Frau“ ist geöffnet Dienstag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr, Sonnabend und Sonntag von 

11 bis 18 Uhr, Eintritt: 4 Euro.