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25.10.19 / Englands Rolle als Ordnungsmacht in Europa

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-19 vom 25. Oktober 2019

Englands Rolle als Ordnungsmacht in Europa

In Anlehnung an das nach wie vor aktuelle Brexit-Thema hat Brendan Simms, Professor für internationale Geschichte an der Universität Cambridge, ein inhaltsschweres Buch über die Beziehung zwischen Großbritannien und den kontinentaleuropäischen Staaten bis zur Gegenwart geschrieben. Es trägt den Titel „Die Briten und Europa. Tausend Jahre Konflikt und Kooperation“. 

Simms‘ Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte Europas und die Geschichte Deutschlands im europäischen Kontext. Gute Geschichtskenntnisse sind Voraussetzung dafür, diese bis zur Unübersichtlichkeit verästelte, wenngleich um Klarheit bemühte Darstellung mit Gewinn zu lesen. Dabei hat der irische Autor mit tiefem Verständnis für Großbritanniens Sonderrolle in Europa seine Perspektive bei dem Mammutvorhaben von vornherein thematisch eingegrenzt. Im Wesentlichen beschränkt er sich auf die Außenpolitik und den Verfassungsrahmen, während Wirtschaft, Innenpolitik und andere Aspekte, die damit eigentlich untrennbar verbunden sind, weitgehend außer Acht gelassen wurden. 

Der Autor ist Anhänger einer „vornehmlich kontinentalen“ Erzählung der Geschichte Englands, später Großbritanniens, und damit also kein Anhänger einer sogenannten „Inselgeschichte“. Dass diese Perspektive recht einseitig ist, erweist sich ungeachtet der Gelehrsamkeit des Autors im Hinblick auf die Entstehung des britischen Empire vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen kolonialen Rivalität mit den anderen europäischen Seemächten. Hier lässt die Darstellung bewusst Lücken.  

Simms vertritt die Ansicht, dass Europa durchgehend Dreh- und Angelpunkt britischer Politik war, da ein Angriff über den Ärmelkanal verhindert werden müsse. „Die Nähe zu Europa war gut für den Handel, aber schlecht für die Verteidigung. England war sich darüber im Klaren, dass es Verbündete brauchte.“ Zur eigenen Sicherheit erfüllte England jahrhundertelang die Aufgaben einer Ordnungsmacht in Europa, wurde aber selbst nie durch Europa fremdbestimmt. Geschmeidig wurde die britische Außenpolitik je nach den Machtverhältnissen auf dem Kontinent durch Abschreckung, gerissene Diplomatie und häufig wechselnde Koalitionspartner bei der Kriegführung bestimmt. So sollten gefährliche Bündnisse verhindert und die Interessen der Großreiche Spanien, Österreich und Frankreich durchkreuzt werden. Das betraf auch den nordamerikanischen Kontinent. Neue Herausforderungen für die britische Sicherheit entstanden, als im 19. Jahrhundert die aufsteigenden Mächte Preußen und Russland hinzukamen. 

Simms hebt die Prosperität der britischen Wirtschaft als Voraussetzung für militärische Stärke hervor, beleuchtet aber nicht deren wichtigste Quelle: die Kolonien in Übersee mit ihren Reichtümern. Auf den Weltmeeren führten die Engländer mit ihren Kriegsflotten einen erbitterten, immer erfolgreicheren Kampf gegen ihre europäischen Konkurrenten um Kolonialbesitz und die Schätze der fernen Territorien. Was Großbritannien betrifft, so geschah dies nach Auffassung von Simms lediglich aufgrund der bekannten Motivlage im erstarkenden Inselreich: „Der Erwerb eines Überseereichs war ein Mittel, um die Herausbildung eines europäischen Hegemons zu verhindern … und dass die betreffenden Territorien einem Rivalen in die Hände fielen. Das britische Empire wurde überwiegend aus europäischen Gründen erobert.“ Das ist eine überraschend einseitige Interpretation. Überraschend ist auch, dass der lukrative Sklavenhandel über den Atlantik hinweg kaum einmal erwähnt wird. 

Im Kapitel „Großbritannien, die letzte europäische Seemacht“ fasst der Autor zusammen, welche Faktoren für Großbritanniens Stärke außerdem entscheidend waren und sind: die anglo-britische „soft-power“ als Methode, andere dazu zu bewegen, was man selbst will, und nicht zuletzt die Robustheit des britischen Verfassungsmodells. Alles in allem ist dies ein sehr erhellendes Buch, und es entsteht beim Leser volles Verständnis für die durchscheinende Auffassung des Autors, dass man als Brite mit „dem Ausmaß des Ordnungsanspruchs der EU“ unmöglich einverstanden sein kann. D.J.

Brendan Simms: „Die Briten und Europa. Tausend Jahre Konflikt und Kooperation“, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2019, gebunden, 397 Seiten, 28 Euro