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01.11.19 / Weimarer Verhältnisse in Thüringen / Wird keine Partei schwach und fällt um, scheint nur die Möglichkeit einer Minderheitsregierung zu bleiben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-19 vom 01. November 2019

Weimarer Verhältnisse in Thüringen
Wird keine Partei schwach und fällt um, scheint nur die Möglichkeit einer Minderheitsregierung zu bleiben
Peter Entinger

In Thüringen herrschen nun tatsächlich Weimarer Verhältnisse. Um eine stabile Regierung zu bilden, müssen neue Konstellationen angedacht werden. 

Gibt es vielleicht doch eine lange undenkbare Koalition zwischen CDU und Linken? Thüringens CDU-Chef Mike Mohring stieß die Tür am Wahlabend ganz weit auf. Man müsse erst einmal „gucken, was für unser Land richtig ist“. Man müsse „neue Antworten“ liefern, jetzt, da es keine Mehrheit in der Mitte mehr gebe. Das Wahlergebnis habe so niemand erwartet. „Seit 1949 gab es keine demokratischen Wahlen, die zu einem Ergebnis geführt haben, die eine Regierungsbildung in der Mitte nicht ermöglichen“, sagte Mohring. Man werde nun schauen, was man gemeinsam mit diesem Wahlergebnis mache.

Welche Rolle seine CDU dabei spielen könnte, ließ Mohring offen. Er schloss bisher Bündnisse mit der AfD oder der Linkspartei aus, zumindest die Absage an die AfD erneuerte er am Wahlabend. Auf Bundesebene fiel die Reaktion aber deutlicher aus. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak twitterte: „Unser Wort gilt, keine Koalition mit AfD oder Linken.“

Dass es keine Mehrheit mehr in der Mitte gibt, liegt auch am schwachen Abschneiden der Union. Diese stürzte um mehr als zehn Punkte auf unter 23 Prozent ab und ist im Freistaat nur noch drittstärkste Kraft hinter Linkspartei und AfD. 

Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland sieht die CDU nach der Landtagswahl in Thüringen am Scheideweg. „Die CDU muss sich überlegen, ob sie künftig mit Linken und Grünen und Sozialdemokraten regieren will oder mit der einzigen bürgerlichen Volkspartei, der AfD“, sagte er. Die CDU müsse sich überlegen, ob sie auf ihre Basis hören „oder den Weg ins politische Aus gehen“ wolle. Die CDU werde wie die SPD als Volkspartei untergehen, wenn sie diesen Weg weitergehe. Dann könne die AfD bei Wahlen bei 50 Prozent der Stimmen landen.

Die Alternative, die mit ihrem umstrittenen Spitzenkandidaten Björn Höcke ins Rennen gegangen war, verdoppelte ihr Ergebnis auf rund 24 Prozent. Höcke, der am Wahlabend minutenlang von seinen Anhängern gefeiert wurde, kündigte an, dass seine Partei beim nächsten Mal die absolute Mehrheit erreichen werde, sollte es zu einer Koalition zwischen Linkspartei und CDU kommen. 

Beflügelt von den hohen Zustimmungswerten von Ministerpräsident Bodo Ramelow kamen die Ex-Kommunisten auf rund 30 Prozent und zogen dabei auch Stimmen von SPD und Grünen ab. 

Der Klima-Hype spielte keine Rolle im Wahlkampf. Die Ökopartei schaffte mit Ach und Krach den Einzug in den Landtag. Am Ende zogen Grüne und FDP mit je fünf Prozent ins Parlament ein. Bei der FDP waren dabei fünf Stimmen ausschlaggebend.

Nur unwesentlich besser schnitt die SPD ab, ihre Einstelligkeit scheint in weiten Teilen des Ostens der Republik zementiert. 

Ministerpräsident Ramelow erklärte, dass es einen klaren Regierungsauftrag für seine Partei gebe. Diesen Auftrag werde er auch annehmen. Es sei derzeit zu früh, um sagen zu können, wie genau die Gespräche über eine Regierungsbildung laufen müssen. Ramelow hat erst einmal keine Mehrheit im Landtag, um sich erneut wählen zu lassen. Da aber auch niemand anderes genug Stimmen im Parlament hätte, um ihn abzulösen, könnte Ramelow geschäftsführend im Amt bleiben. Die Thüringer Landesverfassung sieht keine Frist vor, in der ein neuer Ministerpräsident gewählt werden muss. Einen Haushalt für 2020 hat Rot-Rot-Grün bereits verabschiedet. Dennoch wäre dies wohl nur eine umstrittene Übergangslösung, in diesem Fall könnte es schon im kommenden Jahr Neuwahlen geben. Umgekehrt könnte es auch Mohring mit einer Minderheitsregierung versuchen. Für die Wahl des Ministerpräsidenten ist im dritten Wahlgang nur noch eine relative Mehrheit nötig – und keine absolute Mehrheit wie in den ersten beiden Wahlgängen. 

CSU-Generalsekretär Markus Blume sieht in dem Wahlergebnis auch eine Warnung an SPD und Grüne auf Bundesebene: „Wer mit den Rändern koaliert, verliert“, sagte er in München. In Thüringen stünden die Parteien jedenfalls „vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen Politik“. 

Grünen-Chef Robert Habeck führte das mäßige Abschneiden seiner Partei auf eine geringe Veränderungsbereitschaft in Mitteldeutschland zurück. „In Thüringen speziell war der Wahlkampf nochmal härter, geradezu unversöhnlich“, sagt er: „Alle demokratischen Parteien sollten miteinander gesprächsfähig sein.“

Die völlig ungeklärten Machtverhältnisse in Thüringen geht vor allem auf das starke Abschneiden und die gestiegene Wahlbeteiligung zurück, von der vor allem die AfD profitierte. Die AfD konnte besonders viele Nichtwähler mobilisieren: 80000. Die Linke konnte 47000 vorherige Nichtwähler dazu bringen, diesmal bei ihr das Kreuzchen zu machen, die CDU erreichte rund 33000 bisherige Nichtwähler, verlor aber etwa 37000 Wähler an die AfD und 19000 an die Linke – vor allem Ältere über 60 Jahre. Die SPD verlor 17000 Wähler an die Linke und rund 7000 an die AfD. 

Die Ex-Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, äußerte sich entsetzt über das Abschneiden der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen. „Die stetige Erosion der demokratischen Kultur setzt sich an diesem Wahlsonntag ungebremst fort“, sagt sie.