19.04.2024

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01.11.19 / Präsidiale Entschuldigung / Massenunruhen in Chile – Staatschef Piñera gibt sich reumütig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-19 vom 01. November 2019

Präsidiale Entschuldigung
Massenunruhen in Chile – Staatschef Piñera gibt sich reumütig
Peter Entinger

Chile erlebt eine Explosion der Gewalt, wie es sie in den fast 30 Jahren Demokratie noch nicht gegeben hat. Bislang galt es in der Nach-Pinochet-Ära als eines der stabilsten Länder Lateinamerikas. Trotz höchstem Pro-Kopf-Einkommen der Region versank der 16-Millionen-Einwohner-Staat in den vergangenen Wochen im Ausnahmezustand. Mindestens 15 Menschen starben bei den Protesten, Hunderte wurden verletzt. 

Anfang Oktober fing alles an wegen der Erhöhung der Fahrpreise der U-Bahn von 800 auf 830 Pesos, umgerechnet etwa vier Cent. Schüler riefen zur „evasión“ auf, zum kollektiven Schwarzfahren. Innerhalb weniger Tage breiteten sich die Proteste auf alle U-Bahn-Stationen aus, anschließend auf die gesamte Stadt und dann aufs ganze Land. 

Es geht um mehr als um Fahrpreise. Noch am 8. Oktober sagte der chilenische Präsident Sebastián Piñera stolz in die Fernsehkameras, dass „inmitten dieses turbulenten Lateinamerikas, Chile eine wahre Oase mit einer stabilen Demokratie“ sei. Am vergangenen Sonntag sprach er von einem „Krieg gegen einen mächtigen Feind“, in dem sich Chile gerade befände. Seit 1987, den Zeiten der Diktatur, hat das Militär keine Panzer mehr in den Straßen Chiles aufgefahren, um die öffentliche Ordnung herzustellen. Doch selbst diese Maßnahme hat die Wut der Bevölkerung auf den Straßen nicht beruhigt.

Nun hat die Regierung eingelenkt und ein umfassendes Paket von Sozialreformen angekündigt. So sollen die Mindestrente um 

20 Prozent angehoben und die Strompreise eingefroren werden. Außerdem sollen eine Krankenversicherung für besonders schwere Krankheiten eingeführt und die Medikamentenpreise gesenkt werden. Spitzenverdiener mit einem monatlichen Einkommen von mehr als umgerechnet 10000 Euro sollen höhere Steuern zahlen und die Gehälter von Parlamentariern und hohen Staatsbeamten gesenkt werden. 

„Angesichts der legitimen Bedürfnisse und sozialen Forderungen der Bevölkerung haben wir mit Demut und Klarheit die Botschaft erhalten, die die Chilenen uns übermittelt haben“, sagte der konservative Politiker. Zugleich entschuldigte er sich dafür, dass er das Ausmaß der sozialen Unzufriedenheit nicht erkannt habe. „Ich räume diesen Mangel an Weitblick ein und bitte meine Mitbürger um Entschuldigung.“

Das Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr auf 2,5 Prozent geschätzt, die Inflation liegt bei lediglich zwei Prozent. Bei einem großen Teil der Bevölkerung kommt von diesem positiven Wirtschaftstrend jedoch wenig an. Viele chilenische Familien verdienen zwischen knapp 500 und 630 Euro im Monat. Der Großteil der Bevölkerung gibt rund zehn Prozent seines Monatslohns dafür aus, zur Arbeit und wieder nach Hause zu kommen. Die Mindestrente liegt umgerechnet zwischen 100 und 200 Euro. Viele Studenten müssen sich verschulden, um die Universität zu bezahlen. „Es geht nicht um 30 Pesos, sondern um 30 Jahre“, heißt es in einem der Protestaufrufe.