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01.11.19 / Stählerne Magnolie / Schalck-Golodkowskis Devisenbeschaffungssystem im Fokus einer Fernsehserie zum Jahrestag des Mauerfalls

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-19 vom 01. November 2019

Stählerne Magnolie
Schalck-Golodkowskis Devisenbeschaffungssystem im Fokus einer Fernsehserie zum Jahrestag des Mauerfalls
Anne Martin

Zum anstehenden 30. Jahrestag des Mauerfalls stellt das ZDF mit einer ambitionierten dreiteiligen Fernsehserie die Frage, wie hoch der „Preis der Freiheit“ war. 

30 Jahre nach dem Fall der Mauer wird immer noch Neues aufgedeckt im perfiden System dieser so gar nicht demokratischen Republik. Mit dem Dreiteiler „Preis der Freiheit“ untersucht die renommierte Produzentin Gabriela Sperl die Umtriebe der „Kommerziellen Koordinierung“ (KoKo) – jenem Bereich des DDR-Ministeriums für Au­ßen- und Innerdeutschen Handel unter der Leitung des undurchsichtigen Alexander Schalck-Golodkowski, die der maroden DDR im Handel mit der Bundesrepublik Milliarden an Devisen verschaffte.

Flüchtlinge, Waffen, Müll – wenn es um Bares ging, arbeiteten die feindlichen Systeme Hand in Hand. Alle Beteiligten gaben Ideale wie Ideologie geschmeidig an der Garderobe ab, solange nur ein Geschäft dabei heraussprang. Dieses Ost-West-Drama (Sendetermine am 4., 5. und 6. November, jeweils um 20.15 Uhr im ZDF) ist ambitioniertes Fernsehen, dessen quotentechnisches Verhängnis darin liegen könnte, dass die vielfachen Verstrickungen diesseits und jenseits der Zonengrenze höchste Aufmerksamkeit des Zuschauers erfordern. 

Wie auf dem Schachbrett werden die Schicksale dreier Schwestern entworfen, die sich ineinander verhaken, aber nie zueinander finden. Geschwister, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Die alleinerziehende Buchhändlerin Lotte (Nadja Uhl) ist in der Umweltbewegung engagiert, während ihr pubertierender Sohn sich in rechtsradikale Kreise verirrt. Die ranghohe KoKo-Mitarbeiterin Margot (Barbara Auer) kennt alle Tricks und wendet sie auch an. 

Schließlich ist da noch die in den Westen geflüchtete Silvia (Nicolette Krebitz), die dort unter falschem Namen als Mitarbeiterin des Bonner Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen ge­gen ihre frühere Heimat DDR arbeitet. Für ihre Familie in OstBerlin ist Silvia/Ina gestorben – auch ihre beiden Kinder wachsen mit dieser Lüge auf. Und als nach dem Mauerfall die Wahrheit herauskommt, darf nicht sein, was nicht sein soll: Ausgerechnet Mutter Else (Angela Winkler) verstößt die heimgekehrte Tochter ein weiteres Mal. 

Produzentin Sperl: „Wir legen den Finger in noch offene Wunden und zeigen die tiefen Gräben, die einer wirklichen Annäherung zwischen Ost und West immer noch entgegenstehen. Wir zeigen den Verfall korrupter Eliten, die nie belangt wurden, weil sie den Westen mit ihrem Wissen erpressen konnten.“

Eine folgende Dokumentation (am 4. November um 21.55 Uhr)  belegt das ganze Ausmaß des Schalck-Golodkowski-Imperiums: Mit über 220 Tarnfirmen und mehr als 1000 Bankkonten regierte der Mogul, im Film dargestellt von Thomas Thieme, ein geheimes Netzwerk, das die DDR jahrzehntelang mit Devisen versorgte. Hauptgeschäftszweig: Der Flüchtlingsaustausch gegen Bares. Um die DDR finanziell zu retten, wurden im großen Stil DDR-Bürger verhaftet und danach für Milliarden an den Westen verkauft. Der Kampf für den Sozialismus läuft dabei nach den Regeln des Kapitalismus. Da wird getrickst und getäuscht und der westliche Müll schließlich in der DDR verklappt.

Dennoch steht die DDR 1989 kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Wie so viele hängt auch Schalck-Golodkowski nach dem Zusam­menbruch des Arbeiter- und Bauernstaates sein Mäntelchen in den Wind: Unter dem Decknamen „Schneewittchen“ teilt er dem Bundesnachrichtendienst Internes über die KoKo mit, wird vielfach angeklagt, aber letztlich nur zu 16 Monaten auf Bewährung verurteilt. Seinen komfortablen Lebensabend verbringt er am bayerischen Tegernsee. 

Was den Dreiteiler unbedingt sehenswert macht, sind einmal mehr die Schauspieler: Barbara Auer, stets mit hochgeschlossenen Kostümen gepanzert, gibt die stramme Funktionärin, fest vereinnahmt von einer Diktatur, der sie widerspruchslos dient. Die Fassung verliert diese stählerne Magnolie nur einmal, als sie im Garten ihrer Mutter wie von Sinnen Pflanzen herausreißt. Soeben hat sie von der verseuchten Erde in Bitterfeld erfahren, der mütterliche Garten liegt gleich nebenan.

Aber wenn Margot, die wohl nicht von ungefähr denselben Vornamen trät wie Margot Ho­necker, streng ist, dann ist ihre Mutter verbohrt: Sie bleibt. Bis zum Schluss. Weicht auch keinen Millimeter, als ein Wendegewinnler mit Siegelring am Finger ihr Haus für sich reklamiert. Mehrfach schlägt sie ihm die Tür vor der Nase zu, beim letzten Mal hält sie inne und bittet mit maliziösem Lächeln zum Tee.

Es ist viel geschrieben und gedreht worden zum Thema DDR, mit diesem Dreiteiler traut sich das ZDF erstmals an die komplexe Geschichte des west-östlichen Pokerns. Das ist nicht frei von Klischees, wenn windige Unterhändler in westlichen Nachtclubs die Freuden des Nachtlebens genießen. Stark ist der Film vor allem in den privaten Momenten, wenn etwa Margots Ehemann (Joachim Król) an seiner betonköpfigen Frau verzweifelt. 

In seiner Serie versammelt Re­gisseur Michael Krummenacher Schauspieler mit Ost- und West-Biografien. Barbara Auer, 1959 in Konstanz geboren, zitiert einen Kollegen am Theater, der dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß unendlich dankbar war: „Nur aufgrund dessen Vermittlung wurde er seinerzeit ausgetauscht.“

Nadja Uhl, 1972 geboren in Stralsund, bekennt: „Ich bin ein Glückskind dieser Zeit, für mich war die Wende ein Geschenk.“ Sie erinnert sich gut daran, wie sie auf dem Ost-Berliner Fernsehturm stand und die blinkenden Autos in West-Berlin sah. „Es war der Ort einer tiefen Sehnsucht, ganz einfach schon dadurch, weil mir bewusst war, dass ich dort in meinem Leben nie hinkommen werde. Ob es dort gut oder schlecht war, war für mich als Kind nicht relevant. Es war ein Teil der Welt, die mir immer verschlossen bleiben würde.“ 

Sie sieht aber auch, dass nach dem Zusammenbruch der DDR Ähnliches passierte wie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges: Strukturen blieben erhalten, Funktionäre sind weich gefallen. 

Im Film wird gezeigt, wie schnell die SED-Funktionäre auf die neue Zeit reagierten: Die Au­toflotte des Ministeriums wird flugs zu Taxis umlackiert, das Mil­liardenvermögen der Bonzen versickert in dubiosen Kanälen. Die linientreue Margot aber wird trotz heimlich unterschlagener Latifundien, also Grundstücksvermögen, nicht glücklich werden. Auch das unblutige Ende einer Diktatur fordert seinen Preis.