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01.11.19 / Stalin glaubte dem Meisterspion nicht / Kaum einer beherrschte sein Handwerk wie er – Vor 75 Jahren wurde Richard Sorge gehenkt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-19 vom 01. November 2019

Stalin glaubte dem Meisterspion nicht
Kaum einer beherrschte sein Handwerk wie er – Vor 75 Jahren wurde Richard Sorge gehenkt
Erik Lommatzsch

Der Teil der Geschichtsschreibung, der sich mit Spionage befasst, ist anfällig für das Sensationelle. Aus Mangel an zuverlässigen Quellen sind Spekulationen keine Seltenheit, was Debatten nach sich zieht. In einem aber sind sich nahezu alle einig: Der deutsche Kommunist Richard Sorge war einer der größten Spione aller Zeiten.

Geboren wurde Richard Sorge am 4. Oktober 1895 im aserbaidschanischen Sabunçu, heute ein Stadtteil von Baku. Sein gleichnamiger Vater war dort als Spezialist für Ölbohrmaschinen tätig. Der ursprünglich aus Wettin stammende Richard Sorge senior zog 1898 aus gesundheitlichen Gründen mit seiner Familie nach Lankwitz. So verbrachte der Sohn Kindheit und Jugend nahe der Reichshauptstadt. 

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete er sich freiwillig. 1916 wurde er durch Granatsplitter schwer verwundet. Sein linkes Bein blieb um zwei Zentimeter verkürzt. Es heißt, in einem ostpreußischen Feldlazarett sei er einer jungen Krankenschwester und deren Vater, einem Arzt, begegnet, zwei radikalen Sozialisten, die ihn mit ihrem Gedankengut vertraut gemacht hätten. Fest steht, dass Sorge 1917 der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) und im Oktober 1919 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) beigetreten ist. Sein Studium der Nationalökonomie und Philosophie schloss er mit einer wirtschaftswissenschaftlichen Promotion ab. Erst in Kiel, dann in Aachen und schließlich in Frankfurt am Main war er als Assistent des Soziologen Kurt Albert Gerlach tätig, einem USPD-Mitglied und Anarchosyndikalisten. Er unterrichtete und publizierte an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik. So etwa erschien 1922 die Abhandlung „Rosa Luxemburgs Akkumulation des Kapitals. Bearbeitet für die Arbeiterschaft“.

Vor allem wirkte er für seine Partei. Er organisierte Arbeiter in einem Bergwerk, in dem er zeitweise tätig war. Er wurde Lehrer an einer KPD-Parteischule und verfasste journalistische Beiträge. An der Abwehr des Kapp-Putsches 1920 war er beteiligt. 1923 kam es zu rot-roten sogenannten Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen, die jeweils eine Reichsexekution zur Folge hatten, in Hamburg organisierte die KPD einen Aufstand. Sorge arbeitete in dieser Zeit als Kurier für die Kommunisten und deren späteren Vorsitzenden Ernst Thälmann.

1925 übersiedelte Sorge nach Moskau, wurde Mitglied der KPdSU und arbeitete für die Kommunistische Internationale. Die Analyse- und Pressearbeit war sein Feld. Er unternahm eine Vielzahl von Reisen, als ein Schwerpunkt entwickelte sich dabei China.

Durch die Qualität seiner Arbeit zog der sprachbegabte und weltgewandte Sorge die Aufmerksamkeit des Nachrichtendienstes der Roten Armee auf sich. Getarnt als deutscher Journalist wurde er 1929 nach Schanghai geschickt. Die Sowjetunion sah ihre Sicherheitsinteressen im Zusammenhang mit dem Chinesischen Bürgerkrieg bedroht. Sorge lieferte die gewünschten Informationen. In Schanghai arbeiteten erstmalig der Funker Max Christiansen-Clausen und der japanische Journalist Ozaki Hot­sumi, beide ebenfalls kommunistisch gesinnt, unter seiner Leitung. Mit ihnen sollte er auch später eng zusammenwirken.

Der Auftrag seines Lebens wurde für Sorge die Spionage in Japan, mit dem vorrangigen Ziel, die Sow­jetunion über dortige Vorhaben und Aktivitäten unterrichten zu können. Offiziell abermals deutscher Journalist, baute er ab 1933 von Tokio aus ein Netzwerk auf. Um seine Rolle überzeugend spielen zu können, wurde er 1934 Mitglied der NSDAP. Sorge kam zugute, dass er das Vertrauen des deutschen Militärattachés und späteren Botschafters in Tokio, Eugen Ott, gewinnen konnte. Ozaki Hotsumi wurde sogar Berater des japanischen Ministerpräsidenten Konoe Fumimaro. Der Wert derartiger Spitzenkontakte war kaum zu überschätzen.

Sorge, der weiterhin zahlreiche Reisen unternahm, wurde auch für Berlin interessant, aber anders, als man es aufgrund seiner Biografie vielleicht vermuten könnte. Im Februar 1936 hatte in Tokio 

ein schnell niedergeschlagener Putschversuch stattgefunden. Eine von Sorge angefertigte Lagebeurteilung nutzte der deutschen Regierung, die zu dieser Zeit mit Japan verhandelte. Sorge erhielt in der Folge Aufträge, wurde in der Botschaft tätig und hatte Zugriff auf entsprechende Akten. Da die Deutschen nun ebenso von seinen Informationen profitierten, ist es nicht ganz falsch, wenn er als „Doppelagent“ apostrophiert wird, wogegen er selbst sich wahrscheinlich verwahrt haben würde. Warum er aufgrund seines bekannten politischen Vorlebens niemals das Misstrauen der Gestapo oder anderer deutscher Stellen erregte, ist unklar.

Via Funkspruch oder Mikrofilm war Sorge in der Lage, Moskau an entscheidender Stelle ins Bild zu setzen. Er lieferte frühzeitig detaillierte Angaben zum Antikominternpakt, der im November 1936 zwischen Japan und Deutschland abgeschlossen wurde. 1939 war man in der Sowjetunion über den japanischen Angriff auf die Mongolei informiert und konnte, gemeinsam mit den Mongolen, einen erfolgreichen Gegenschlag führen.

Nicht um Japan ging es allerdings bei der bekanntesten Tat Sorges. Er unterrichtete die Sowjets über den bevorstehenden deutschen Angriff im Juni 1941, das „Unternehmen Barbarossa“. Widersprüchliche Angaben finden sich bezüglich der Frage, ob er wirklich den exakten Tag voraussagte. Kurioserweise war Josef Stalin der Ansicht, bei der Mitteilung des erprobten Agenten handle es sich um eine feindliche Provokation. Sie wurde als entsprechend nichtig abgetan.

Als militärisch äußerst bedeutsam – möglicherweise sogar hinsichtlich des gesamten Kriegsausgangs – galt im Herbst 1941 die Erkenntnis, dass Japan sich nunmehr auf die USA und den pazifischen Raum konzentrieren wollte. Auf dieser Grundlage konnten die 

Sowjets Truppen aus dem Osten ihres Reiches abziehen und sie zur Abwehr der Deutschen im Westen einsetzen. Dort wurden sie dringend benötigt. Die entsprechenden Informationen hatte Sorge im September 1941 geliefert. Ob das Handeln der Moskauer Führung eine Folge von dessen Nachrichten oder anderweitig motiviert war, lässt sich nicht eindeutig entscheiden. Der US-amerikanische Weltkriegshistoriker Gerhard L. Weinberg fragt, warum Stalin seinem Meisterspion – und das war Sorge zweifelsfrei – hier mehr hätte Glauben schenken sollen als beim Angriffstermin.

Im Oktober 1941 wurde Sorge von der japanischen Geheimpolizei verhaftet. Stalin erwies sich als äußerst undankbar. Mehrere Austauschvorschläge wurden mit dem Satz beschieden: „Der Name Richard Sorge ist uns unbekannt.“ Am 7. November 1944 wurde er in Tokio gehenkt.

Nach dem Tod Stalins ehrte ihn seine Wahlheimat unter anderem mit der Verleihung des Titels „Held der Sowjetunion“. Die DDR benannte mehrere Straßen und Schulen nach ihm. Der Staatssicherheit galt der „Kundschafter des Friedens“ – so die hier gepflegte Bezeichnung für die Auslandsspione – als Personenkult-verzerrtes Leitbild.