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08.11.19 / Rolle rückwärts in Argentinien / Die Peronisten unter Alberto Fernández und Cristina Fernández de Kirchner erobern die Macht zurück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-19 vom 08. November 2019

Rolle rückwärts in Argentinien
Die Peronisten unter Alberto Fernández und Cristina Fernández de Kirchner erobern die Macht zurück
Markus Matthes

Bei der Wahl des Präsidenten und des Vizepräsidenten Argentiniens am 27. Oktober schafften die politischen Erben von Juan Domingo Perón, dem Vater und Namensgeber des bis heute populären Peronismus, nach vier Jahren den Sprung zurück an die Regierung. 

Alberto Fernández, von 2003 bis 2008 Kabinettsleiter der Präsidenten Néstor Kirchner und Cristina Fernández de Kirchner, sowie Cristina Fernández de Kirchner, von 2007 bis 2015 Staatspräsidentin Argentiniens, von der Wahl­allianz Frente de Todos (Gemeinsame Front) siegten mit 48,1 Prozent. Das amtierende Paar aus Präsident Mauricio Macri und Vizepräsident Miguel Ángel Pichetto vom Wahlbündnis Juntos por el Cambio (Gemeinsam für die Wende) kam mit 40,3 Prozent nur auf den zweiten Platz. Laut der argentinischen Wahlordnung reichen beim ersten Durchgang bereits 45 Prozent zum Sieg. 

Noch im August 2017 hatte Macris Partei die Parlamentswahlen deutlich gewonnen. Damit schien sich eine nichtperonistische Option etabliert zu haben. Doch konnte er keine seiner 2015 zu Beginn seiner Präsidentschaft leichtfertig gegebenen wirtschaftlichen Versprechen halten, und das Land befindet sich in einer Rezession. Allein in den letzten zwei Jahren verdoppelten sich Argentiniens Auslandsschulden auf über 283 Milliarden US-Dollar. Durch Eingriffe in den traditionell sehr regulierten, ja abgeschotteten Devisenmarkt verlor der Peso 2018 die Hälfte an Wert und ein weiteres Zehntel der Bevölkerung rutschte unter die Armutsgrenze. Nach Venezuela und Simbabwe hatte Argentinien im vergangenen Jahr mit 47 Prozent die weltweit dritthöchste Inflationsrate. 

Macri, Sohn eines italienischen Einwanderers, Bauingenieur, Un-ternehmer, Manager eines großen Fußballvereins und ehemaliger Bürgermeister von Buenos Aires, ist auch an mangelnder politischer Erfahrung gescheitert. Seine persönlichen Erfolge boten nicht die Lösung für die chronischen Probleme, die Argentinien immer tiefer in den Abgrund reißen. Man ging einfach davon aus, dass nach dem Abschneiden alter Zöpfe der Aufschwung und die herbeigeredeten ausländischen Investitionen von alleine kämen. Zudem gab es wenig Rücksicht auf den wichtigsten Koalitionspartner und die gesprächsbereite Opposition. Eine drastische Anhebung der Preise für Gas, Strom, Benzin, Trink- und Abwasser sowie im Nahverkehr im Mai 2016 um teilweise bis zu 2000 Prozent riefen erwartungsgemäß heftige Proteste hervor. Die Subventionsstreichungen zur Wie-derherstellung der Kreditwürdigkeit im Ausland trafen auch die Inhaber der kleinen und mittelständischen Firmen, die ihn neben seinen 30 Prozent Stammwählern zu Anfang unterstützt hatten. Die Exporte stiegen zwar zunächst an, doch wird die einheimische Wirtschaft dieses Jahr um 1,8 Prozent schrumpfen.

Eine Phase der Instabilität und des zunehmenden Protektionismus war schlichtweg die falsche Zeit für einen radikalen Wandel und eine Öffnung zur Welt. Diesen Kontext hat man weder vorausgesehen noch sich ihm angepasst. Der Feldzug gegen Drogen und Terrorismus war unpopulär, da er keine unmittelbaren Interessen tangierte. Außerdem ist Macri fälschlicherweise von der Möglichkeit eines schnellen Wandels der politischen Kultur ausgegangen, in der Autoritarismus, linker Populismus und Staatsgläubigkeit fest verankert sind. Wichtige Teile der öffentlichen Meinung und der Elite lehnen Veränderungen schlichtweg ab und betrachten sie als Rückschritt oder als Verlust an Souveränität. Die argentinischen Arbeiter gehören zu den am besten bezahlten des Kontinents und profitieren am meisten von der Isoliertheit. 

Die graue Eminenz hinter Macris Herausforderer Alberto Fernández, Fernández’ Vizepräsidentschaftskandidatin und Macris direkte Vorgängerin im Präsidentenamt, Cristina Elisabet Fernández de Kirchner, agierte zudem sehr geschickt. Zwar laufen derzeit gegen sie 13 Verfahren wegen Korruption, fünf davon vor Gericht, doch sie entging der Untersuchungshaft bislang nur durch ihre seit 2017 geltende Immunität als Senatorin. Sie hielt sich dezent im Hintergrund, trat während der Kampagne kaum auf und trug so entscheidend zur Einheit im peronistischen Lager bei, das die mit ihr sympathisierenden 30 Prozent der Argentinier mobilisieren konnte. Als Teil dieser brillanten Strategie wurde mit Alberto Fernández zudem ein moderater, erfahrener, die Menschen verbindender Politiker aufgestellt. Der von Cristina Elisabet Fernández de Kirchner von ihrem Ehemann und Vorgänger im Präsidentenamt, Néstor Kirchner, bei ihrem Amtsantritt als Präsidentin 2007 übernommene Kabinettschef entwickelte sich zu einem ihrer schärfsten Kritiker und bewahrte ein eigenes Profil. Jetzt muss Fernández in einem Klima der Euphorie und Hoffnung einen Weg aus der tiefen Krise Argentiniens finden, ohne den Riss zwischen Vertretern zweier völlig unterschiedlicher Gesellschaftsmodelle weiter zu vertiefen.