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08.11.19 / Ehemalige Volkparteien: / Gewinnen war gestern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-19 vom 08. November 2019

Ehemalige Volkparteien:
Gewinnen war gestern
Erik Lommatzsch

Gegen alle gern vorgebrachten Beteuerungen, wie wichtig Ziele und Program­matik einer Partei seien, spielt das Führungspersonal eine nicht zu unterschätzende Rolle. Der Wähler will Köpfe sehen. Dies hat zum einen eine irrationale Komponente, sonst wäre so manche Wiederwahl unverständlich, zum anderen müssen die angebotenen Inhalte durchgesetzt werden, was nur mittels Personen geschehen kann. Es hat seinen Grund, dass Wahlplakate wesentlich mehr mit Gesichtern als mit Texten werben.

Personell völlig am Ende ist die SPD. Wer kennt die Bewerber um den Vorsitz? Einigen fällt vielleicht noch Olaf Scholz ein, zurzeit Bundesfinanzminister. Der Name seiner „Tandem“-Kollegin – ir­gendjemand war auf die Idee gekommen, dass die Partei in Zukunft von einem geteilten Mann-Frau-Vorsitz geführt werden muss – ist kaum geläufig. Es handelt sich um Klara Geywitz, die soeben ihr Brandenburger Landtagsmandat verloren hat. Das Geheimnis, was sie für die Führung der Partei Willy Brandts qualifizieren soll, hütet diese wie ihren Augapfel. 

Ein zweites „Tandem“ wurde neulich auch noch einmal verstärkt genannt, das des ehemaligen nordrhein-westfälischen Finanzministers Norbert Walter-Borjans und der – nicht ehemaligen, das ist in diesem Kreis schon herauszuheben – Bundestagsabgeordneten Saskia Eskens. Der Bekanntheitsgrad von Herrn Walter-Borjans dürfte begrenzt sein, für Frau Eskens gilt Ähnliches wie für Frau Gey­witz. Beide „Tandems“ – Scholz/Geywitz und Walter-Borjans/Eskens – hatten sich gegen andere durchgesetzt und gehen demnächst in die Stichwahl um den SPD-Vorsitz (siehe auch Seite 24). 

Wer auch immer gewinnt, es interessiert eigentlich niemanden mehr so richtig, weder außerhalb noch innerhalb der SPD. Sage und schreibe 53 Prozent der Sozialdemokraten gaben ihre Stimme ab. Das heißt, fast der Hälfte der Parteimitglieder ist es ziemlich egal, wer in Zukunft den Vorsitz führt, oder sie haben angesichts der Kandidatenliste resigniert. Von „Kanzlerkandidatur“ wird bei der SPD nicht mehr ernsthaft gesprochen.

Hat die CDU mehr zu bieten? Immerhin sind deren Wahlergebnisse „noch nicht einstellig“, wie die Politikprofessorin Ursula Münch in einem Interview mit dem Deutschlandfunk betont. Unklar bleibt, was Frau Münch, die als Kuratoriumsmitglied der Konrad-Adenauer-Stiftung den Christdemokraten sicher nicht unfreundlich gesonnen ist, zu diesem „noch“ verleitet hat. In puncto Personal, dessen Bekanntheitsgrad insgesamt etwas höher zu veranschlagen sein dürfte als das der SPD, ist der Typus „erfolgreicher Hoffnungsträger“ ebenfalls nicht gerade im Überfluss vorhanden. 

Dafür eine ganze Reihe von Verlierern. In Baden-Württemberg stellte die CDU von 1953 bis 2011 ununterbrochen den Ministerpräsidenten, über nicht wenige Legislaturperioden mit absoluter Mehrheit. Hatte Stefan Mappus schon 2011 das Amt des Ministerpräsidenten verloren, so legte Spitzenkandidat Guido Wolf 2016 kräftig nach, die Partei kam gerade noch auf 27 Prozent. Der Vorsitzende Thomas Strobl führte die CDU als Juniorpartner in eine Koalition mit den Grünen, was ihm selbst das Innenministerium und Wolf trotz des angerichteten Desasters das Justizministerium einbrachte. Nach einem baldigen Regierungswechsel sieht es nicht aus. Ingo Senftleben, der vor der Wahl in Brandenburg am 1. September dieses Jahres über eine Koalition mit der Linkspartei nachdachte, erreichte für die CDU nicht einmal 16 Prozent. Nur widerstrebend ließ er sich nach der Abstimmung aus dem Amt entfernen. 

Ebenfalls herbe Verluste eingefahren hat Michael Kretschmer am selben Tag in Sachsen. Sein Bundestagsmandat hatte er bereits 2017 verloren, seine Partei belohnte ihn dafür mit dem gerade vakanten Posten des sächsischen Ministerpräsidenten. Seit der Landtagswahl, bei der die CDU über sieben Prozentpunkte verloren hat, versucht Kretschmer eine der sich momentan großer Beliebtheit erfreuenden „Alles-nur-nicht-mit-der-AfD-Koalition“ zu schmieden. 

Was CDU-Wahlverlierer Mike Mohring in Thüringen machen wird, ist bislang unklar. Überlegungen, mit der Linkspartei zusammenzugehen, hat auch er zumindest schon laut geäußert. Mit Spitzenkandidat Mohring hat die Partei weniger als 22 Prozent erreicht, was einen Verlust von mehr als einem Drittel der Stimmen bedeutet. Dass man angesichts eines solchen Wahlergebnisses von sich aus und vor allem im Sinne der eigenen Partei seinen Posten zur Verfügung stellen könnte, scheint nicht nur Herrn Mohring unbekannt zu sein.

Infolge der Thüringen-Wahl oder besser gesagt, dadurch angestoßen, kam Bewegung in die Frage, wie es um die nächste CDU-Kanzlerkandidatur bestellt ist. Ein gewisser Friedrich Merz, von dem niemand so richtig weiß, was er als Politiker geleistet hat und der zuletzt dadurch wahrgenommen wurde, dass er beleidigt den Raum verließ, als man ihn nicht zum Parteivorsitzenden wählte, hat sich zu Wort gemeldet und das Erscheinungsbild der Bundesregierung als „grottenschlecht“ bezeichnet. Da mag man ihm nicht widersprechen.

Allerdings steht er tatsächlich im Verdacht, Ambitionen auf das Kanzleramt zu haben. Die zeigt auch Annegret Kramp-Karrenbauer, die sich wenigstens bei der Abstimmung um den CDU-Vorsitz gegen Merz durchgesetzt hatte, wenn auch knapp. Jedoch ist ihr die Presse seitdem erstaunlich wenig gut gesonnen. Als Verteidigungsministerin macht sie eine noch schlechtere Figur als ihre Vorgängerin. 

CDU-Mann Elmar Brok, fast 40 Jahre Mitglied des Europa-Parlaments, dessen Hauptqualifikation darin bestand, immer da zu sein, schlug unlängst CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidaten vor. CDU und CSU agieren im Bund bekanntlich gemeinsam. Offenbar ist Brok entgangen, dass die CSU gesamtdeutsch wohl immer als bayerische Partei wahrgenommen wird und ein entsprechender Kandidat, selbst bei guter Ausgangslage für die Union, von vornherein wenig Chancen auf einen Sieg hat, wie die Anläufe von Franz Josef Strauß 1980 und Edmund Stoiber 2002 gezeigt haben. Im Falle von Söder kommt hinzu, dass er 2018 mit reichlich 37 Prozent und damit einem Verlust von über zehn Punkten das schlechteste Landtagswahlergebnis für die CSU seit 1950 eingefahren hat.

Der Einzige auf weiter Flur, der als Unions-Kanzlerkandidat genannt wird und einen Wahlsieg im Sinne von Stimmenzuwachs vorzuweisen hat, ist Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen. Bei ihm bräuchte sich die derzeitige Kanzlerin 

– für den Fall, dass die CDU abermals den Regierungschef stellt – am wenigsten Sorgen darüber zu machen, dass ihre Politik nahtlos fortgesetzt wird.