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08.11.19 / Bulgariens Schatzgrube / Europas Kulturhauptstadt Plowdiw überrascht mit antikem Erbe – Ein neues Museum zeigt alte Mosaiken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-19 vom 08. November 2019

Bulgariens Schatzgrube
Europas Kulturhauptstadt Plowdiw überrascht mit antikem Erbe – Ein neues Museum zeigt alte Mosaiken
Helga Schnehagen

Ein Gang durch Plowdiw ist eine Reise durch Bulgariens Geschichte. Alle Kulturen, die auf bulgarischem Boden im Laufe der Jahrhunderte lebten, hinterließen hier ihre Spuren. An einem Ort – das ist einzigartig. Erst in diesen Tagen wurden ein neues Museum und ein Kulturzentrum eröffnet.

Plowdiw im Herzen Bulgariens zu Füßen der waldreichen Rhodopen darf sich dieses Jahr mit dem Titel Kulturhauptstadt Europas schmücken. Mit knapp 347000 Einwohnern ist es hinter Sofia (1,2 Millionen) Bulgariens zweitgrößte Stadt. Plowdiws kulturelles Erbe konzentriert sich auf die Altstadt, die eine wahre Offenbarung ist. 

Niemand erwartet hier ein kleines Rom. Niemand eine Art Rothenburg aus der Zeit der Wiedergeburt, in der die Bulgaren im 18./19. Jahrhundert das 500-jährige „osmanische Joch“ ab­schüttelten, um in einer eigenen Auslegung des europäischen Ba­rocks zu schwelgen. Dabei entwickelte sich im wohlhabenden Plowdiw das Wohnhaus zum prächtigen Bürgerhaus und wurde zum Inbegriff des Wiedergeburtshauses in Bulgarien schlechthin. 

Und wer hätte ausgerechnet hier dieses Feuerwerk an eleganten Fassaden in einer Mischung aus Jugendstil, Wiener Secession und Historismus erwartet? Sie sind das Resultat eines Neubauplans für die Stadt nach der Befreiung unter Leitung des im böhmischen Nový Bydžov geborenen tschechisch-bulgarischen Architekten Josef Schnitter (1852–1914), der von 1878 bis 1914 Chefarchitekt und Stadtingenieur von Plowdiw war. Der Lauf der Geschichte beendete die Transformation vorzeitig. In Plowdiws schicker Einkaufsstraße zu beiden Seiten des Rathauses hinterließ Schnitter jedoch ein eindrucksvolles Denkmal.

In den Blickpunkt der Ge­schichte rückte die Stadt 342 v. Chr., als der Vater Alexanders des Großen, Philipp II. von Makedonien, sie erobert und nach ihm Philippopolis nennt. 400 Jahre später gehört sie den Römern und wird Hauptstadt der Provinz Thrakien. Für den antiken Schriftsteller Lukian von Samosata ist sie „die größte und schönste aller Städte“ in Thrakien. Bis heute steht Plowdiw auf der Liste der schönsten antiken Städte. 

Mosaike, Plastiken, Reliefs, Inschriften … immer neue Funde kommen ans Licht. Erst im Okto­ber 2010 wurde das Archäologische Regionalmuseum mit einer der bedeutendsten Sammlungen thrakischer und antiker Kunst, darunter berühmte Gold- und Silberschätze, samt zweisprachiger Beschriftung (Bulgarisch, Englisch) neu eröffnet. 

Einem Krimi gleich war die Geschichte um die thrakische Helm-Maske aus dem ersten Jahrhundert. 1995 von zwei Bewaffneten aus dem Museum gestohlen, konnte sie erst 2015 vom bulgarischen Geheimdienst gefunden und zurückgebracht werden. 

Wahre Hingucker sind die vo­gelgesichtigen Figurinen aus der Jungsteinzeit im Stil der geheimnisvollen südosteuropäischen Vinca-Kultur. In der Region Plowdiw sind mehr als 150 prähistorische Siedlungen bekannt. Drei davon befinden sich auf dem Territorium der heutigen Stadt. 

In den vergangenen 60 Jahren haben Archäologen 25 der prähistorischen Siedlungen untersucht und deren Fortbestehen zwischen 6000 und 1200 v. Chr. nachgewiesen. Plowdiws Anspruch, Europas älteste durchgehend bewohnte Stadt zu sein, steht damit auf wissenschaftlich begründeten Füßen. 

Lange schlummerte Plowdiws antikes Erbe sieben Meter unter dem Stadtniveau, bis man 1955 mit systematischen Ausgrabungen begann. Wo heute das Hauptpostamt steht, befindet sich die Ausgrabung des römischen Forums. In dem Steingewirr am besten zu erkennen ist das bereits restaurierte Odeon mit seinen hoch aufragenden Säulen. 

Höhepunkte auf dem Römerweg durch die Stadt aber sind das römische Stadion und das römische Theater. 1980 machte das Olympische Feuer auf seinem Weg von Athen nach Moskau in dem antiken Stadion Zwischenstation. Dessen Nordteil ist zu­gänglich. Der Großteil der 240 Me­ter langen und 50 Meter breiten Anlage versteckt sich aber un­ter der Fußgängerzone der Einkaufsstraße. Regelrecht wiedergeboren wurde das antike Theater. Erst 1968 entdeckt und bis 1984 ausgegraben und konserviert, erfüllt es heute wieder seine an­gestammte Funktion. Etwa beim jährlichen Freiluft-Festival der Staatsoper Plowdiw, bei dem das Opernorchester dank der hervorragenden Akustik glänzen kann. 

Im 4. Jahrhundert übernahm Byzanz die Herrschaft über die Provinz und Philippopolis wurde Bischofsstadt. Eine Sensation war 1982 die Entdeckung der Bi­schofsbasilika. Ein Münzfund aus der Zeit des von 308 bis 324 herrschenden römischen Kaisers Licinius lässt darauf schließen, dass die Basilika mit zu den ersten gehört, die nach der konstantinischen Wende 313 erbaut wurden. Mit rund 100 Metern Länge und 40 Metern Breite gehört sie zu den besonders großen Kirchenbauten aus römischer Zeit. 

Die eigentliche Sensation aber sind die 2000 Quadratmeter gut erhaltener römischer Mosaike. Ihre Erforschung, Restaurierung und Präsentation musste jedoch warten, bis die America for Bulgaria Foundation 2014 die Finanzierung übernahm. Mit der Eröffnung am 7. November dieses Jahres wird das darüber erbaute Museum inklusive modernem Kulturzentrum der Öffentlichkeit übergeben. Plowdiw erhofft sich durch das ansprechende Großprojekt einen Platz auf der UNESCO-Welterbeliste.

Vermutlich durch ein Erdbeben war der erste Mosaikboden zerstört worden. Anstatt ihn auszubessern, schüttete man ihn zu und zog einen neuen zweiten darüber. Beide Böden werden gezeigt: der ältere in situ im Erdgeschoss des neuen Museums, der neue eine Etage darüber. Die Mosaike umfassen über 100 Medaillons verschiedener Vogelarten: vom tanzenden Perlhuhn bis zum Rad schlagenden Pfau. Einen kurzen Fußmarsch entfernt werden weitere kostbare römische Mosaike einer frühchristlichen kleinen Basilika von einem schon 2014 dank der Stiftung America for Bulgaria errichtetem Museumsbau beschützt.

Plowdiw erstarrt jedoch nicht in Geschichte. Die Universitäts- und Messestadt ist erfreulich lebendig. Neues Szeneviertel wurde zum Kulturhauptstadt-Jahr das zu neuem Leben erweckte Altstadtviertel Kapana, dem man nur wünschen kann, dass seine Cafés und Kneipen auch über 2019 hinaus Anziehungspunkt bleiben.