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08.11.19 / Als die Menschen auf der Mauer tanzten / Der deutsche Frühling öffnete im November 1989 die Herzen weit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-19 vom 08. November 2019

Als die Menschen auf der Mauer tanzten
Der deutsche Frühling öffnete im November 1989 die Herzen weit
Klaus J. Groth

„Gestern Nacht war das deutsche Volk das glücklichste auf der Welt.“ Mit diesen Worten trat am 10. November 1989 Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper sein Amt als Bundesratspräsident an. Die Nacht davor hatte er nicht geschlafen. Er war an der Berliner Mauer, als sich am 9. November vor 30 Jahren die Grenze mitten durch Berlin und durch Deutschland öffnete, als überglückliche Menschen die Mauer stürmten. 

Günter Schabowski, gerade neu im Amt des regierungsamtlichen Verlautbarungssprechers, sorgte für den Dammbruch, der das sozialistische Regime der DDR hinwegfegte. Unter dem Druck der massiven, stetig anwachsenden Flüchtlingswelle aus der DDR hatte Ost-Berlin das Reisegesetz geändert. Dazu wurde Schabowski bei einer Pressekonferenz gefragt. Das Fernsehen übertrug die Konferenz. Weit ausschweifend beantwortete Schabowski die Frage zum Reisegesetz. Das war wenig aufregend, bis er sagte: „Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“ 

Ein Reporter fragte, ab wann das neue Gesetz gelten solle. Schabowski blätterte in Zetteln, die ihm zuvor der neue SED-Generalsekretär Egon Krenz zugesteckt hatte, dann las er vor: „Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reiseanlässen und Verwandtschaftsverhältnissen beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der Volkspolizei-Kreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass darin noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD erfolgen.“ 

Frage eines Journalisten „Wann tritt das in Kraft?“ Schabowski blätterte wieder in den Zetteln und antwortete etwas zögerlich: „Nach meiner Kenntnis sofort, unverzüglich.“ Frage: „Sie hatten auch BRD gesagt.“ Schabowski zitiert: „,… hat der Ministerrat beschlossen, dass bis zum Inkrafttreten einer entsprechenden gesetzlichen Regelung durch die Volkskammer diese Übergangsregelung in Kraft gesetzt …‘“ Frage: „Gilt das auch für West-Berlin?“ Schabowski: „Ja, alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD beziehungsweise zu Berlin-West.“

Der Mann, der am 9. November durch einen Anfängerfehler den Fall der Mauer auslöste, war noch am Tag zuvor in westdeutschen Medien als „neue Allzweckwaffe im Machtzentrum der DDR“ gefeiert worden. Der frühere Chefredakteur des Parteiorgans „Neues Deutschland“ war gerade zum Sprecher für „Information und Medien“ ernannt worden. 

Die Informationen auf dem Spickzettel Schabowskis unterlagen einer Sperrfrist. Was Schabowski vortrug, sollte erst am nächsten Morgen ab 4 Uhr im Rundfunk verkündet werden. Bis dahin sollten die Grenzorgane der DDR in Kenntnis gesetzt werden. Davon wusste Schabowski nichts. So kam es zum folgenreichsten Versehen der Fernsehgeschichte. 

Die anwesenden Journalisten zweifelten offenbar an dem, was sie soeben gehört hatten. Zwar meldete AP als erste westliche Agentur um 19.05 Uhr die Nachricht, aber die Deutsche Presse-Agentur folgte erst um 19.41 Uhr. Und auch dann begriffen die Menschen kaum, was geschehen war. Erst als die „Tagesthemen“ um 22.40 Uhr die unklaren Sätze Schabowskis in Klartext übersetzten, wurde verstanden: „Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind, die Tore in der Mauer stehen weit offen.“ Das aber taten sie gerade nicht, die Grenzmannschaften wussten immer noch nichts von der veränderten Lage. Die Menschen machten sich in Scharen auf den Weg zur Mauer, es entstand eine äußerst angespannte Situation. Zehntausende forderten die Öffnung der immer noch geschlossenen Übergänge. 

Um 23.30 Uhr entschied der Kommandant an der Bornholmer Brücke ohne Absicherung, er ließ den Übergang öffnen. Die Mauer war gefallen, Tausende tanzten und jubelten auf ihr.

28 Jahre hatte das Schandmal des Kalten Krieges gestanden. 140 Menschen starben dort. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, log Partei- und Staatschef Walter Ulbricht im Juni 1961. Zwei Monate später teilte eine Mauer Berlin. Erst mit dem Amtsantritt Michail Gorbatschows 1985 weichten die Fronten zwischen Ost und West auf. Die DDR stemmte sich dagegen. Vergeblich. Im Mai 1989 baute Ungarn den Grenzzaun zu Österreich ab. Die ersten Flüchtlinge aus der DDR kamen in die Bonner Botschaft in Budapest. Im August nutzten 600 Menschen aus der DDR ein Fest an der ungarischen Grenze zur Flucht. Im September öffnete Ungarn seine Grenzen, 50000 flohen in den Westen. Die Botschaft in Prag war überfüllt. Am 30. September durften 5000 Flüchtlinge von dort in die Bundesrepublik ausreisen. Unmittelbar vor der 40-Jahr-Feier der DDR folgten noch einmal 8000 Flüchtlinge aus Prag und 600 aus Warschau. Am 3. November stimmte die DDR der direkten Ausreise der Flüchtlinge aus der CSSR in die Bundesrepublik zu, 60000 Menschen nutzten diese Chance. Die Passämter in der DDR schoben Sonderschichten. Das war die Situation, bevor die Mauer fiel. 

Die letzte Frage bei der Pressekonferenz Schabowskis stellte ein japanischer Journalist: „Was wird nun mit dem Berliner Mauer jetzt?“ Schabowski räusperte sich: „Jaaa“ (lange Pause), „es ist jetzt 19 Uhr, es ist die letzte Frage. Die Durchlässigkeit beantwortet sich noch nicht nach dem Sinn der befestigten Staatsgrenze der DDR.“ Eine Berlinerin, auf der Straße befragt, wusste es besser: Die Mauer kommt nun ins Museum.

Dort befindet sich mittlerweile auch der legendäre Spickzettel Schabowskis. Längere Zeit verschollen, tauchte er 2015 wieder auf. Nun wird er wohl verwahrt im Haus der Geschichte in Bonn.

Der Fall der Mauer war nicht für alle ein Tag der Freude. Auch in der Bundesrepublik nicht. Einen Tag zuvor hatte die grüne Pastorin und spätere Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer „die Rede von der Wiedervereinigung“ als „historisch überholter denn je“ bezeichnet.