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08.11.19 / Von der »Flutwelle der Geschichte« überrascht / Die Auslandsgeheimdienste in Ost und West standen bemerkenswert ahnungslos da, als die Mauer fiel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-19 vom 08. November 2019

Von der »Flutwelle der Geschichte« überrascht
Die Auslandsgeheimdienste in Ost und West standen bemerkenswert ahnungslos da, als die Mauer fiel
Wolfgang Kaufmann

Der Mauerfall und die deutsche Vereinigung seien von langer Hand eingefädelt worden – und zwar im Rahmen der gemeinsamen Operation Gawrilow des sowjetischen Geheimdienstes KGB und der US-amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA). Das jedenfalls behauptete der 2014 verstorbene Journalist Ferdinand Kroh in seinem Buch „Wendemanöver. Die geheimen Wege zur Wiedervereinigung“. Tatsächlich jedoch standen die Auslandsgeheimdienste in Ost und West bemerkenswert ahnungslos da, was den Fall und im Übrigen auch den Bau des „antifaschistischen Schutzwalls“ betraf.

Im Sommer 1961 war es nicht die CIA, sondern die National Security Agency (NSA), die durch ihre Telefonabhöraktionen von der bevorstehenden Grenzsperrung erfuhr. Sie fing ein entsprechendes Gespräch zwischen zwei DDR-Funktionären auf, versäumte es jedoch, die brisante Information weiterzuleiten. Das galt analog für die Meldung des Agenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) „Norman“, eine seiner Ost-Berliner Quellen habe ihm übermittelt, dass die Schließung der Sektorengrenze geplant sei. Die Führung des BND hielt dies zunächst für wenig glaubwürdig und schrieb erst am 9. August 1961 in ihrem Wochenbericht, das Ulbricht-Re­gime könnte möglicherweise die Übergänge nach West-Berlin abriegeln und sämtliche Verkehrsverbindungen dorthin kappen.

Noch weniger als den Bau ahnten die US-Geheimdienste und der BND den Fall der Mauer voraus. Die CIA unterstützte naheliegenderweise die Demokratiebewegung hinter dem Eisernen Vorhang mit diversen geheimdienstlichen Mitteln, konzentrierte sich dabei 1989 aber auf Ungarn, Polen und die Tschechoslowakei. Denn ein Umfallen der DDR galt als ausnehmend unwahrscheinlich, wie der einzige CIA-Direktor, der in dem Geheimdienst von ganz unten bis ganz nach oben aufstieg, der spätere US-Verteidigungsminister Robert Gates, 1996 in seinen Memoiren offen zugab. Man habe nicht im Traum daran gedacht, welche „Flutwelle der Geschichte“ im November 1989 in Ost-Berlin losbrechen werde. Niemals sei vorherzusehen gewesen, dass die Sowjetunion derart die Kontrolle über ihr Protektorat DDR verlieren würde.

Dem pflichtete Edward Atkeson, ein ehemaliger Generalmajor und Deputy Chief of Staff for Intelli­gence des US-Heeres in Europa bei. Sehr viel mehr als für die Situation in den bewaffneten Organen der DDR sowie die Stimmung und Lage im Staate hätten sich das nachrichtendienstliche und Sicherheits-Hauptkommando der US Army, das United States Army Intelligence and Security Command (INSCOM), sowie die 66th Military Intelligence Brigade in Wiesbaden für die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) interessiert. Die Aktivitäten der Besatzungstruppen seien als ungleich wichtiger eingestuft worden als das Gebaren der scheinbaren Marionetten Moskaus in Ost-Berlin und die daraus resultierenden Proteste von deren Untertanen. Andererseits ahnte die CIA zumindest ab dem 6. Oktober 1989, dass die Tage des SED-Regimes gezählt sein könnten. Diese Erkenntnis schöpfte sie aber nicht aus ihren klandestinen Quellen, sondern aus Tageszeitungen der DDR.

Der Bundesnachrichtendienst leistete sich im Spätsommer und Herbst 1989 ebenfalls diverse krasse Fehleinschätzungen: Am 8. September vermeldete er, ein „großer Teil der Bevölkerung“ der DDR stehe dem SED-Regime „loyal bzw. resignativ“ gegenüber, am 14. September hieß es dann plötzlich, Staats- und Parteichef Erich Honecker sei am Vortage verstorben und werde am 24. beigesetzt, und am 7. November erhielt das Bundeskanzleramt vom BND die Mitteilung, der nun doch noch nicht tote, aber inzwischen gestürzte Honecker weile zur ärztlichen Behandlung in der Schweiz. Die vom BND bisher freigegebenen Dokumente über seine Aktivitäten anlässlich der friedlichen Revolution in der DDR enthalten indes kein einziges Aktenstück vom 9. November 1989, das auf die Öffnung der Grenzübergänge Bezug nimmt.

Genauso kalt getroffen wie die westlichen Geheimdienste wurde der angeblich so omnipotente sowjetische KGB. Dessen Ost-Berliner Residentur in Karlshorst beschäftigte bis zu 1200 Mitarbeiter, von denen etwa 25 als Verbindungsoffiziere in den Hauptabteilungen des MfS saßen. Jedoch konzentrierten diese sich fast ausschließlich auf Personalfragen. 

Wie der KGB-Oberst und Leiter der Informationsabteilung in Karlshorst, Iwan Kusmin, später zu Protokoll gab, war der Dienst „völlig von den Vorgängen in der parteistaatlichen DDR-Spitze gefesselt“. Deswegen verharrte er in der Nacht vom 9. zum 10. November 1989 auch in absoluter Schockstarre, weil niemand für möglich gehalten hatte, dass die Ost-Berliner Genossen so plötzlich und ohne die ausdrückliche Autorisierung Moskaus die Grenze nach West-Berlin öffnen. 

Dazu kam eine Lähmung des KGB sowie auch der Führung der GSSD in Wünsdorf dadurch, dass die obersten Entscheidungsträger innerhalb der Kreml-Führung infolge der opulenten Feierlichkeiten zum 72. Jahrestag der „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ nicht erreichbar waren. Erst am 10. November realisierte man in Moskau den Ernst der Lage und bombardierte den KGB in Karlshorst im Halbstundentakt mit hektischen Anfragen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Würfel aber schon gefallen, sodass der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse am Ende nur die Anweisung geben konnte, „sich nicht in innere Angelegenheiten der DDR einzumischen“.