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08.11.19 / Weitgehend zur Untätigkeit verdammt / Die Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit beim Fall der Berliner Mauer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-19 vom 08. November 2019

Weitgehend zur Untätigkeit verdammt
Die Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit beim Fall der Berliner Mauer
Wolfgang Kaufmann

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war weder ein allmächtiger Staat im Staate noch das eigentliche Zentrum der Macht in der DDR, sondern lediglich ausführendes Organ zur Durchsetzung des Willens der Führung der SED. Das zeigte sich schon anlässlich des Mauerbaus und dann später noch sehr viel deutlicher beim Fall des „Antifaschistischen Schutzwalls“.

Selbst noch am 11. August 1961 wusste außer dem Minister für Staatssicherheit, Generaloberst Erich Mielke, kein Mitglied der obersten Leitungsebene des MfS, was genau die SED-Spitze um Walter Ulbricht und Erich Honecker meinte, wenn sie von der Notwendigkeit der Gewährleistung einer „verlässlichen Bewachung und wirksamen Kontrolle“ der Grenze zu West-Berlin sprach. Und auch während des Mauerbaus agierte die Stasi eher im Hintergrund. Ihr oblag im Rahmen der „Operation Rose“ lediglich die Absicherung des Ganzen sowie die Erkundung der Stimmung im In- und Ausland. Dabei konnte sich der Mielke-Apparat allerdings ausnehmend vorteilhaft präsentieren. 

Zum einen kompensierte er die eklatanten Versäumnisse der Transportpolizei und der Betriebskampfgruppen, zum anderen sorgten seine präzisen Berichte über die Reaktionen des Westens für unendliche Erleichterung in Ost-Berlin und Moskau. So vermeldete die Auslandsaufklärung des MfS unter anderem, der Kommandant des US-amerikanischen Sektors von Berlin, Generalmajor Albert Watson, habe geäußert, bei der Grenzschließung seitens der DDR handele es sich „nur um eine Verkehrsbehinderung innerhalb Berlins“, was implizierte, dass die Westalliierten höchstwahrscheinlich nicht einschreiten würden.

Hierdurch festigte die Stasi ihre Position als „Schild und Schwert der Partei“. In dieser Rolle verzichtete sie auf sämtliche Denkspiele hinsichtlich notwendiger Reformen im „Arbeiter- und Bauernstaat“ und verharrte geradezu devot auf der jeweils von der SED vorgegebenen Linie. Das galt auch für das Jahr 1989. So bedauerte Mielke am 21. Oktober während einer Dienstbesprechung des erweiterten Führungskreises des MfS zwar heftig, dass die Stasi auf die „antisozialistischen Sammlungsbewegungen“ in der DDR nicht so reagieren könne, wie es „diese Kräfte eigentlich verdienen“, nämlich mit Gewalt, dem folgte aber sofort die glasklare Anweisung: „Bei allem, was wir tun, ist bis zur letzten Konsequenz davon auszugehen: Alle Maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit, jeder Diensteinheit, haben sich in die Generallinie, in die Beschlüsse des Zentralkomitees und seines Politbüros einzuordnen, müssen auf ihre strikte Durchsetzung gerichtet sein.“ Und die zutiefst verunsicherte SED-Führung hatte eben nun einmal Zurückhaltung verordnet. Daraus resultierte dann auch am 3. November der Befehl des neuen Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates, Egon Krenz, jegliche Anwendung der Schusswaffe im Zusammenhang mit möglichen Demonstrationen grundsätzlich zu unterlassen. Deshalb konnte das MfS den Mauerfall nicht verhindern. Vielmehr schuf es ungewollt zwei wichtige Voraussetzungen dafür.

Weil der auf massiven Druck der Bevölkerung ausgearbeitete Entwurf eines neuen Reisegesetzes der DDR nur Hohn und Spott ausgelöst hatte, da das Ganze eher auf ein Reiseverhinderungsgesetz hinauslief, sollten die beiden Stasi-Obristen Hans-Joachim Krüger und Udo Lemme gemeinsam mit Oberst Gerhard Lauter und Generalmajor Gotthard Hubrich vom Ministerium des Innern Umformulierungen vornehmen. Die daraufhin entstandene Neufassung vom Vormittag des 9. November 1989 enthielt nun auch den Passus, dass „Privatreisen nach dem Ausland ohne Vorliegen von Voraussetzungen … beantragt werden“ könnten. Das Papier wurde sogleich an das Zentralkomitee der SED weitergegeben und von diesem abgesegnet, da es genau den Intentionen der versammelten Genossen entsprach, die angesichts der explosiven Stimmung im Lande das Reisen nun wirklich erleichtern mussten. Wenige Stunden später hatte der Sekretär des ZK der SED, Günter Schabowski, dann seinen historischen Auftritt, als er den zweiseitigen Entwurf der vier Offiziere vor in- und ausländischen Journalisten verlas und schließlich 18.57 Uhr auf deren drängende Rückfragen stammelte, das Gesetz trete „sofort, unverzüglich“ in Kraft.

Infolgedessen kam es noch am selben Abend zu einem Massenansturm von Ost-Berliner Bürgern auf die Grenzübergänge nach West-Berlin. In dieser Situation mussten die als Grenzer getarnten und von ihrer Führung allein gelassenen Stasi-Leute vor Ort entscheiden, was zu tun sei – und handelten erneut entsprechend der vorgegebenen Parteilinie: Da Gewalt keine Option mehr war, öffneten sie die Übergänge schließlich für alle.

Am Tage danach strebte die Staatssicherheit, die nach dem Rücktritt Mielkes am 7. November von dessen vier Stellvertretern geführt wurde, jedoch sofort nach der Wiederherstellung der „normalen Ordnung“. In diesem Zusammenhang mussten sämtliche Mitarbeiter des MfS „bis auf Widerruf“ in ihren Dienststellen verbleiben. Gleichzeitig konstituierte sich auf Befehl von Krenz eine Operative Führungsgruppe des Nationalen Verteidigungsrates, der neben den Spitzen von Nationaler Volksarmee, Polizei und Grenztruppen auch der MfS-Generalleutnant Gerhard Neiber angehörte. Das Gremium hatte zu klären, ob man die Grenzübergänge wieder schließen und dazu notfalls auch die „bewaffneten Organe“ einsetzen solle. Der Chef der Grenztruppen, Generaloberst Klaus-Dieter Baumgarten, votierte indes sofort dagegen: Das würde in einem Blutbad enden. Also vereinbarte die Führungsgruppe nur „zivile Maßnahmen“ zur Rückerlangung der Kontrolle an der Berliner Mauer, wie das Versprechen der Einrichtung neuer Übergangsstellen sowie Appelle an die Geduld und Vernunft der nach West-Berlin drängenden „lieben Bürgerinnen und Bürger der DDR“. Währenddessen versetzten Krenz und sein Verteidigungsminister, Armeegeneral Heinz Keßler, doch heimlich einige Truppenteile der NVA in erhöhte Gefechtsbereitschaft, die allerdings schon am 11. November wieder aufgehoben wurde. Gleichzeitig beendete der stellvertretende MfS-Chef Generaloberst Rudi Mittig die ständige Anwesenheitspflicht der Stasi-Mitarbeiter.

In den Tagen danach gab die Staatssicherheit dann vor, „den Kurs der Wende aktiv zu unterstützen“. Diese Farce endete jedoch bereits Anfang Dezember 1989 mit der Erstürmung der Stasi-Bezirksverwaltungen durch aufgebrachte Bürgerrechtler.