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08.11.19 / Chance oder Zerstörungswerk / Tiefseebergbau: In den Ozeanen locken gewaltige Schätze – Doch der Abbau könnte die Unterwassernatur massiv schädigen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-19 vom 08. November 2019

Chance oder Zerstörungswerk
Tiefseebergbau: In den Ozeanen locken gewaltige Schätze – Doch der Abbau könnte die Unterwassernatur massiv schädigen
Dagmar Jestrzemski

Milliardenwerte liegen auf dem Meeresboden in den Tiefen der Ozeane. Die für die moderne Technik so wichtigen seltenen Metalle wie Kobalt und Mangan finden sich zuhauf und locken die Bergbauindistrie. Doch Naturschützer fürchten kaum zu reparierende Schäden an der marinen Natur durch die Ausbeutung dieser Bodenschätze. 

Immer mehr Staaten und Industriefirmen beteiligen sich an der Erkundung von Erzlagerstätten im Pazifik und im Indischen Ozean, darunter auch Deutschland. Ihr Interesse richtet sich auf den kommerziellen Abbau von metallhaltigen Ablagerungen am Boden der Tiefsee in Meeresgebieten jenseits der nationalen Hoheitszonen (mehr als 200 Seemeilen, rund 370 Kilometer Entfernung von einer Küste). 

Auslöser des wachsenden Ressourcenhungers sind der steigende Bedarf an seltenen Metallen für die Hochtechnologie-Industrie und ein Anstieg der Rohstoffpreise. Zur Überbrückung von Nachschubproblemen ist die Förderung von Vorkommen aus diversen Metallen vom Boden der Weltmeere seit den 1970er Jahren im Visier der Industrienationen. 

Tiefseeforschung ist seit ihren Anfängen Mitte des 19. Jahrhunderts mit wirtschaftlichen Interessen verknüpft. Diese Interessen sind heute mehr denn je der wichtigste Motor für die wissenschaftliche Erforschung der Meeresumwelt. Durch die Tauchfahrten, ferngesteuert oder bemannt, ist bisher jedoch nur eine Fläche von etwa einem Prozent des Ozeanbodens erkundet. 

Insgesamt sind 71 Prozent der Erdoberfläche von Meeren bedeckt. Die Tiefsee beginnt am Kontinentalschelf in etwa          500 Metern Wassertiefe. 62,3 Prozent der Erdoberfläche liegen unterhalb von 1000 Metern. In Tiefen von 3000 bis 6000 Metern liegen schätzungsweise eine Billion Tonnen Manganknollen auf den Ablagerungen am Meeresgrund. Sie entstanden innerhalb von langen Zeiträumen durch Anlagerung ausgefällter Metalloxide. 

Außer Mangan enthalten die Knollen Nickel, Titan, Kobalt, Lithium, Kupfer, selten auch Gold und Silber. Vor allem vom Abbau der kartoffel- bis salatkopfgroßen Manganknollen versprechen sich Länder und Unternehmen milliardenschwere Gewinne. Zusammen mit den Eisen-Mangankrusten und Massivsulfiden (metallhaltigen Schwefelverbindungen, die sich an heißen Quellen ablagern), sollen die Manganknollen allein an Kobalt die 21- bis 23-fache Menge im Vergleich mit           den kontinentalen Vorkommen       enthalten. Bislang sind rund         1700 Erzlagerstätten in der Tiefsee bekannt. Die Förderung könnte in absehbarer Zeit beginnen. 

Zwar ist erwiesen, dass der Tiefseebergbau einen schwerwiegenden Eingriff für die empfindlichen Ökosysteme der Ozeane bedeutet. Je nach Umfang der abgeräumten Areale wird dabei die hohe Artenvielfalt einmaliger Lebensräume zerstört. Das internationale Seerecht gewährt Staaten dennoch die Möglichkeit, mineralische Rohstoffe in der Tiefsee zu schürfen. 

Wegen der in großer Tiefe vorherrschenden extremen Bedingungen mit hohem Druck, völliger Dunkelheit und sehr niedrigen Temperaturen stellt dies eine große technische Herausforderung dar. Wenn er nicht so aufwendig wäre und daher bislang als unrentabel gälte, hätte der Tiefseebergbau in großem Stil vermutlich längst begonnen. Japan und Südkorea haben in Pilotprojekten bereits Kollektor-Prototypen zur Ernte von Manganknollen innerhalb der eigenen Wirtschaftszonen getestet. 

Es zeigte sich, dass mindestens 5000 Tonnen Manganknollen pro Tag gefördert werden müssen, um den Meeresbergbau wirtschaftlich zu betreiben. Dafür wird etwa ein Quadratkilometer Sediment durch den Einsatz von schwerem Gerät abgetragen. Die Abbaugeräte gleichen riesigen Pflügen mit Staubsaugern. Sie durchpflügen den Meeresboden 15 Zentimeter tief, reißen dabei die Manganknollen heraus und spülen diese aus der Tiefe mit einem Teil des Sediments an Bord einer Förderplattform. 

Dort werden sie vom Sediment getrennt, das anschließend wieder ins Meer abgepumpt wird. Die möglichen Auswirkungen der Trübungswolken auf die Meeres­organismen durch die Rückleitung der Sedimente zusammen mit dem kaltem Tiefenwasser in die oberflächennahe Wasserzone sind bislang kaum untersucht.

2001 vergab die Internationale Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) die erste Erschließungslizenz. Die ISA verwaltet die Schätze der Meere in den internationalen Gewässern als Erbe der Menschheit. Die Behörde sorgt dafür, dass nicht allein hochindustrialisierte Staaten Zugriff auf die vielversprechenden Ressourcen erhalten. 

Deutschland hat zurzeit die Rolle des Vizepräsidenten im Rat der Behörde inne, dem 36 Länder angehören. Bislang sind 25 Explorationslizenzen für den Tiefseebergbau auf hoher See für mehr als eine Million Quadratkilometer der Weltmeere vergeben worden, unter anderem an China, Deutschland, Frankreich, Indien, Japan und einen Verbund aus osteuropäischen Staaten mit Russland und Kuba. Noch gibt es keine Abbaulizenzen für Gebiete außerhalb der staatlichen Wirtschaftszonen. Seit 2014 entwickelt die ISA das gesetzliche Regelwerk für die Gewinnung der Ressourcen in der Tiefsee. 

2006 erwarb die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover im Auftrag der Bundesregierung eine Lizenz zur Erkundung von Manganknollen im Zentralpazifik für ein 75000 Quadratkilometer großes Gebiet in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ), dem weltweit größten Manganknollengebiet. Die Fläche entspricht etwa der von Bayern. Seither fördert die Bundesregierung eine Reihe von Industrie- und Forschungsinitiativen, um den Tiefseebergbau vorzubereiten. 

Die Investitionskosten werden mit bis zu 1,5 Milliarden Euro angegeben. Es locken jedoch hohe Gewinne. Allein in einem                 2000 Quadratkilometer großen Teilstück des Lizenzgebietes entdeck­ten Wissenschaftler ein Vorkommen von rund 30 Millionen Tonnen Manganknollen. 

Bereits 1989 ernteten Wissenschaftler unter Federführung der Universität Hamburg im Südostpazifik auf einer elf Quadratkilometer großen Fläche Manganknollen durch Umpflügen des Meeresbodens. 29 Jahre später filmten Wissenschaftler den Meeresgrund mit einem Tauchroboter und nahmen Bodenproben. 

Es stellte sich heraus, dass es dort noch genauso aussieht wie damals. Nicht einmal die Mikroorganismen – und damit die Basis der Nahrungskette – hatten sich vollständig erholt. Es könnte 50 bis 60 Jahre dauern, bevor sich wieder Würmer, Schnecken, Schwämme, Seegurken, Schlangensterne und kleine Oktopusse auf dem abgeräumten Meeresboden ansiedeln. Auf jeder Forschungsfahrt entdecken die Meereswissenschaftler vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel mehrere hundert neue Arten der Tiefsee-Fauna. 

Zahlreiche Projekte von GEOMAR wurden mit Fördergeldern der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Zusammen mit          31 Partnern aus zehn Ländern ist GEOMAR derzeit am europäischen Verbundprojekt JPI Oceans „Mining Impact“ beteiligt. Es sollen Grenzwerte für Schädigungen durch die zukünftigen menschlichen Eingriffe definiert werden, welche das Ökosystem noch verkraften kann. Bei der ISA haben die Wissenschaftler eine beratende Funktion zur Festlegung „bestmöglicher Umweltstandards“ für einen zukünftigen Tiefseebergbau. 

Allerdings ist noch unklar, wie die Regeln für den Abbau in der Tiefsee überwacht werden können. Seit Februar 2019 führen Wissenschaftler auf dem deutschen Forschungsschiff „Sonne“ im deutschen und im belgischen Lizenzgebiet der Firma DEME-GSR Untersuchungen zum natürlichen Zustand der marinen Umwelt durch. DEME-GSR plant, in beiden Gebieten einen Kollektor zur Ernte von Manganknollen in industriellem Umfang zu testen. Nach dem Eingriff werden die Forscher den Zustand des Meeresbodens erneut untersuchen.

Einen generellen Stopp aller Tiefseebergbauaktivitäten fordern dagegen seit Jahren unter anderem der BUND und die Weltnaturschutzunion IUCN. Sie warnen davor, dass die Ausbeutung der Tiefsee große Lebensräume unwiederbringlich zerstören könnte. Am 9. Juni, dem zehnten Tag der Ozeane, beklagte ein Vertreter des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“, dass kaum Informationen über das ungemein riskante Vorhaben in die Öffentlichkeit dringen.