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08.11.19 / Eine glatte 1 in »Glück« / Wer kann schon Deutsch oder liebt Mathe? – Neue Schulfächer braucht das Land, damit heutzutage jeder in der Klasse mitkommt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-19 vom 08. November 2019

Eine glatte 1 in »Glück«
Wer kann schon Deutsch oder liebt Mathe? – Neue Schulfächer braucht das Land, damit heutzutage jeder in der Klasse mitkommt
Stephanie Sieckmann

Die Ausbildung an Deutschlands Schulen wird regelmäßig kritisiert. Von Klassengröße, Unterrichtsmaterialien, Ausstattung, Methoden sowie Lerninhalten haben Lehrer, Kultusministerium, Schüler und Eltern oft unterschiedliche Vorstellungen. Dabei sind Lern­inhalte und mögliche neue Schulfächer wie „Glück“ zuverlässig ein brisantes Thema. 

Während die Pisa-Studien Schülern in Deutschland Mängel bescheinigen und Ausbildungsbetriebe landauf und landab darüber klagen, dass selbst Abiturienten weder deutsche Grammatik noch Rechtschreibung beherrschen – von der mangelnden Arbeitseinstellung ganz zu schweigen –, wird in den Kultusministerien überlegt, ob mit neuen Schulfächern wie Wirtschaft, Glück oder Allgemeinwissen die Bildung von Deutschlands Schülern verbessert werden kann. 

Doch wer entscheidet eigentlich darüber, welches Fach eingeführt wird und wann die neuen Lerninhalte umgesetzt werden?

Heinz-Peter Meidinger, Präsident des deutschen Lehrerbundes, erklärt: „Ob ein neues Schulfach eingeführt wird, wird in Schulgesetzen und in den Schulordnungen geregelt. Sofern Schulfächer gesetzlich verankert sind, muss darüber das Parlament entscheiden. Bei Wahlfächern kann das aber auch mal unterhalb der Gesetzesebene etwa durch ministerielle Verordnungen entschieden werden.“

Vorschläge für neue Schulfächer gibt es in Hülle und Fülle. Von Konzern-Managern kommen sie ebenso wie von Verbänden. Mal wird gefordert, dass alle Kinder in der Schule das Programmieren von Computer-Software lernen müssen, mal wird betont, dass Wirtschafts- oder Gesundheitswissen unbedingt schon in der Schule vermittelt werden sollten. Schüler dagegen klagen in den sozialen Medien, dass sie vieles in der Schule lernen, was sie nicht anwenden können, dagegen aber keine Ahnung davon haben, wie sie Versicherungen, Kauf- oder Mietverträge abschließen oder ihre Steuererklärungen einreichen. Daraufhin formulierte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka den Wunsch nach dem Fach Alltagswissen. 

Neue Fächer einzuführen be­deutet auch, die Anzahl der Schulstunden zu erhöhen oder die Stunden für ein anderes Fach zu kürzen. Mehr Stunden im Lehrplan ziehen höhere Kosten nach sich, gibt Meidinger zu bedenken. Außerdem steht die Frage im Raum, ob es überhaupt ausgebildete Fachkräfte für diesen Bereich gibt. „Im Vorfeld müssen Fragen abgeklärt werden: Gibt es dafür schon entsprechend ausgebildete Lehrkräfte oder muss man erst ein neues Lehramtsstudium in diesem Fach konzipieren und einführen“, so Meidinger. Es sollten Lehrpläne, darauf bezogene Unterrichtsmaterialien und Lehrbücher entwickelt werden. Kurzum: Es braucht eigentlich einen Vorlauf von deutlich mehr als fünf, eher Richtung zehn Jahren.

Die grundlegende Frage heißt daher erst einmal: Was ist heutzutage wichtig für die Schüler? Software-Programmierung beispielsweise ist in Dänemark und Großbritannien ein Pflichtfach. In manchen Bundesländern wird dieser Bereich teilweise im Fach Informatik abgedeckt. Doch muss wirklich jeder Schüler lernen, wie man ein Computerprogramm oder eine Handy-App erstellt?

Auch Wirtschaftswissen wird als notwendig angesehen. Als Pflichtfach ist es jedoch noch nicht flächendeckend eingeführt worden. Bayern und Baden-Württemberg pflegen das Fach Ökonomie, in Brandenburg gibt es das Mischfach „Wirtschaft, Arbeit, Technik“, Hessen setzt auf „Politik und Gesellschaft“.

Anders sieht es aus mit dem Schulfach Glück. Dieses Fach wird bereits an mehr als 30 deutschen Schulen unterrichtet. Angesichts der steigenden Zahl von Schülern, die unter Depressionen leiden, ist das Fach mit diesem Titel sicher eine gute Idee. Freude am Leben, Ziele verfolgen, Marathon-Training – das Fach bietet Inhalte, die im Unterricht Grundlagen für ein ausgeglichenes Leben vermitteln sollen, in dem Zufriedenheit, Selbstsicherheit und Selbstverantwortung gelebt werden. 

Spaß an der Leistung gehört als Unterrichtsziel auch dazu. Und da scheint sich die Katze in den Schwanz zu beißen. Die Konsumgesellschaft und der Kapitalismus erwarten Leistung, Glück sieht aber für immer mehr Menschen anders aus. Vielleicht würde es doch Sinn machen, die alten Fächer wie Geschichte, Politik, Mathematik und Deutsch in den Vordergrund zu stellen und statt neuer Fächer mit motivationsstärkenden Bezeichnungen das eigenständige Denken zu fördern. 

Die gerne zitierten Vorbilder aus Skandinavien sind in der Entwicklung bereits einen Schritt weiter. In Schweden wird darauf abgezielt, praxisorientiert zu lernen. Finnland, dessen Schulsystem als weltweit führend gilt, hatte 2016 für einen Aufschrei gesorgt, als bekannt wurde, dass dort die Schreibschrift abgeschafft wird. 

Im nächsten Jahr können Schulen in Finnland entscheiden, die altbekannten Schulfächer abzuschaffen. Das Lernen im Rahmen von Phänomenen soll die starren Fächer ersetzen. Ein Beispiel: Ein geschichtliches Ereignis wie die Zeit Napoleons kann sowohl aus geografischer als auch aus mathematischer Sicht erarbeitet werden. Beim Thema „Arbeiten in einem Hotel“ können neben ma­thematischen Aspekten Sprachkenntnisse vermittelt werden.

Ein Ansatz, zu dem Meidinger eine klare Meinung vertritt: „Im Grundschulbereich kann ich mir so etwas eher vorstellen. Bei weiterführenden Schulen hat sich der Fachansatz mit Orientierung an der universitären Fachwissenschaft bewährt.“ Verbundfächer könnten zwar zum Teil phänomenorientierter arbeiten, sie litten aber darunter, dass es keine saubere Wissenschaftsfundierung  und auch keine Lehrkräfte mehr gibt, die in jedem der Bestandteile solcher Fächerverbünde universitär ausgebildet sind. Die Erfahrungen mit losen Fachverbünden wie Natur und Technik seien diesbezüglich wenig zu­kunftsweisend. „Das Gymnasium, das als Hauptziel die Studierfähigkeit seiner Absolventen an­strebt, sollte sich nicht zu weit von den klassischen Fachdisziplinen entfernen“, meint Meidinger.

Und wie sieht es dann mit neuen Schulfächern aus? Brauchen Deutschlands Schüler andere Unterrichtsfächer? Laut Meidinger hat es in den letzten Jahren von verschiedenen Lobby- und Interessensgruppen insgesamt über 40 Vorschläge für die Einführung neuer Fächer gegeben, darunter auch Hauswirtschaft, Gesundheit, Aids, Umweltschutz, Medienerziehung, Digitalkunde oder Klimaschutz.

Die Notwendigkeit, neue Lehr­inhalte zu vermitteln, bedarf nicht unbedingt der Schaffung neuer Fächer. Beispielsweise sind auch viele bestehende Fächer jetzt schon für Medienerziehung zuständig und wichtig. Auch kann man wirtschaftliche Sachverhalte in anderen Fächern unterbringen wie Wirtschaft und Recht, Wirtschaftsgeografie oder Gesellschaft–Politik–Wirtschaft. Wichtig sei, so Meidinger, dass wirtschaftliche Zusammenhänge durch Lehrkräfte unterrichtet würden, die dieses Fach auch studiert und darin einen Abschluss gemacht hätten: „Das ist mir wichtiger als die Frage, wie das Fach heißt.“