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08.11.19 / Unbekannte Einzelheiten zur Geschichte der Berliner Mauer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-19 vom 08. November 2019

Unbekannte Einzelheiten zur Geschichte der Berliner Mauer
Karlheinz Lau

Am 9. November begeht Deutschland den 30. Jahrestag des Falls der Mauer in Berlin. Bereits übers Jahr gab es eine Fülle an Veranstaltungen zu diesem Thema in den Bereichen der Politik, der Medien, der Kirchen sowie der Zivilgesellschaft – mit einer Konzentration in Berlin und in Brandenburg. Die Bürger haben also genügend Möglichkeiten, sich über dieses Ereignis und dessen Folgen zu informieren. Umfragen ergaben, dass auf diesem Feld Nachholbedarf besteht, besonders bei jungen Menschen, die nach der friedlichen Revolution geboren wurden. 

Der Berliner Historiker Thomas Flemming setzt in seinem Buch nicht zentral den Fokus auf das Geschehen um den 9. November 1989 – wie zahlreiche Publikationen und Veranstaltungen – sondern er behandelt fast kleinschrittig die Geschichte des Mauerbaus seit dem 13. August 1961 einschließlich der Argumente, die die DDR-Führung unter Walter Ulbricht und deren Verbündete zu dieser Entscheidung führten. 

Es ist eine sehr dichte Darstellung, angereichert durch viele Schwarz-Weiß-Fotos und kopierte Originaldokumente, überwiegend aus der Ost-Berliner Seite. Das umfangreiche Literaturverzeichnis beweist die gründliche Bearbeitung des Stoffes. Selbst auf den sich für kompetent haltenden Leser warten zahlreiche bisher nicht bekannte Einzelheiten, etwa ein Festnahmeprotokoll aus dem Jahre 1971 oder Fotos von Beobachtungsposten im unterirdischen Geisterbahnhof Potsdamer Platz oder Grabkarten zum Besuch von Friedhöfen im Grenzbereich; auch die Skizzen vom Ausbau der Staatsgrenze zu West-Berlin überraschen mit der Vielfalt einzelner Anlagen, die schon im Ansatz Fluchtversuche verhindern sollten. Auch die Übernahme der S-Bahn, die in den Westsektoren Ost-Berlin unterstand, die West-Berliner BVG im Januar 1984, liegt vielfach im Dunkel der Geschichte. Ein Gleiches gilt für die West-Berliner Exklaven, bekanntestes Beispiel war Steinstücken. 

Zahlreiches statistisches Material über Todesopfer an der Berliner Mauer, über Fluchtversuche, Grenzdurchbrüche und Tunnelbauten, über Zahlen desertierter Grenzpolizisten aller Dienstgrade. Ost-Berliner, die im Grenzgebiet wohnten, mussten Passierscheine beantragen – insgesamt 88579. Makaber ist das Foto auf Seite 156, das einen Reisebus auf der brachen Fläche des Potsdamer Platzes zeigt, die nur durch die Betonmauer geteilt wird. 

Einen klaren Schwerpunkt setzt Flemming auf die Stimmungslagen und Befindlichkeiten der Menschen in beiden Teilen der Stadt, und zwar in allen Phasen der Existenz der Abriegelung. Er beschreibt die ersten Jugendproteste auch durch Verbote „westlicher“ Musikeinflüsse, die Rolle der Kirche als Rückzugsräume mit zunehmender Bedeutung. Die Zeiten der Passierscheinabkommen ließen in Ost und West erste  Hoffnungen entstehen. Ganz wichtig ist seine Betrachtung der Rolle der Grenzsoldaten: Offiziell hatten sie den antifaschistischen Schutzwall vor Angriffen der Kapitalisten und Imperialisten aus West-Berlin zu schützen, so die Sprachregelung in der DDR, wie ein einschlägiges Flugblatt an die Einwohner des Grenzgebietes zeigt. In Wirklichkeit standen sie aber Wache an der Mauer, um Fluchtversuche der eigenen Bevölkerung zu unterbinden. Dies muss ein grundsätzlicher Widerspruch und ein ernstes psychologisches Problem für manchen Grenzer gewesen sein. 

Die bis zum Inkrafttreten des Zwei plus Vier-Vertrages im März 1991 bestehende Verantwortung der Siegermächte für Deutschland und Berlin als Ganzes hätte stärker thematisiert werden müssen, sichtbares Zeichen waren die in allen damaligen Besatzungszonen stationierten alliierten Militärmissionen mit dem Recht, sich in ihrer Zone bewegen zu können, also nicht nur westliche Missionen in der DDR – was Flemming erwähnt –, sondern auch sowjetische Patrouillenfahrten in West-Berlin und in der Bundesrepublik. Dieses zeigt den Stellenwert der Berlin-Frage im Kalten Krieg sowie die Einflussmöglichkeiten der ehemaligen Siegermächte in der deutschen Frage. 

Das Buch ist flüssig geschrieben und gut lesbar. Interessenten an der Geschichte der Mauer als einem Kapitel der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert finden fundierte Informationen.

Thomas Flemming: „Die Berliner Mauer. Geschichte eines politischen Bauwerks“, bebra Verlag Berlin-Brandenburg  2019, gebunden,  240 Seiten, 22 Euro